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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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verschiedenen Tendenzen und wirklichen Absichten, die auf einander folgenden
Phasen und Stadien des Verlaufes sind von D. zuerst mit seltener Klarheit
und plastischer Deutlichkeit umzeichnet.

Noch größer ist das Verdienst der 1871 veröffentlichten aktenmäßigen
Enthüllung der preußischen Politik 1807--1813. "Epoche machend", "fun¬
damental" ist mit Recht der Aufsatz genannt worden; von ihm datirt in der
That eine Wendung in unserer ganzen historischen Betrachtung und Auf¬
fassung jener Zeiten. Jetzt erst begreifen und verstehen wir die äußere Hal¬
tung Preußens in den Jahren der staatlichen Wiedergeburt; jetzt erst lernen
wir wirklich die Verhältnisse schätzen und erwägen, unter denen der Freiheits¬
kampf unseres Volkes 1813 eröffnet werden mußte. Die wahren Absichten
Napoleon's seit 1807. die sehr eigenthümliche Politik Alexander's I., die ver-
ständige, vorsichtige, aber auf guter Einsicht beruhende Haltung Friedrich
Wilhelm's III.. die Ziele Hardenberg's 1807--1812 -- alle diese für unser Ur¬
theil maßgebenden Faktoren hat Duncker zuerst in aktenmäßiger Weise be¬
handelt und dabei auch eine Reihe anderer Dinge klargestellt, die bisher
nicht richtig aufgefaßt wurden, wie z. B. das Verhältniß des Königs zur
That Aork's und weiterhin zur Erhebung Ostpreußens. Man muß die Re¬
sultate dieser Arbeit mit der landläufigen Tradition vergleichen, wie sie etwa
Beitzke und Häußer vorgetragen haben, um des Werthes und der Tragweite
archivalischer Forschung über neuere Geschichte sich bewußt zu werden.

Zwei Nebenpunkte behandelt D. in zwei selbstständigen Artikel, die 1871
und 1876 aus äußerem Anlaß erschienen waren: 1) die Kriegsentschädigung, die
Preußen 1807--1812 an Frankreich gezahlt, und 2) die Sendung Knesebecks
nach Rußland 1812. Vielleicht wäre es möglich gewesen, in den Text
der Hauptabhandlung ihren Inhalt hineinzuverarbeiten; sie bilden Excurse
oder Beilagen zu demselben.

Aus den kurzen Notizen über dies wichtige Buch werden unsere Leser
ersehen können, wie hohen Dank wir Duncker schulden für die Art und Weise,
wie er aus seiner amtlichen Stellung Nutzen gezogen zur Aufklärung der
vaterländischen Vergangenheit: es wäre zu bedauern, wenn er seine sichere
Hand und sein maßvolles Urtheil nicht auch fernerhin demselben Arbeitsfelde
widmen wollte.

Die Verwaltung unserer Staatsarchive selbst beabsichtigt eine aktenmäßige
Publication über die diplomatischen Vorgänge der Freiheitskriege zu machen;
noch bevor dieselbe fertig geworden, ist von anderer Seite ein auf archivalischen
Studien berühmtes Werk erschienen, das demselben Gegenstand gewidmet ist.


Ileine Ungenauigkeiten finden sich auch sonst z. B. S. 30S in dem Citate Häußer's, S. 274
über die Schlacht bei Friedland u. s. w.

verschiedenen Tendenzen und wirklichen Absichten, die auf einander folgenden
Phasen und Stadien des Verlaufes sind von D. zuerst mit seltener Klarheit
und plastischer Deutlichkeit umzeichnet.

Noch größer ist das Verdienst der 1871 veröffentlichten aktenmäßigen
Enthüllung der preußischen Politik 1807—1813. „Epoche machend", „fun¬
damental" ist mit Recht der Aufsatz genannt worden; von ihm datirt in der
That eine Wendung in unserer ganzen historischen Betrachtung und Auf¬
fassung jener Zeiten. Jetzt erst begreifen und verstehen wir die äußere Hal¬
tung Preußens in den Jahren der staatlichen Wiedergeburt; jetzt erst lernen
wir wirklich die Verhältnisse schätzen und erwägen, unter denen der Freiheits¬
kampf unseres Volkes 1813 eröffnet werden mußte. Die wahren Absichten
Napoleon's seit 1807. die sehr eigenthümliche Politik Alexander's I., die ver-
ständige, vorsichtige, aber auf guter Einsicht beruhende Haltung Friedrich
Wilhelm's III.. die Ziele Hardenberg's 1807—1812 — alle diese für unser Ur¬
theil maßgebenden Faktoren hat Duncker zuerst in aktenmäßiger Weise be¬
handelt und dabei auch eine Reihe anderer Dinge klargestellt, die bisher
nicht richtig aufgefaßt wurden, wie z. B. das Verhältniß des Königs zur
That Aork's und weiterhin zur Erhebung Ostpreußens. Man muß die Re¬
sultate dieser Arbeit mit der landläufigen Tradition vergleichen, wie sie etwa
Beitzke und Häußer vorgetragen haben, um des Werthes und der Tragweite
archivalischer Forschung über neuere Geschichte sich bewußt zu werden.

Zwei Nebenpunkte behandelt D. in zwei selbstständigen Artikel, die 1871
und 1876 aus äußerem Anlaß erschienen waren: 1) die Kriegsentschädigung, die
Preußen 1807—1812 an Frankreich gezahlt, und 2) die Sendung Knesebecks
nach Rußland 1812. Vielleicht wäre es möglich gewesen, in den Text
der Hauptabhandlung ihren Inhalt hineinzuverarbeiten; sie bilden Excurse
oder Beilagen zu demselben.

Aus den kurzen Notizen über dies wichtige Buch werden unsere Leser
ersehen können, wie hohen Dank wir Duncker schulden für die Art und Weise,
wie er aus seiner amtlichen Stellung Nutzen gezogen zur Aufklärung der
vaterländischen Vergangenheit: es wäre zu bedauern, wenn er seine sichere
Hand und sein maßvolles Urtheil nicht auch fernerhin demselben Arbeitsfelde
widmen wollte.

Die Verwaltung unserer Staatsarchive selbst beabsichtigt eine aktenmäßige
Publication über die diplomatischen Vorgänge der Freiheitskriege zu machen;
noch bevor dieselbe fertig geworden, ist von anderer Seite ein auf archivalischen
Studien berühmtes Werk erschienen, das demselben Gegenstand gewidmet ist.


Ileine Ungenauigkeiten finden sich auch sonst z. B. S. 30S in dem Citate Häußer's, S. 274
über die Schlacht bei Friedland u. s. w.
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[0386] verschiedenen Tendenzen und wirklichen Absichten, die auf einander folgenden Phasen und Stadien des Verlaufes sind von D. zuerst mit seltener Klarheit und plastischer Deutlichkeit umzeichnet. Noch größer ist das Verdienst der 1871 veröffentlichten aktenmäßigen Enthüllung der preußischen Politik 1807—1813. „Epoche machend", „fun¬ damental" ist mit Recht der Aufsatz genannt worden; von ihm datirt in der That eine Wendung in unserer ganzen historischen Betrachtung und Auf¬ fassung jener Zeiten. Jetzt erst begreifen und verstehen wir die äußere Hal¬ tung Preußens in den Jahren der staatlichen Wiedergeburt; jetzt erst lernen wir wirklich die Verhältnisse schätzen und erwägen, unter denen der Freiheits¬ kampf unseres Volkes 1813 eröffnet werden mußte. Die wahren Absichten Napoleon's seit 1807. die sehr eigenthümliche Politik Alexander's I., die ver- ständige, vorsichtige, aber auf guter Einsicht beruhende Haltung Friedrich Wilhelm's III.. die Ziele Hardenberg's 1807—1812 — alle diese für unser Ur¬ theil maßgebenden Faktoren hat Duncker zuerst in aktenmäßiger Weise be¬ handelt und dabei auch eine Reihe anderer Dinge klargestellt, die bisher nicht richtig aufgefaßt wurden, wie z. B. das Verhältniß des Königs zur That Aork's und weiterhin zur Erhebung Ostpreußens. Man muß die Re¬ sultate dieser Arbeit mit der landläufigen Tradition vergleichen, wie sie etwa Beitzke und Häußer vorgetragen haben, um des Werthes und der Tragweite archivalischer Forschung über neuere Geschichte sich bewußt zu werden. Zwei Nebenpunkte behandelt D. in zwei selbstständigen Artikel, die 1871 und 1876 aus äußerem Anlaß erschienen waren: 1) die Kriegsentschädigung, die Preußen 1807—1812 an Frankreich gezahlt, und 2) die Sendung Knesebecks nach Rußland 1812. Vielleicht wäre es möglich gewesen, in den Text der Hauptabhandlung ihren Inhalt hineinzuverarbeiten; sie bilden Excurse oder Beilagen zu demselben. Aus den kurzen Notizen über dies wichtige Buch werden unsere Leser ersehen können, wie hohen Dank wir Duncker schulden für die Art und Weise, wie er aus seiner amtlichen Stellung Nutzen gezogen zur Aufklärung der vaterländischen Vergangenheit: es wäre zu bedauern, wenn er seine sichere Hand und sein maßvolles Urtheil nicht auch fernerhin demselben Arbeitsfelde widmen wollte. Die Verwaltung unserer Staatsarchive selbst beabsichtigt eine aktenmäßige Publication über die diplomatischen Vorgänge der Freiheitskriege zu machen; noch bevor dieselbe fertig geworden, ist von anderer Seite ein auf archivalischen Studien berühmtes Werk erschienen, das demselben Gegenstand gewidmet ist. Ileine Ungenauigkeiten finden sich auch sonst z. B. S. 30S in dem Citate Häußer's, S. 274 über die Schlacht bei Friedland u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/386>, abgerufen am 27.09.2024.