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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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der damals sechzehnjährige Astor aus seinem Heimathsdorfe zunächst nach
Holland und dann in einem kleinen Schiffe nach London zu seinem Bruder
Georg Peter. Hier war er zuerst vier Jahre als Arbeiter in der Flöten-
und Pianoforte-Fabrik von Astor 61 Broadwood beschäftigt. Er lernte all¬
mählich die englische Sprache, die er indeß bis an sein Lebensende mit deut¬
schem Accent sprach, machte sich mit den Sitten, Lebensgewohnheiten und
Geschäftsgrundsätzen der Engländer bekannt und bildete vor Allem in sich
die Eigenschaften der Sparsamkeit, des Fleißes und des Unternehmungsgeistes
aus, mit denen er sich in der späteren Zeit das größte Vermögen in der
neuen Welt erwerben sollte. Nie hatte er, wie man ihn in seinen letzten
Jahren oft sagen hörte, die Absicht gehabt, England zu seiner zweiten Hei¬
math zu machen, vielmehr dachte er schon damals, als er mit einem kleinen
Bündel von Walldorf in die Fremde wanderte, an Uebersiedlung nach dem
fernen Lande der Verheißung jenseits der See, wohin ihm sein Bruder Hein¬
rich vorausgegangen war. London war ihm nur eine Zwischenstation und
Vorbereitungsschule, die ihn seine Jugend, seine Unbekanntschaft mit dem
Englischen und der damals in Amerika wüthende Krieg aufsuchen ließen.
Als 1783 der Friede zu Stande kam, traf er sofort die nothwendigen Vor¬
bereitungen zur Ueberfahrt nach der großen Stadt am Ausflusse des Hudson.
Seine geringfügigen Ersparnisse lieferten ihm nur ein dürftiges Kapital zu
dem Versuche, dort sein Glück zu Probiren. Die Firma Astor Broadwood
gab ihm eine kleine Consignation deutscher Flöten mit auf den Weg. Er
ging als Zwischendeckspassagier in einem Schiffe nach Amerika, mit welchem
auch einige Beamte der "Hudson Bay Gesellschaft" reisten, von denen er die
erste Kennntniß von dem Pelzhandel mit den Indianern erlangte, mit welchem
er später einen großen Theil seines Vermögens gewann. Das Fahrzeug, vom
Kapitän Jacob Stone befehligt, verließ London im November 1783 und
hatte auf seiner Fahrt nach Baltimore sehr schlechtes Wetter. Erst im
Januar erreichte es die Chesapeakebay, und hier fror es ein und war mehr¬
mals nahe daran, zu scheitern. Man erzählt, daß bei einer dieser Gelegen¬
heiten, als alle Andern voll Schreck und Zittern rathlos umherliefen, der
junge Astor hinunterging und nach einer Weile mit seinen besten Sachen
angethan wieder erschien. Gefragt, wie er dazu komme, in einem so
gefährlichen Augenblick sich in Glanz zu werfen, antwortete er: "Wenn das
Schiff zu Grunde geht, und mirs glückt, das Ufer zu erreichen, so werde ich
meine guten Kleider gerettet haben; gehe ich aber unter, so brauche ich sie
nicht mehr." Das Schiff blieb fast ein Monat in der Bay eingefroren, und
Astor betrat erst Anfang März amerikanischen Boden. Er begab sich un-
verweilt zu seinem Bruder in Neuyork, der ihn zu einem deutschen Bäcker


der damals sechzehnjährige Astor aus seinem Heimathsdorfe zunächst nach
Holland und dann in einem kleinen Schiffe nach London zu seinem Bruder
Georg Peter. Hier war er zuerst vier Jahre als Arbeiter in der Flöten-
und Pianoforte-Fabrik von Astor 61 Broadwood beschäftigt. Er lernte all¬
mählich die englische Sprache, die er indeß bis an sein Lebensende mit deut¬
schem Accent sprach, machte sich mit den Sitten, Lebensgewohnheiten und
Geschäftsgrundsätzen der Engländer bekannt und bildete vor Allem in sich
die Eigenschaften der Sparsamkeit, des Fleißes und des Unternehmungsgeistes
aus, mit denen er sich in der späteren Zeit das größte Vermögen in der
neuen Welt erwerben sollte. Nie hatte er, wie man ihn in seinen letzten
Jahren oft sagen hörte, die Absicht gehabt, England zu seiner zweiten Hei¬
math zu machen, vielmehr dachte er schon damals, als er mit einem kleinen
Bündel von Walldorf in die Fremde wanderte, an Uebersiedlung nach dem
fernen Lande der Verheißung jenseits der See, wohin ihm sein Bruder Hein¬
rich vorausgegangen war. London war ihm nur eine Zwischenstation und
Vorbereitungsschule, die ihn seine Jugend, seine Unbekanntschaft mit dem
Englischen und der damals in Amerika wüthende Krieg aufsuchen ließen.
Als 1783 der Friede zu Stande kam, traf er sofort die nothwendigen Vor¬
bereitungen zur Ueberfahrt nach der großen Stadt am Ausflusse des Hudson.
Seine geringfügigen Ersparnisse lieferten ihm nur ein dürftiges Kapital zu
dem Versuche, dort sein Glück zu Probiren. Die Firma Astor Broadwood
gab ihm eine kleine Consignation deutscher Flöten mit auf den Weg. Er
ging als Zwischendeckspassagier in einem Schiffe nach Amerika, mit welchem
auch einige Beamte der „Hudson Bay Gesellschaft" reisten, von denen er die
erste Kennntniß von dem Pelzhandel mit den Indianern erlangte, mit welchem
er später einen großen Theil seines Vermögens gewann. Das Fahrzeug, vom
Kapitän Jacob Stone befehligt, verließ London im November 1783 und
hatte auf seiner Fahrt nach Baltimore sehr schlechtes Wetter. Erst im
Januar erreichte es die Chesapeakebay, und hier fror es ein und war mehr¬
mals nahe daran, zu scheitern. Man erzählt, daß bei einer dieser Gelegen¬
heiten, als alle Andern voll Schreck und Zittern rathlos umherliefen, der
junge Astor hinunterging und nach einer Weile mit seinen besten Sachen
angethan wieder erschien. Gefragt, wie er dazu komme, in einem so
gefährlichen Augenblick sich in Glanz zu werfen, antwortete er: „Wenn das
Schiff zu Grunde geht, und mirs glückt, das Ufer zu erreichen, so werde ich
meine guten Kleider gerettet haben; gehe ich aber unter, so brauche ich sie
nicht mehr." Das Schiff blieb fast ein Monat in der Bay eingefroren, und
Astor betrat erst Anfang März amerikanischen Boden. Er begab sich un-
verweilt zu seinem Bruder in Neuyork, der ihn zu einem deutschen Bäcker


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[0391] der damals sechzehnjährige Astor aus seinem Heimathsdorfe zunächst nach Holland und dann in einem kleinen Schiffe nach London zu seinem Bruder Georg Peter. Hier war er zuerst vier Jahre als Arbeiter in der Flöten- und Pianoforte-Fabrik von Astor 61 Broadwood beschäftigt. Er lernte all¬ mählich die englische Sprache, die er indeß bis an sein Lebensende mit deut¬ schem Accent sprach, machte sich mit den Sitten, Lebensgewohnheiten und Geschäftsgrundsätzen der Engländer bekannt und bildete vor Allem in sich die Eigenschaften der Sparsamkeit, des Fleißes und des Unternehmungsgeistes aus, mit denen er sich in der späteren Zeit das größte Vermögen in der neuen Welt erwerben sollte. Nie hatte er, wie man ihn in seinen letzten Jahren oft sagen hörte, die Absicht gehabt, England zu seiner zweiten Hei¬ math zu machen, vielmehr dachte er schon damals, als er mit einem kleinen Bündel von Walldorf in die Fremde wanderte, an Uebersiedlung nach dem fernen Lande der Verheißung jenseits der See, wohin ihm sein Bruder Hein¬ rich vorausgegangen war. London war ihm nur eine Zwischenstation und Vorbereitungsschule, die ihn seine Jugend, seine Unbekanntschaft mit dem Englischen und der damals in Amerika wüthende Krieg aufsuchen ließen. Als 1783 der Friede zu Stande kam, traf er sofort die nothwendigen Vor¬ bereitungen zur Ueberfahrt nach der großen Stadt am Ausflusse des Hudson. Seine geringfügigen Ersparnisse lieferten ihm nur ein dürftiges Kapital zu dem Versuche, dort sein Glück zu Probiren. Die Firma Astor Broadwood gab ihm eine kleine Consignation deutscher Flöten mit auf den Weg. Er ging als Zwischendeckspassagier in einem Schiffe nach Amerika, mit welchem auch einige Beamte der „Hudson Bay Gesellschaft" reisten, von denen er die erste Kennntniß von dem Pelzhandel mit den Indianern erlangte, mit welchem er später einen großen Theil seines Vermögens gewann. Das Fahrzeug, vom Kapitän Jacob Stone befehligt, verließ London im November 1783 und hatte auf seiner Fahrt nach Baltimore sehr schlechtes Wetter. Erst im Januar erreichte es die Chesapeakebay, und hier fror es ein und war mehr¬ mals nahe daran, zu scheitern. Man erzählt, daß bei einer dieser Gelegen¬ heiten, als alle Andern voll Schreck und Zittern rathlos umherliefen, der junge Astor hinunterging und nach einer Weile mit seinen besten Sachen angethan wieder erschien. Gefragt, wie er dazu komme, in einem so gefährlichen Augenblick sich in Glanz zu werfen, antwortete er: „Wenn das Schiff zu Grunde geht, und mirs glückt, das Ufer zu erreichen, so werde ich meine guten Kleider gerettet haben; gehe ich aber unter, so brauche ich sie nicht mehr." Das Schiff blieb fast ein Monat in der Bay eingefroren, und Astor betrat erst Anfang März amerikanischen Boden. Er begab sich un- verweilt zu seinem Bruder in Neuyork, der ihn zu einem deutschen Bäcker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/391>, abgerufen am 27.09.2024.