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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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vermochten sie doch nicht, letztere zu einer Aenderung ihres Beschlusses zu
bringen, und so blieb nur übrig, daß der König im Landtagsabschiede sein
"Bedauern" über mehreres "nicht zu Stande Gekommene" aussprach und
mit einem gelinden Tadel "des Widerstreits der Meinungen, der selbst auf
die Form einiger Reden nicht ohne Einfluß geblieben", seinen "Lieben und
Getreuen" Lebewohl sagte. Und das war richtig: formloser, alles Maß des
parlamentarisch Erlaubten überschreitend ist auch selten in einer Kammer ge¬
redet worden, als es die Heißsporne der klerikalen Partei, namentlich etliche,
deren Rednerbühne sonst eine heilige Stätte, die Kanzel, ist, gethan haben.
Schuldig geblieben ist ihnen die liberale Rednerschaft nie etwas, an kräftigen
Hieben und Schlägen hat's ihr niemals gefehlt, einzelne derselben haben oft
ihr patriotisches Gegenüber unbarmherzig zerzaust und zugerichtet, wie -- wie
ein geflügeltes Wort ging, vom "geschundenen Raubritter" -- aber der Ton
der Bauernvereine und der kaplanokrarischen Hetzpresse ist auf der linken Seite
des Hauses niemals angeschlagen worden.

Einer besonders wichtigen Verhandlung sei nach Erwähnung gethan:
der über das Wahlgesetz. Schon im letzten Landtag hatte die Regierung den
Entwurf eines solchen auf directe Wahl mit gesetzlich festgestellter Wahlkreis¬
eintheilung eingebracht; an den abnormen Verhältnissen der Kammerzusam¬
mensetzung, an der Unmöglichkeit bei allem EinVerständniß über das Bedürf¬
niß eines neuen Wahlgesetzes und den Modus der directen Stimmabgabe sich
über jene Wahlkreise zu einigen, war jener nach langen, nutzlosen, aber
mühevollen Ausschußverhandlungen gescheitert. Die Regierung hatte darum
die Lust verloren, zu einer neuen Sisyphus-Arbeit die Initiative zu ergreifen
und auf eine schon im Oktober v. I. gestellte Jnterpellation Jörg's eine
solche verweigert. Da kam der Politiker von der Trautnitz mit einem Ini¬
tiativantrag seitens der Kammer und lege derselben den im vorigen
Jahre aufgehobenen Entwurf als den eines neuen Gesetzes vor. Wieder trat
der Ausschuß aä live zusammen, platzten in ihm die Geister auf einander,
wollte keine Partei der andern einen Fußbreit in irgend einem Wahlkreise
nachgeben, und wieder war das Endresultat dasselbe: Ablehnung des Gesetz¬
entwurfes durch die liberale Minorität der Commission. Das einzig Neue
war nur, daß diesmal auch das Plenum in die Berathung des Gesetzes ein¬
trat, da aber für dasselbe als Verfassungsgesetz ein Drittel der Majorität der
Stimmen nöthig war, so entschied sich auch dort rasch sein Schicksal. Die
gesammte Linke stimmte gegen das Gesetz, nicht aus prinzipieller Abneigung
gegen das directe Wahlrecht -- denn in dem Punkte war sie mit den Gegnern
einverstanden -- sondern nur wegen der von Jörg vorgeschlagenen Wahlkreis¬
eintheilung, die den Ultramontanen ein Uebergewicht verschafft haben würde,
das ohne einen politischen Selbstmord zu begehen, ihnen durch Mitwirkung


vermochten sie doch nicht, letztere zu einer Aenderung ihres Beschlusses zu
bringen, und so blieb nur übrig, daß der König im Landtagsabschiede sein
„Bedauern" über mehreres „nicht zu Stande Gekommene" aussprach und
mit einem gelinden Tadel „des Widerstreits der Meinungen, der selbst auf
die Form einiger Reden nicht ohne Einfluß geblieben", seinen „Lieben und
Getreuen" Lebewohl sagte. Und das war richtig: formloser, alles Maß des
parlamentarisch Erlaubten überschreitend ist auch selten in einer Kammer ge¬
redet worden, als es die Heißsporne der klerikalen Partei, namentlich etliche,
deren Rednerbühne sonst eine heilige Stätte, die Kanzel, ist, gethan haben.
Schuldig geblieben ist ihnen die liberale Rednerschaft nie etwas, an kräftigen
Hieben und Schlägen hat's ihr niemals gefehlt, einzelne derselben haben oft
ihr patriotisches Gegenüber unbarmherzig zerzaust und zugerichtet, wie — wie
ein geflügeltes Wort ging, vom „geschundenen Raubritter" — aber der Ton
der Bauernvereine und der kaplanokrarischen Hetzpresse ist auf der linken Seite
des Hauses niemals angeschlagen worden.

Einer besonders wichtigen Verhandlung sei nach Erwähnung gethan:
der über das Wahlgesetz. Schon im letzten Landtag hatte die Regierung den
Entwurf eines solchen auf directe Wahl mit gesetzlich festgestellter Wahlkreis¬
eintheilung eingebracht; an den abnormen Verhältnissen der Kammerzusam¬
mensetzung, an der Unmöglichkeit bei allem EinVerständniß über das Bedürf¬
niß eines neuen Wahlgesetzes und den Modus der directen Stimmabgabe sich
über jene Wahlkreise zu einigen, war jener nach langen, nutzlosen, aber
mühevollen Ausschußverhandlungen gescheitert. Die Regierung hatte darum
die Lust verloren, zu einer neuen Sisyphus-Arbeit die Initiative zu ergreifen
und auf eine schon im Oktober v. I. gestellte Jnterpellation Jörg's eine
solche verweigert. Da kam der Politiker von der Trautnitz mit einem Ini¬
tiativantrag seitens der Kammer und lege derselben den im vorigen
Jahre aufgehobenen Entwurf als den eines neuen Gesetzes vor. Wieder trat
der Ausschuß aä live zusammen, platzten in ihm die Geister auf einander,
wollte keine Partei der andern einen Fußbreit in irgend einem Wahlkreise
nachgeben, und wieder war das Endresultat dasselbe: Ablehnung des Gesetz¬
entwurfes durch die liberale Minorität der Commission. Das einzig Neue
war nur, daß diesmal auch das Plenum in die Berathung des Gesetzes ein¬
trat, da aber für dasselbe als Verfassungsgesetz ein Drittel der Majorität der
Stimmen nöthig war, so entschied sich auch dort rasch sein Schicksal. Die
gesammte Linke stimmte gegen das Gesetz, nicht aus prinzipieller Abneigung
gegen das directe Wahlrecht — denn in dem Punkte war sie mit den Gegnern
einverstanden — sondern nur wegen der von Jörg vorgeschlagenen Wahlkreis¬
eintheilung, die den Ultramontanen ein Uebergewicht verschafft haben würde,
das ohne einen politischen Selbstmord zu begehen, ihnen durch Mitwirkung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/343>, abgerufen am 27.09.2024.