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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Herrn Professor Ernst Curtius auf Veranlassung eines römischen Archäo¬
logen eine Collection von antiken Goldsachen und geschulteren Steinen, die
man in Etrurien gefunden haben sollte, angeboten und von ihm für 56,000
Mark angekauft worden sei, ohne daß Herr Curtius es für nothwendig ge¬
halten hätte, sich die betreffenden Gegenstände vorher im Original anzusehen.
Als die neuen Erwerbungen dann in Berlin angekommen seien, habe sich
herausgestellt, daß sie zum größten Theil aus Fälschungen beständen. Gefälscht
seien die geschnittenen Steine, gefälcht, mit Ausnahme eines Kranzes, sämmt¬
liche Goldarbeiten, echt außer jenem nur einige miterworbene Silbersachen.
Alle, welche diese "Alterthümer" zu Gesicht bekommen hätten, wären im Ur¬
theil über ihre Unechtheit einig, nur der Director des Antiquariums hielte
noch an der guten Meinung fest, in der er sie für das Museum gekauft
habe. Eine wissenschaftliche Widerlegung dieser Meinung soll, wie wir aus
anderer Quelle erfahren, demnächst erscheinen, und wir werden dann Aus¬
führlicheres über die Sache berichten, wobei es uns wohl thun sollte, wenn
Herr Curtius beweisen könnte, daß nicht die böse Zweifelsucht, sondern er
das schärfere Auge und den besseren Geschmack gehabt hätte.

Man sollte meinen, zwei Unglücksfälle der gedachten Art wären genug
Schaden für das Ansehen einer gelehrten Körperschaft, ja man könnte denken,
sie wären eigentlich eine schon zu harte Strafe für etwa zu stark entwickeltes
Selbstgefühl bei derselben, zumal hier, wo sie sich in den Raum eines Jahres
zusammen drängen. Das Schicksal aber, das die Unfehlbarkeit der Unsterb¬
lichen des Berliner Olymps verfolgt, scheint andrer Ansicht zu sein. Soeben
kommt uns -- es ist wirklich grausam, es wird einem wie vor der Ntobe-
gruppe, wie mitten im zweiundzwanzigsten Gesänge der Odyssee zu Muthe
-- die wohlverbürgte Nachricht zu, daß wieder ein Opfer gefallen ist. Wir
meinen die Schrift Theodor Bergl's "Inschriften rö mischer S chleuder-
geschosse nebst einem Vorwort über moderne Fälschung en" und
den darin geführten Nachweis, daß eine Sammlung solcher Geschosse, welche
das Berliner Museum auf die Autorität Theodor Mommsen's hin, den
die Herren Olshausen und Curtius als Collegen in der philosophisch - histori¬
schen Klasse der Akademie verehren, angekauft hat, -- man sollte nicht glau¬
ben, daß in solcher Alpenhöhe über uns anderen Sterblichen noch Irrthum
zu athmen vermöchte, aber die Vorrede zu Bergl's Broschüre benachrichtigt
uns leider, daß die Sache bereits widerspruchslos feststeht -- daß also jene
Sammlung keinen oder doch nur theilweise einigen Anspruch auf Echtheit
besitzt und fast nichts als das Erzeugniß einer modernen italienischen Fabrik
zur Anfertigung von Pseudoalterthümern ist, mit andern Worten, daß wir
in diesen angeblichen Antiken, dieser von dem berühmtesten Epigraphiker


Herrn Professor Ernst Curtius auf Veranlassung eines römischen Archäo¬
logen eine Collection von antiken Goldsachen und geschulteren Steinen, die
man in Etrurien gefunden haben sollte, angeboten und von ihm für 56,000
Mark angekauft worden sei, ohne daß Herr Curtius es für nothwendig ge¬
halten hätte, sich die betreffenden Gegenstände vorher im Original anzusehen.
Als die neuen Erwerbungen dann in Berlin angekommen seien, habe sich
herausgestellt, daß sie zum größten Theil aus Fälschungen beständen. Gefälscht
seien die geschnittenen Steine, gefälcht, mit Ausnahme eines Kranzes, sämmt¬
liche Goldarbeiten, echt außer jenem nur einige miterworbene Silbersachen.
Alle, welche diese „Alterthümer" zu Gesicht bekommen hätten, wären im Ur¬
theil über ihre Unechtheit einig, nur der Director des Antiquariums hielte
noch an der guten Meinung fest, in der er sie für das Museum gekauft
habe. Eine wissenschaftliche Widerlegung dieser Meinung soll, wie wir aus
anderer Quelle erfahren, demnächst erscheinen, und wir werden dann Aus¬
führlicheres über die Sache berichten, wobei es uns wohl thun sollte, wenn
Herr Curtius beweisen könnte, daß nicht die böse Zweifelsucht, sondern er
das schärfere Auge und den besseren Geschmack gehabt hätte.

Man sollte meinen, zwei Unglücksfälle der gedachten Art wären genug
Schaden für das Ansehen einer gelehrten Körperschaft, ja man könnte denken,
sie wären eigentlich eine schon zu harte Strafe für etwa zu stark entwickeltes
Selbstgefühl bei derselben, zumal hier, wo sie sich in den Raum eines Jahres
zusammen drängen. Das Schicksal aber, das die Unfehlbarkeit der Unsterb¬
lichen des Berliner Olymps verfolgt, scheint andrer Ansicht zu sein. Soeben
kommt uns — es ist wirklich grausam, es wird einem wie vor der Ntobe-
gruppe, wie mitten im zweiundzwanzigsten Gesänge der Odyssee zu Muthe
— die wohlverbürgte Nachricht zu, daß wieder ein Opfer gefallen ist. Wir
meinen die Schrift Theodor Bergl's „Inschriften rö mischer S chleuder-
geschosse nebst einem Vorwort über moderne Fälschung en" und
den darin geführten Nachweis, daß eine Sammlung solcher Geschosse, welche
das Berliner Museum auf die Autorität Theodor Mommsen's hin, den
die Herren Olshausen und Curtius als Collegen in der philosophisch - histori¬
schen Klasse der Akademie verehren, angekauft hat, — man sollte nicht glau¬
ben, daß in solcher Alpenhöhe über uns anderen Sterblichen noch Irrthum
zu athmen vermöchte, aber die Vorrede zu Bergl's Broschüre benachrichtigt
uns leider, daß die Sache bereits widerspruchslos feststeht — daß also jene
Sammlung keinen oder doch nur theilweise einigen Anspruch auf Echtheit
besitzt und fast nichts als das Erzeugniß einer modernen italienischen Fabrik
zur Anfertigung von Pseudoalterthümern ist, mit andern Worten, daß wir
in diesen angeblichen Antiken, dieser von dem berühmtesten Epigraphiker


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[0330] Herrn Professor Ernst Curtius auf Veranlassung eines römischen Archäo¬ logen eine Collection von antiken Goldsachen und geschulteren Steinen, die man in Etrurien gefunden haben sollte, angeboten und von ihm für 56,000 Mark angekauft worden sei, ohne daß Herr Curtius es für nothwendig ge¬ halten hätte, sich die betreffenden Gegenstände vorher im Original anzusehen. Als die neuen Erwerbungen dann in Berlin angekommen seien, habe sich herausgestellt, daß sie zum größten Theil aus Fälschungen beständen. Gefälscht seien die geschnittenen Steine, gefälcht, mit Ausnahme eines Kranzes, sämmt¬ liche Goldarbeiten, echt außer jenem nur einige miterworbene Silbersachen. Alle, welche diese „Alterthümer" zu Gesicht bekommen hätten, wären im Ur¬ theil über ihre Unechtheit einig, nur der Director des Antiquariums hielte noch an der guten Meinung fest, in der er sie für das Museum gekauft habe. Eine wissenschaftliche Widerlegung dieser Meinung soll, wie wir aus anderer Quelle erfahren, demnächst erscheinen, und wir werden dann Aus¬ führlicheres über die Sache berichten, wobei es uns wohl thun sollte, wenn Herr Curtius beweisen könnte, daß nicht die böse Zweifelsucht, sondern er das schärfere Auge und den besseren Geschmack gehabt hätte. Man sollte meinen, zwei Unglücksfälle der gedachten Art wären genug Schaden für das Ansehen einer gelehrten Körperschaft, ja man könnte denken, sie wären eigentlich eine schon zu harte Strafe für etwa zu stark entwickeltes Selbstgefühl bei derselben, zumal hier, wo sie sich in den Raum eines Jahres zusammen drängen. Das Schicksal aber, das die Unfehlbarkeit der Unsterb¬ lichen des Berliner Olymps verfolgt, scheint andrer Ansicht zu sein. Soeben kommt uns — es ist wirklich grausam, es wird einem wie vor der Ntobe- gruppe, wie mitten im zweiundzwanzigsten Gesänge der Odyssee zu Muthe — die wohlverbürgte Nachricht zu, daß wieder ein Opfer gefallen ist. Wir meinen die Schrift Theodor Bergl's „Inschriften rö mischer S chleuder- geschosse nebst einem Vorwort über moderne Fälschung en" und den darin geführten Nachweis, daß eine Sammlung solcher Geschosse, welche das Berliner Museum auf die Autorität Theodor Mommsen's hin, den die Herren Olshausen und Curtius als Collegen in der philosophisch - histori¬ schen Klasse der Akademie verehren, angekauft hat, — man sollte nicht glau¬ ben, daß in solcher Alpenhöhe über uns anderen Sterblichen noch Irrthum zu athmen vermöchte, aber die Vorrede zu Bergl's Broschüre benachrichtigt uns leider, daß die Sache bereits widerspruchslos feststeht — daß also jene Sammlung keinen oder doch nur theilweise einigen Anspruch auf Echtheit besitzt und fast nichts als das Erzeugniß einer modernen italienischen Fabrik zur Anfertigung von Pseudoalterthümern ist, mit andern Worten, daß wir in diesen angeblichen Antiken, dieser von dem berühmtesten Epigraphiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/330>, abgerufen am 27.09.2024.