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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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nach Waffen vorhanden sind, einberufen und in dessen Rahmen eingefügt
wird. Nach vollendeter zwölfjähriger Dienstzeit bleibt der Soldat noch
acht Jahre hindurch landsturmpflichtig, wird aber nicht mehr geübt.

Von der Ableistung der Kriegspflicht sind außer den Bewohnern der
oben angeführten Theile des Reiches für immer befreit: 1) Alle Personen
geistlichen Standes mit Einschluß der Lehrer an geistlichen Unterrichtsanstal¬
ten, 2) die Zöglinge der medicinischen Schule; blos zeitlich dagegen: 1) die
Schüler theologischer Seminare, 2) die einzigen Söhne armer Eltern, 3) die
zweiten Söhne derjenigen, deren ältester Sohn bereits dient, und deren dritter
das fünfzehnte Jahr noch nicht erreicht hat. Alle vom Dienste im stehenden
Heere befreiten Individuen, mögen sie sich losgekauft haben oder zeitlich frei sein,
werden der Landwehr zugetheilt, aber auch in dieser ist noch Vertretung statt¬
haft, und bei. der allgemeinen Bestechlichkeit der türkischen Behörden versteht
es sich von selbst, daß die wohlhabenden Klassen überall Mittel und Wege
zu finden wissen, sich dem Militärdienste zu entziehen, und so werden fast nur
die Kinder der Armen Soldaten.

Auch das Versorgungswesen ist gut geregelt -- natürlich nur auf dem
Papier. Der Mann kann unter Umständen eine Pension von 300, der Un¬
teroffizier eine solche von 620 Piaster jährlich verlangen. Die Penstonen der
Offiziere zerfallen in zwei Kategorien, den Anspruch auf die Penston geringe¬
ren Satzes erwirbt man sich nach dreißig, den auf die höhere Pension durch
fünfzig Jahre Dienst. Die durch Verwundung invalid Gewordenen werden
in drei Klassen eingetheilt; aber ob die ihnen nach dem Gesetz zustehenden
Ruhegehalte in ihrem vollen Betrage oder mit Abzügen und nur bisweilen
gezahlt werden, ist eine andere Frage; bleibt doch nicht selten Gage und
Löhnung der activen Truppen Monate und selbst Jahre hindurch aus. Jn-
validenhäuser sind für Muhamedaner ein Ding der Unmöglichkeit, da hier
Jedermann hetrathen kann, wie und wann er Lust hat, und da die Tren¬
nung der Familie des Mannes von der Welt allgemeine und unverletzbare
Sitte ist.

Die Uniform des türkischen Heeres, für alle Waffengattungen von gleicher
(hellblauer) Farbe und gleichem Schnitt, ist recht kleidsam. Sie besteht aus
einer Jacke mit rothem Passepoil, einer Weste, weiten Pumphosen und einem
blauen Mantel. Um die Hüften hat die Mannschaft einen breiten Gürtel
von rother Wolle und über diesem den schwarzen Leibriemen, an dem der
Infanterist zwei Patronentaschen und das Bayonnet. der Kavallerist und Ar¬
tillerist an einem Hängeriemen eine Cartouche trägt. Die Kopfbedeckung ist
bei der gesammten Armee das rothe Feß mit schwarzer Quaste. Dasselbe ist
eine für den Soldaten höchst ungeeignete Kopfbedeckung; denn es schützt, da
es schirmlos ist, weder gegen den Regen, noch gegen den Brand und die


nach Waffen vorhanden sind, einberufen und in dessen Rahmen eingefügt
wird. Nach vollendeter zwölfjähriger Dienstzeit bleibt der Soldat noch
acht Jahre hindurch landsturmpflichtig, wird aber nicht mehr geübt.

Von der Ableistung der Kriegspflicht sind außer den Bewohnern der
oben angeführten Theile des Reiches für immer befreit: 1) Alle Personen
geistlichen Standes mit Einschluß der Lehrer an geistlichen Unterrichtsanstal¬
ten, 2) die Zöglinge der medicinischen Schule; blos zeitlich dagegen: 1) die
Schüler theologischer Seminare, 2) die einzigen Söhne armer Eltern, 3) die
zweiten Söhne derjenigen, deren ältester Sohn bereits dient, und deren dritter
das fünfzehnte Jahr noch nicht erreicht hat. Alle vom Dienste im stehenden
Heere befreiten Individuen, mögen sie sich losgekauft haben oder zeitlich frei sein,
werden der Landwehr zugetheilt, aber auch in dieser ist noch Vertretung statt¬
haft, und bei. der allgemeinen Bestechlichkeit der türkischen Behörden versteht
es sich von selbst, daß die wohlhabenden Klassen überall Mittel und Wege
zu finden wissen, sich dem Militärdienste zu entziehen, und so werden fast nur
die Kinder der Armen Soldaten.

Auch das Versorgungswesen ist gut geregelt — natürlich nur auf dem
Papier. Der Mann kann unter Umständen eine Pension von 300, der Un¬
teroffizier eine solche von 620 Piaster jährlich verlangen. Die Penstonen der
Offiziere zerfallen in zwei Kategorien, den Anspruch auf die Penston geringe¬
ren Satzes erwirbt man sich nach dreißig, den auf die höhere Pension durch
fünfzig Jahre Dienst. Die durch Verwundung invalid Gewordenen werden
in drei Klassen eingetheilt; aber ob die ihnen nach dem Gesetz zustehenden
Ruhegehalte in ihrem vollen Betrage oder mit Abzügen und nur bisweilen
gezahlt werden, ist eine andere Frage; bleibt doch nicht selten Gage und
Löhnung der activen Truppen Monate und selbst Jahre hindurch aus. Jn-
validenhäuser sind für Muhamedaner ein Ding der Unmöglichkeit, da hier
Jedermann hetrathen kann, wie und wann er Lust hat, und da die Tren¬
nung der Familie des Mannes von der Welt allgemeine und unverletzbare
Sitte ist.

Die Uniform des türkischen Heeres, für alle Waffengattungen von gleicher
(hellblauer) Farbe und gleichem Schnitt, ist recht kleidsam. Sie besteht aus
einer Jacke mit rothem Passepoil, einer Weste, weiten Pumphosen und einem
blauen Mantel. Um die Hüften hat die Mannschaft einen breiten Gürtel
von rother Wolle und über diesem den schwarzen Leibriemen, an dem der
Infanterist zwei Patronentaschen und das Bayonnet. der Kavallerist und Ar¬
tillerist an einem Hängeriemen eine Cartouche trägt. Die Kopfbedeckung ist
bei der gesammten Armee das rothe Feß mit schwarzer Quaste. Dasselbe ist
eine für den Soldaten höchst ungeeignete Kopfbedeckung; denn es schützt, da
es schirmlos ist, weder gegen den Regen, noch gegen den Brand und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/352>, abgerufen am 27.09.2024.