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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Herstellung jener Grundrechte thätig sein werde, und daß die darauf erfolgte
ablehnende Antwort gar übel vermerkt worden ist.

Wird nun aber -- und dies ist der Zweck dieser Abhandlung -- der
Nachweis erbracht, daß alle wesentlichen Normen, welche in den deutschen
Grundrechten von 1848 enthalten oder wenigstens angedeutet waren, in der
That inzwischen zum Gesetz erhoben worden sind, so muß nicht nur jenes
Verlangen als ein unberechtigtes erscheinen, sondern es muß sich'dabei auch
ergeben, daß unsere Reichsgesetzgebung wirklich einen wesentlichen Fortschritt
auf der Bahn der nationalen und freiheitlichen Entwickelung unseres Volkes
enthält, indem sie zumeist uns das gebracht hat, was 1848 vergeblich erstrebt,
was von dem vormaligen Bundestag mit unerbittlicher Strenge verfolgt und
von den Staatsmännern der Reactionspertode als die Losung zum Umsturz
aller staatlichen Ordnung bezeichnet und verdammt worden ist. Dieser Nach¬
weis soll nun aus den einzelnen Bestimmungen der Frankfurter Grundrechte
selbst geführt werden.

Die im Art. I. der Grundrechte obenan stehenden Grundsätze über das
deutsche Reichsbürgerrecht sind heute im vollsten Maße im Reiche giltig.
Allerdings ist unserer dermaligen Reichsverfassung der Ausdruck "Retchsbürger-
recht" fremd; sie gebraucht dafür nach dem Vorgang der norddeutschen Bundes¬
verfassung die Bezeichnung "Bundesindigenat"; in diesem letzteren sind aber
alle, ja noch weiter gehende Befugnisse enthalten, als sie durch das Reichs¬
bürgerrecht der deutschen Grundrechte gegeben werden sollten. Hier war
nämlich bestimmt, daß jeder Deutsche die ihm vermöge des Reichsbürgerrechts
zustehenden Rechte in jedem deutschen Lande ausüben könne, und zwar
namentlich das Recht, an jedem Orte des Reichsgebiets seinen Aufenthalt
und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und darüber
zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und das Gemeindebürgerrecht
zu gewinnen; auch sollte kein deutscher Staat zwischen seinen Angehörigen
und anderen Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und
Proceß-Rechte machen dürfen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetze.
Die correspondirende Bestimmung der norddeutschen Bundes- und nunmehrigen
Reichsverfassung ist im Art. 3 des letzteren enthalten: "Für ganz Deutschland
besteht ein gemeinsames Jndigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige
eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer zu be¬
handeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffent¬
lichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des
Staatsbürgerrechts und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter
denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff
der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln
ist." -- Daß freilich mit solchen allgemeinen Sätzen zunächst nicht eben viel


Herstellung jener Grundrechte thätig sein werde, und daß die darauf erfolgte
ablehnende Antwort gar übel vermerkt worden ist.

Wird nun aber — und dies ist der Zweck dieser Abhandlung — der
Nachweis erbracht, daß alle wesentlichen Normen, welche in den deutschen
Grundrechten von 1848 enthalten oder wenigstens angedeutet waren, in der
That inzwischen zum Gesetz erhoben worden sind, so muß nicht nur jenes
Verlangen als ein unberechtigtes erscheinen, sondern es muß sich'dabei auch
ergeben, daß unsere Reichsgesetzgebung wirklich einen wesentlichen Fortschritt
auf der Bahn der nationalen und freiheitlichen Entwickelung unseres Volkes
enthält, indem sie zumeist uns das gebracht hat, was 1848 vergeblich erstrebt,
was von dem vormaligen Bundestag mit unerbittlicher Strenge verfolgt und
von den Staatsmännern der Reactionspertode als die Losung zum Umsturz
aller staatlichen Ordnung bezeichnet und verdammt worden ist. Dieser Nach¬
weis soll nun aus den einzelnen Bestimmungen der Frankfurter Grundrechte
selbst geführt werden.

Die im Art. I. der Grundrechte obenan stehenden Grundsätze über das
deutsche Reichsbürgerrecht sind heute im vollsten Maße im Reiche giltig.
Allerdings ist unserer dermaligen Reichsverfassung der Ausdruck „Retchsbürger-
recht" fremd; sie gebraucht dafür nach dem Vorgang der norddeutschen Bundes¬
verfassung die Bezeichnung „Bundesindigenat"; in diesem letzteren sind aber
alle, ja noch weiter gehende Befugnisse enthalten, als sie durch das Reichs¬
bürgerrecht der deutschen Grundrechte gegeben werden sollten. Hier war
nämlich bestimmt, daß jeder Deutsche die ihm vermöge des Reichsbürgerrechts
zustehenden Rechte in jedem deutschen Lande ausüben könne, und zwar
namentlich das Recht, an jedem Orte des Reichsgebiets seinen Aufenthalt
und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und darüber
zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und das Gemeindebürgerrecht
zu gewinnen; auch sollte kein deutscher Staat zwischen seinen Angehörigen
und anderen Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und
Proceß-Rechte machen dürfen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetze.
Die correspondirende Bestimmung der norddeutschen Bundes- und nunmehrigen
Reichsverfassung ist im Art. 3 des letzteren enthalten: „Für ganz Deutschland
besteht ein gemeinsames Jndigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige
eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer zu be¬
handeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffent¬
lichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des
Staatsbürgerrechts und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter
denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff
der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln
ist." — Daß freilich mit solchen allgemeinen Sätzen zunächst nicht eben viel


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[0372] Herstellung jener Grundrechte thätig sein werde, und daß die darauf erfolgte ablehnende Antwort gar übel vermerkt worden ist. Wird nun aber — und dies ist der Zweck dieser Abhandlung — der Nachweis erbracht, daß alle wesentlichen Normen, welche in den deutschen Grundrechten von 1848 enthalten oder wenigstens angedeutet waren, in der That inzwischen zum Gesetz erhoben worden sind, so muß nicht nur jenes Verlangen als ein unberechtigtes erscheinen, sondern es muß sich'dabei auch ergeben, daß unsere Reichsgesetzgebung wirklich einen wesentlichen Fortschritt auf der Bahn der nationalen und freiheitlichen Entwickelung unseres Volkes enthält, indem sie zumeist uns das gebracht hat, was 1848 vergeblich erstrebt, was von dem vormaligen Bundestag mit unerbittlicher Strenge verfolgt und von den Staatsmännern der Reactionspertode als die Losung zum Umsturz aller staatlichen Ordnung bezeichnet und verdammt worden ist. Dieser Nach¬ weis soll nun aus den einzelnen Bestimmungen der Frankfurter Grundrechte selbst geführt werden. Die im Art. I. der Grundrechte obenan stehenden Grundsätze über das deutsche Reichsbürgerrecht sind heute im vollsten Maße im Reiche giltig. Allerdings ist unserer dermaligen Reichsverfassung der Ausdruck „Retchsbürger- recht" fremd; sie gebraucht dafür nach dem Vorgang der norddeutschen Bundes¬ verfassung die Bezeichnung „Bundesindigenat"; in diesem letzteren sind aber alle, ja noch weiter gehende Befugnisse enthalten, als sie durch das Reichs¬ bürgerrecht der deutschen Grundrechte gegeben werden sollten. Hier war nämlich bestimmt, daß jeder Deutsche die ihm vermöge des Reichsbürgerrechts zustehenden Rechte in jedem deutschen Lande ausüben könne, und zwar namentlich das Recht, an jedem Orte des Reichsgebiets seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen; auch sollte kein deutscher Staat zwischen seinen Angehörigen und anderen Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Proceß-Rechte machen dürfen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetze. Die correspondirende Bestimmung der norddeutschen Bundes- und nunmehrigen Reichsverfassung ist im Art. 3 des letzteren enthalten: „Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Jndigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer zu be¬ handeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffent¬ lichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist." — Daß freilich mit solchen allgemeinen Sätzen zunächst nicht eben viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/372>, abgerufen am 27.09.2024.