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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Kammer welches man den Mediatistrten gyrantirt hat. Die einstigen Vorrechte
des niedern Adels dagegen sind, abgesehen etwa VM dem in Bayern geltenden
Recht der Siegelmäßigkeit, heutzutage vollständige beseitigt; man müßte denn
vielleicht den Anspruch auf Titel und Wappen als "Rechte" auffassen wollen.
Wenn daher im Art. II weiter dekretirt wurde "der Adel als Stand ist auf¬
gehoben", so war eine derartige Verfügung zur Durchführung des Princips
der Gleichheit vor dem Gesetz keineswegs geboten. Diese vermeintliche Aufhe¬
bung des Adels hätte zudem in Wirklichkeit doch nur in einer Beseitigung
des Adelstitels bestehen können; aber wäre damit der Stand selbst beseitigt
gewesen? Sicherlich ebenso wenig, als dies seiner Zeit durch die Be¬
schlüsse der französischen Nationalversammlung geschah. Und wäre die Be¬
seitigung dieses Standes factisch möglich, so würde es sich doch fragen, ob
sie vom rechtspolitischen Standpunkt aus zweckmäßig wäre. Die Geschichte
Englands zeigt uns, wie eine reiche, unabhängige Aristokratie für die politi¬
schen Interessen des gesammten Volks von der größten Bedeutung ist. Frei¬
lich läßt sich dies von "einem bloßen Hof- und Dienstadel nicht behaupten;
-immerhin darf man aber nicht vergessen, daß ein gesundes politisches Leben
nur möglich ist,! wenn- alle.Parteien vertreten sind, die Aristokratie, insbe¬
sondere die Geburth-Aristokratie, nicht ausgenommen.

Ebenso möchte.der schon im sogen. Berliner Entwurf weggelassene Passus
.des Art. II:. "Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden, sind
aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden", kaum zu billigen sein.
Es soll ja keineswegs in Abrede gestellt werden, daß unser deutsches Titelwesen,
-und zwar nicht etwa Moß oder vorzugsweise in-den Kleinstaaten mit einer
>ganz gehörigen Dosis Abgeschmacktheit ausgestattet ist. Seine Lächerlichkeiten
liegen klar zu Tage not äiNeils ost, Sa-tiram von seribers! Aber rechtfer¬
tigt., denn das Ueberwuchern der Pflanze ihre Ausrottung? Es ist doch
Thatsache, daß die Verleihung seines Titels seitens des Staatsoberhauptes
,nach der Anschauungsweise unseres Volks für eine Anerkennung des Ver¬
dienstes gilt.und von der überwiegenden Mehrzahl qls solche geschätzt wird;
warum also ein solches Anerkennungsmittel gänzlich beseitigen, das sich über-
dieß anderen kostspieligeren-Auszeichnungen und Dotationen gegenüber durch
seine Wohlfeilheit empfiehlt? Dasselbe Argument läßt sich wohl auch gegen
die weitere Bestimmung des- Art. II: "Kein Staatsangehöriger darf von
einem auswärtigen Staat einen Orden annehmen", geltend machen -- eine
Vorschrift, mit welcher überhaupt nicht viel zu erreichen war, so lange man
den deutschen .Staatsangehörigen die Annahme-anderweiter Verleihungen und
Ehrengaben seitens auswärtiger Staaten nicht untersagen konnte. Zudem
ist ja bekanntlich zur Annahme eines fremden Ordens die Zustimmung des
eigenen Souverains erforderlich. Daß übrigens jetzt die Annahme von Ge-


Kammer welches man den Mediatistrten gyrantirt hat. Die einstigen Vorrechte
des niedern Adels dagegen sind, abgesehen etwa VM dem in Bayern geltenden
Recht der Siegelmäßigkeit, heutzutage vollständige beseitigt; man müßte denn
vielleicht den Anspruch auf Titel und Wappen als „Rechte" auffassen wollen.
Wenn daher im Art. II weiter dekretirt wurde „der Adel als Stand ist auf¬
gehoben", so war eine derartige Verfügung zur Durchführung des Princips
der Gleichheit vor dem Gesetz keineswegs geboten. Diese vermeintliche Aufhe¬
bung des Adels hätte zudem in Wirklichkeit doch nur in einer Beseitigung
des Adelstitels bestehen können; aber wäre damit der Stand selbst beseitigt
gewesen? Sicherlich ebenso wenig, als dies seiner Zeit durch die Be¬
schlüsse der französischen Nationalversammlung geschah. Und wäre die Be¬
seitigung dieses Standes factisch möglich, so würde es sich doch fragen, ob
sie vom rechtspolitischen Standpunkt aus zweckmäßig wäre. Die Geschichte
Englands zeigt uns, wie eine reiche, unabhängige Aristokratie für die politi¬
schen Interessen des gesammten Volks von der größten Bedeutung ist. Frei¬
lich läßt sich dies von »einem bloßen Hof- und Dienstadel nicht behaupten;
-immerhin darf man aber nicht vergessen, daß ein gesundes politisches Leben
nur möglich ist,! wenn- alle.Parteien vertreten sind, die Aristokratie, insbe¬
sondere die Geburth-Aristokratie, nicht ausgenommen.

Ebenso möchte.der schon im sogen. Berliner Entwurf weggelassene Passus
.des Art. II:. „Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden, sind
aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden", kaum zu billigen sein.
Es soll ja keineswegs in Abrede gestellt werden, daß unser deutsches Titelwesen,
-und zwar nicht etwa Moß oder vorzugsweise in-den Kleinstaaten mit einer
>ganz gehörigen Dosis Abgeschmacktheit ausgestattet ist. Seine Lächerlichkeiten
liegen klar zu Tage not äiNeils ost, Sa-tiram von seribers! Aber rechtfer¬
tigt., denn das Ueberwuchern der Pflanze ihre Ausrottung? Es ist doch
Thatsache, daß die Verleihung seines Titels seitens des Staatsoberhauptes
,nach der Anschauungsweise unseres Volks für eine Anerkennung des Ver¬
dienstes gilt.und von der überwiegenden Mehrzahl qls solche geschätzt wird;
warum also ein solches Anerkennungsmittel gänzlich beseitigen, das sich über-
dieß anderen kostspieligeren-Auszeichnungen und Dotationen gegenüber durch
seine Wohlfeilheit empfiehlt? Dasselbe Argument läßt sich wohl auch gegen
die weitere Bestimmung des- Art. II: „Kein Staatsangehöriger darf von
einem auswärtigen Staat einen Orden annehmen", geltend machen — eine
Vorschrift, mit welcher überhaupt nicht viel zu erreichen war, so lange man
den deutschen .Staatsangehörigen die Annahme-anderweiter Verleihungen und
Ehrengaben seitens auswärtiger Staaten nicht untersagen konnte. Zudem
ist ja bekanntlich zur Annahme eines fremden Ordens die Zustimmung des
eigenen Souverains erforderlich. Daß übrigens jetzt die Annahme von Ge-


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[0375] Kammer welches man den Mediatistrten gyrantirt hat. Die einstigen Vorrechte des niedern Adels dagegen sind, abgesehen etwa VM dem in Bayern geltenden Recht der Siegelmäßigkeit, heutzutage vollständige beseitigt; man müßte denn vielleicht den Anspruch auf Titel und Wappen als „Rechte" auffassen wollen. Wenn daher im Art. II weiter dekretirt wurde „der Adel als Stand ist auf¬ gehoben", so war eine derartige Verfügung zur Durchführung des Princips der Gleichheit vor dem Gesetz keineswegs geboten. Diese vermeintliche Aufhe¬ bung des Adels hätte zudem in Wirklichkeit doch nur in einer Beseitigung des Adelstitels bestehen können; aber wäre damit der Stand selbst beseitigt gewesen? Sicherlich ebenso wenig, als dies seiner Zeit durch die Be¬ schlüsse der französischen Nationalversammlung geschah. Und wäre die Be¬ seitigung dieses Standes factisch möglich, so würde es sich doch fragen, ob sie vom rechtspolitischen Standpunkt aus zweckmäßig wäre. Die Geschichte Englands zeigt uns, wie eine reiche, unabhängige Aristokratie für die politi¬ schen Interessen des gesammten Volks von der größten Bedeutung ist. Frei¬ lich läßt sich dies von »einem bloßen Hof- und Dienstadel nicht behaupten; -immerhin darf man aber nicht vergessen, daß ein gesundes politisches Leben nur möglich ist,! wenn- alle.Parteien vertreten sind, die Aristokratie, insbe¬ sondere die Geburth-Aristokratie, nicht ausgenommen. Ebenso möchte.der schon im sogen. Berliner Entwurf weggelassene Passus .des Art. II:. „Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden, sind aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden", kaum zu billigen sein. Es soll ja keineswegs in Abrede gestellt werden, daß unser deutsches Titelwesen, -und zwar nicht etwa Moß oder vorzugsweise in-den Kleinstaaten mit einer >ganz gehörigen Dosis Abgeschmacktheit ausgestattet ist. Seine Lächerlichkeiten liegen klar zu Tage not äiNeils ost, Sa-tiram von seribers! Aber rechtfer¬ tigt., denn das Ueberwuchern der Pflanze ihre Ausrottung? Es ist doch Thatsache, daß die Verleihung seines Titels seitens des Staatsoberhauptes ,nach der Anschauungsweise unseres Volks für eine Anerkennung des Ver¬ dienstes gilt.und von der überwiegenden Mehrzahl qls solche geschätzt wird; warum also ein solches Anerkennungsmittel gänzlich beseitigen, das sich über- dieß anderen kostspieligeren-Auszeichnungen und Dotationen gegenüber durch seine Wohlfeilheit empfiehlt? Dasselbe Argument läßt sich wohl auch gegen die weitere Bestimmung des- Art. II: „Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staat einen Orden annehmen", geltend machen — eine Vorschrift, mit welcher überhaupt nicht viel zu erreichen war, so lange man den deutschen .Staatsangehörigen die Annahme-anderweiter Verleihungen und Ehrengaben seitens auswärtiger Staaten nicht untersagen konnte. Zudem ist ja bekanntlich zur Annahme eines fremden Ordens die Zustimmung des eigenen Souverains erforderlich. Daß übrigens jetzt die Annahme von Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/375>, abgerufen am 27.09.2024.