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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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angehörigkeit in einem Bundesstaat und die durch erstere bedingte Reichs¬
angehörigkeit durch das nunmehrige Reichsgesetz vom I.Juni 1870 über
die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit und^
ebenso das Heimathsrecht, namentlich in Ansehung der Armenpflege, durch
Gesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz, welch' letzteres
allerdings in Bayern zur Zeit noch keine Geltung erlangt hat, in ausführ¬
licher Weise normirt worden. Hierzu kommt ferner die jetzige Reichs-Gewerbe-
ordnung vom 21. Juni 1869 mit dem Princip der Freiheit des Gewerbe¬
betriebs, und endlich ist noch des Bundes"(Reichs°)Gesetzes über die Gewährung
der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869 zu gedenken, durch welches die im Art..
3 der Verfassungsurkunde sanctionirte Gleichstellung der Reichsangehörigen
auf dem Gebiete der Rechtspflege zur praktischen Verwirklichung gebracht
worden ist.

Wenn übrigens im Art. 1 der Frankfurter Grundrechte die Aus¬
wanderungsangelegenheit unter den Schutz und die Fürsorge des Reichs ge¬
stellt und zugleich Auswanderungsfreiheit zugesichert wurde, so ist daran zu
erinnern, daß auch im Art. 4 der neuen Reichsverfassung die Colontsation
und die Auswanderung der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reichs
unterstellt sind. Ebenso ist in dem bereits angezogenen Gesetz vom 1. June
1870 die Auswanderungsfreiheit anerkannt, wenn auch in Ansehung der
Wehrpflichtigen, der Militärpersonen, der Reservisten und Landwehrleute eine
gewiß nicht ungerechtfertigte Einschränkung getroffen ist. -- Weisen wir endlich
noch darauf hin. daß die weitere Bestimmung des Art. 1 der Grundrechte,
durch welche die Strafe des bürgerlichen Todes abgeschafft werden sollte, für
die Gegenwart gegenstandslos ist, da diese Strafe dem modernen Strafrecht
fremd ist, so möchte in der That dargethan sein, daß der Art. 1 der Grund¬
rechte keinerlei Bestimmung enthält, deren Einführung es dermalen erst
noch bedürfte.

Der zweite Artikel der Frankfurter Grundrechte enthielt den Grundsatz
der Gleichheit vor dem Gesetz; alle Standesvorrechte sollten abgeschafft
und die öffentliche Aemter für alle Befähigten gleich zugänglich sein. Die
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz ist bereits längst in dem modernen
Staats- und Verfassungsleben durchgeführt; sie ist zudem in einzelnen deut¬
schen Verfassungsurkunden ausdrücklich deklarirt.*) Nur den Mitgliedern des
deutschen hohen Adels sind einzelne Vorrechte gelassen worden. Diese be¬
ziehen sich jedoch nicht auf das Gebiet des Privatrechts; es sind vielmehr
politische Rechte, wie namentlich das Recht der Mitgliedschaft in der ersten



') Vgl. z. B. die prcuß. Verfassungsurkunde von 1850 §§. 4 und 5, Koburg-Gothaer Verf.
Art. von 1SS2, §. 30z Oldenburg. Verf. Art. v. l852. Art. S2.

angehörigkeit in einem Bundesstaat und die durch erstere bedingte Reichs¬
angehörigkeit durch das nunmehrige Reichsgesetz vom I.Juni 1870 über
die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit und^
ebenso das Heimathsrecht, namentlich in Ansehung der Armenpflege, durch
Gesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz, welch' letzteres
allerdings in Bayern zur Zeit noch keine Geltung erlangt hat, in ausführ¬
licher Weise normirt worden. Hierzu kommt ferner die jetzige Reichs-Gewerbe-
ordnung vom 21. Juni 1869 mit dem Princip der Freiheit des Gewerbe¬
betriebs, und endlich ist noch des Bundes«(Reichs°)Gesetzes über die Gewährung
der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869 zu gedenken, durch welches die im Art..
3 der Verfassungsurkunde sanctionirte Gleichstellung der Reichsangehörigen
auf dem Gebiete der Rechtspflege zur praktischen Verwirklichung gebracht
worden ist.

Wenn übrigens im Art. 1 der Frankfurter Grundrechte die Aus¬
wanderungsangelegenheit unter den Schutz und die Fürsorge des Reichs ge¬
stellt und zugleich Auswanderungsfreiheit zugesichert wurde, so ist daran zu
erinnern, daß auch im Art. 4 der neuen Reichsverfassung die Colontsation
und die Auswanderung der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reichs
unterstellt sind. Ebenso ist in dem bereits angezogenen Gesetz vom 1. June
1870 die Auswanderungsfreiheit anerkannt, wenn auch in Ansehung der
Wehrpflichtigen, der Militärpersonen, der Reservisten und Landwehrleute eine
gewiß nicht ungerechtfertigte Einschränkung getroffen ist. — Weisen wir endlich
noch darauf hin. daß die weitere Bestimmung des Art. 1 der Grundrechte,
durch welche die Strafe des bürgerlichen Todes abgeschafft werden sollte, für
die Gegenwart gegenstandslos ist, da diese Strafe dem modernen Strafrecht
fremd ist, so möchte in der That dargethan sein, daß der Art. 1 der Grund¬
rechte keinerlei Bestimmung enthält, deren Einführung es dermalen erst
noch bedürfte.

Der zweite Artikel der Frankfurter Grundrechte enthielt den Grundsatz
der Gleichheit vor dem Gesetz; alle Standesvorrechte sollten abgeschafft
und die öffentliche Aemter für alle Befähigten gleich zugänglich sein. Die
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz ist bereits längst in dem modernen
Staats- und Verfassungsleben durchgeführt; sie ist zudem in einzelnen deut¬
schen Verfassungsurkunden ausdrücklich deklarirt.*) Nur den Mitgliedern des
deutschen hohen Adels sind einzelne Vorrechte gelassen worden. Diese be¬
ziehen sich jedoch nicht auf das Gebiet des Privatrechts; es sind vielmehr
politische Rechte, wie namentlich das Recht der Mitgliedschaft in der ersten



') Vgl. z. B. die prcuß. Verfassungsurkunde von 1850 §§. 4 und 5, Koburg-Gothaer Verf.
Art. von 1SS2, §. 30z Oldenburg. Verf. Art. v. l852. Art. S2.
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[0374] angehörigkeit in einem Bundesstaat und die durch erstere bedingte Reichs¬ angehörigkeit durch das nunmehrige Reichsgesetz vom I.Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit und^ ebenso das Heimathsrecht, namentlich in Ansehung der Armenpflege, durch Gesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz, welch' letzteres allerdings in Bayern zur Zeit noch keine Geltung erlangt hat, in ausführ¬ licher Weise normirt worden. Hierzu kommt ferner die jetzige Reichs-Gewerbe- ordnung vom 21. Juni 1869 mit dem Princip der Freiheit des Gewerbe¬ betriebs, und endlich ist noch des Bundes«(Reichs°)Gesetzes über die Gewährung der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869 zu gedenken, durch welches die im Art.. 3 der Verfassungsurkunde sanctionirte Gleichstellung der Reichsangehörigen auf dem Gebiete der Rechtspflege zur praktischen Verwirklichung gebracht worden ist. Wenn übrigens im Art. 1 der Frankfurter Grundrechte die Aus¬ wanderungsangelegenheit unter den Schutz und die Fürsorge des Reichs ge¬ stellt und zugleich Auswanderungsfreiheit zugesichert wurde, so ist daran zu erinnern, daß auch im Art. 4 der neuen Reichsverfassung die Colontsation und die Auswanderung der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reichs unterstellt sind. Ebenso ist in dem bereits angezogenen Gesetz vom 1. June 1870 die Auswanderungsfreiheit anerkannt, wenn auch in Ansehung der Wehrpflichtigen, der Militärpersonen, der Reservisten und Landwehrleute eine gewiß nicht ungerechtfertigte Einschränkung getroffen ist. — Weisen wir endlich noch darauf hin. daß die weitere Bestimmung des Art. 1 der Grundrechte, durch welche die Strafe des bürgerlichen Todes abgeschafft werden sollte, für die Gegenwart gegenstandslos ist, da diese Strafe dem modernen Strafrecht fremd ist, so möchte in der That dargethan sein, daß der Art. 1 der Grund¬ rechte keinerlei Bestimmung enthält, deren Einführung es dermalen erst noch bedürfte. Der zweite Artikel der Frankfurter Grundrechte enthielt den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz; alle Standesvorrechte sollten abgeschafft und die öffentliche Aemter für alle Befähigten gleich zugänglich sein. Die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz ist bereits längst in dem modernen Staats- und Verfassungsleben durchgeführt; sie ist zudem in einzelnen deut¬ schen Verfassungsurkunden ausdrücklich deklarirt.*) Nur den Mitgliedern des deutschen hohen Adels sind einzelne Vorrechte gelassen worden. Diese be¬ ziehen sich jedoch nicht auf das Gebiet des Privatrechts; es sind vielmehr politische Rechte, wie namentlich das Recht der Mitgliedschaft in der ersten ') Vgl. z. B. die prcuß. Verfassungsurkunde von 1850 §§. 4 und 5, Koburg-Gothaer Verf. Art. von 1SS2, §. 30z Oldenburg. Verf. Art. v. l852. Art. S2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/374>, abgerufen am 27.09.2024.