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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Literarhistoriker ist? der fast alle seine Kenntniß aus tertiären Quellen schöpft?
der die geläufigsten Handbücher, ohne die er gar nichts anfangen kann, wie
Brunn's "Geschichte der griechischen Künstler", nicht einmal dem Titel nach
kennt? Von sachlichen Berichtigungen findet sich in seinen Anmerkungen
kaum irgend eine Spur. Alles, was Lessing im "Laokoon" geschrieben hat.
das ist unfehlbar, und Frevel wäre es, daran zu zweifeln. Berichtiger
nennt Cosack "markten und mäkeln", ja, bisweilen sanctionirt er einen längst
widerlegten Irrthum Lessing's durch sein ausdrückliches Planet. Kein Wunder,
daß seine eigenen erläuternden Anmerkungen selber reich an Irrthümern sind
und, wie man auch hier wieder hinzufügen muß, nicht frei von groben Nach¬
lässigkeiten. Wer solchen Nonsens schreiben kann, wie den, daß ein Töpfer
aus Korinth, Namens Dibutades -- falsch! er hieß Butades; was für eine
alte Scharteke von Pliniusausgabe mag Cosack wohl benutzt haben? -- den
Schattenriß von dem Geliebten seiner Tochter mit Thon belegt, "darnach ein
Bild in seine Töpferwaaren (!) gebrannt" -- ez^par keen se eum ceteris
üetilibus illäurawin i^ol xroxosuit, steht bei Plinius -- und so das erste
Relief geschaffen habe; wer das berühmte Gemälde des Protogenes, welches
sich in den Propyläen zu Athen befand und den Heros-der athenischen See¬
macht Paralos darstellte, hartnäckig "das Schiff Paratos" (sie) nennt
-- in der ersten Auflage seiner Ausgabe im Namenverzeichniß, in der zweiten
in einer Anmerkung -- der hätte es bleiben lassen sollen, eine Schrift wie
den "Laokoon " zu erläutern. Und welche Scheingelehrsamkeit verräth sich
bisweilen in diesen Anmerkungen! Wie sie eben nur der zur Schau trägt,
der seine Weisheit aus -- dem Conversationslexikon geschöpft hat. Wenn
Lessing den Franciscus Junius citirt, wer will es da von Cosack wissen,
daß derselbe "für die deutsche Literatur durch die Herausgabe der altdeutschen
und angelsächsischen Evangelienharmonie wichtig ist"? Wenn Lessing den
Philoktet mit Robinson vergleicht, was braucht uns Cosack da zu sagen, daß
Campe mit seiner Robinsonausgabe "pädagogische Zwecke verband"? Wenn
Lessing den Bildhauer Athenodoros aus Klitor erwähnt, oder den "Raub
der Sabinerinnen" des Mazzuoli, oder die Statue der Vesta, die im Tempel
der Jasseer stand, was geht es uns da an, ob die Stadt Jassus "besonders
durch ihren Fischhandel reich wurde", ob Mazzuoli "der erste war, welcher
die Aetzkunst in Italien zur Anwendung brachte", ob in der Nähe von Klitor
eine Quelle war, "welche jedem, der ihr Wasser trank, den Wein verleidete" ? --
Daß ein Buch, wie diese Cosack'sche Laokoonausgabe, eine zweite Auflage
erleben konnte, ist ein trauriger Beweis dafür, zu was für Hilfsmitteln man
greift, wenn man nichts besseres haben kann.

Die Ausgabe von Buschmann*) -- eine Büchlein in Duodez, auf



") Lessing's Laokoon, für den Schulgebrauch bearbeitet und mit Erläuterungen versehen

Literarhistoriker ist? der fast alle seine Kenntniß aus tertiären Quellen schöpft?
der die geläufigsten Handbücher, ohne die er gar nichts anfangen kann, wie
Brunn's „Geschichte der griechischen Künstler", nicht einmal dem Titel nach
kennt? Von sachlichen Berichtigungen findet sich in seinen Anmerkungen
kaum irgend eine Spur. Alles, was Lessing im „Laokoon" geschrieben hat.
das ist unfehlbar, und Frevel wäre es, daran zu zweifeln. Berichtiger
nennt Cosack „markten und mäkeln", ja, bisweilen sanctionirt er einen längst
widerlegten Irrthum Lessing's durch sein ausdrückliches Planet. Kein Wunder,
daß seine eigenen erläuternden Anmerkungen selber reich an Irrthümern sind
und, wie man auch hier wieder hinzufügen muß, nicht frei von groben Nach¬
lässigkeiten. Wer solchen Nonsens schreiben kann, wie den, daß ein Töpfer
aus Korinth, Namens Dibutades — falsch! er hieß Butades; was für eine
alte Scharteke von Pliniusausgabe mag Cosack wohl benutzt haben? — den
Schattenriß von dem Geliebten seiner Tochter mit Thon belegt, „darnach ein
Bild in seine Töpferwaaren (!) gebrannt" — ez^par keen se eum ceteris
üetilibus illäurawin i^ol xroxosuit, steht bei Plinius — und so das erste
Relief geschaffen habe; wer das berühmte Gemälde des Protogenes, welches
sich in den Propyläen zu Athen befand und den Heros-der athenischen See¬
macht Paralos darstellte, hartnäckig „das Schiff Paratos" (sie) nennt
— in der ersten Auflage seiner Ausgabe im Namenverzeichniß, in der zweiten
in einer Anmerkung — der hätte es bleiben lassen sollen, eine Schrift wie
den „Laokoon " zu erläutern. Und welche Scheingelehrsamkeit verräth sich
bisweilen in diesen Anmerkungen! Wie sie eben nur der zur Schau trägt,
der seine Weisheit aus — dem Conversationslexikon geschöpft hat. Wenn
Lessing den Franciscus Junius citirt, wer will es da von Cosack wissen,
daß derselbe „für die deutsche Literatur durch die Herausgabe der altdeutschen
und angelsächsischen Evangelienharmonie wichtig ist"? Wenn Lessing den
Philoktet mit Robinson vergleicht, was braucht uns Cosack da zu sagen, daß
Campe mit seiner Robinsonausgabe „pädagogische Zwecke verband"? Wenn
Lessing den Bildhauer Athenodoros aus Klitor erwähnt, oder den „Raub
der Sabinerinnen" des Mazzuoli, oder die Statue der Vesta, die im Tempel
der Jasseer stand, was geht es uns da an, ob die Stadt Jassus „besonders
durch ihren Fischhandel reich wurde", ob Mazzuoli „der erste war, welcher
die Aetzkunst in Italien zur Anwendung brachte", ob in der Nähe von Klitor
eine Quelle war, „welche jedem, der ihr Wasser trank, den Wein verleidete" ? —
Daß ein Buch, wie diese Cosack'sche Laokoonausgabe, eine zweite Auflage
erleben konnte, ist ein trauriger Beweis dafür, zu was für Hilfsmitteln man
greift, wenn man nichts besseres haben kann.

Die Ausgabe von Buschmann*) — eine Büchlein in Duodez, auf



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[0418] Literarhistoriker ist? der fast alle seine Kenntniß aus tertiären Quellen schöpft? der die geläufigsten Handbücher, ohne die er gar nichts anfangen kann, wie Brunn's „Geschichte der griechischen Künstler", nicht einmal dem Titel nach kennt? Von sachlichen Berichtigungen findet sich in seinen Anmerkungen kaum irgend eine Spur. Alles, was Lessing im „Laokoon" geschrieben hat. das ist unfehlbar, und Frevel wäre es, daran zu zweifeln. Berichtiger nennt Cosack „markten und mäkeln", ja, bisweilen sanctionirt er einen längst widerlegten Irrthum Lessing's durch sein ausdrückliches Planet. Kein Wunder, daß seine eigenen erläuternden Anmerkungen selber reich an Irrthümern sind und, wie man auch hier wieder hinzufügen muß, nicht frei von groben Nach¬ lässigkeiten. Wer solchen Nonsens schreiben kann, wie den, daß ein Töpfer aus Korinth, Namens Dibutades — falsch! er hieß Butades; was für eine alte Scharteke von Pliniusausgabe mag Cosack wohl benutzt haben? — den Schattenriß von dem Geliebten seiner Tochter mit Thon belegt, „darnach ein Bild in seine Töpferwaaren (!) gebrannt" — ez^par keen se eum ceteris üetilibus illäurawin i^ol xroxosuit, steht bei Plinius — und so das erste Relief geschaffen habe; wer das berühmte Gemälde des Protogenes, welches sich in den Propyläen zu Athen befand und den Heros-der athenischen See¬ macht Paralos darstellte, hartnäckig „das Schiff Paratos" (sie) nennt — in der ersten Auflage seiner Ausgabe im Namenverzeichniß, in der zweiten in einer Anmerkung — der hätte es bleiben lassen sollen, eine Schrift wie den „Laokoon " zu erläutern. Und welche Scheingelehrsamkeit verräth sich bisweilen in diesen Anmerkungen! Wie sie eben nur der zur Schau trägt, der seine Weisheit aus — dem Conversationslexikon geschöpft hat. Wenn Lessing den Franciscus Junius citirt, wer will es da von Cosack wissen, daß derselbe „für die deutsche Literatur durch die Herausgabe der altdeutschen und angelsächsischen Evangelienharmonie wichtig ist"? Wenn Lessing den Philoktet mit Robinson vergleicht, was braucht uns Cosack da zu sagen, daß Campe mit seiner Robinsonausgabe „pädagogische Zwecke verband"? Wenn Lessing den Bildhauer Athenodoros aus Klitor erwähnt, oder den „Raub der Sabinerinnen" des Mazzuoli, oder die Statue der Vesta, die im Tempel der Jasseer stand, was geht es uns da an, ob die Stadt Jassus „besonders durch ihren Fischhandel reich wurde", ob Mazzuoli „der erste war, welcher die Aetzkunst in Italien zur Anwendung brachte", ob in der Nähe von Klitor eine Quelle war, „welche jedem, der ihr Wasser trank, den Wein verleidete" ? — Daß ein Buch, wie diese Cosack'sche Laokoonausgabe, eine zweite Auflage erleben konnte, ist ein trauriger Beweis dafür, zu was für Hilfsmitteln man greift, wenn man nichts besseres haben kann. Die Ausgabe von Buschmann*) — eine Büchlein in Duodez, auf ") Lessing's Laokoon, für den Schulgebrauch bearbeitet und mit Erläuterungen versehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/418>, abgerufen am 27.09.2024.