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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der Gemeindevorsteher mußte, um nur einige der Hauptzüge anzuführen, zu¬
erst die Genehmigung des Unterpräfecten zur Zusammenberufung des Ge¬
meinderaths einholen. Der Letztere mußte eine Commission zur Untersuchung
des Gegenstandes ernennen. Nachdem der Gemeinderath auf Grund des er¬
statteten Berichts sein Programm entworfen, mußte der Bürgermeister von den
sachverständigen Gewerbsleuten den Plan und Kostenanschlag machen lassen,
und nachdem dieser vom Gemeinderath nach mehr oder weniger Aenderungen,
Verhandlungen mit den Unternehmern und Sitzungen vom Gemeinderath ge¬
nehmigt, ging das Gesuch um die Bewilligung der Ausgabe aus den verfüg¬
baren oder zu schaffenden Mitteln des Gemeinde-Säckels mit detailirten Kosten¬
anschlag an den Unterpräfecten. Von diesem ging dann das Gesuch mit sämmt¬
lichen bis dahin in der Sache angehäuften Acten an den Präfecten des
Departements. Erst nachdem der Präfect dasselbe nach seiner finanziellen und
technischen Seite in seiner Finanzabtheilung und in seinem Bureau für
öffentliche Arbeiten hatte prüfen lassen, ging das Creditgesuch an den Ftnanz-
minister, der Kostenanschlag aber an den Minister der öffentlichen Arbeiten,
das Gesammte zuletzt an den Minister des Innern, und nachdem sie von
Beiden entschieden, gelangten sie durch denselben Jnstanzengang wieder in die
Gemeinde zurück. Im günstigen Fall d. h. wenn die Eingabe auf keine
Schwierigkeiten stieß, konnte dieselbe nach Jahr und Tag erledigt sein. Be¬
gegnete sie hingegen Bedenken in dem Bureau der Präfecten oder der Minister,
und mußten die Acten deshalb ein oder mehrere Male zwischendurch zurück¬
wandern, so konnten auch mehrere Jahre vergehen. Man wird sich unter
solchen Umständen nicht wundern, wenn Vieles in den französischen Gemeinden
in Verfall gerieth, und daß im Ganzen genommen die französischen Dörfer
ein weit verwahrlosteres Aussehen haben, als diejenigen von Süd-West-Deutsch¬
land, der deutschen Provinzen Oesterreichs und der Schweiz, obgleich Frank¬
reich an und für sich ein reicheres Land ist. Als Beispiel mag jener Fall
dienen, daß eine Dorfgemeinde unter dem Ministerium von Thiers eine
Brücke über den Adour schadhaft gefunden und um die Erlaubniß gebeten
hatte, sie auf eigene Kosten ausbessern zu lassen. Nachdem das im Sommer
eingereichte Gesuch den oben erwähnten Jnstanzengang durchlaufen, kam im
Frühjahr darauf der Bescheid, daß eine Commission den Zustand der Brücke
untersuchen solle, um zu entscheiden, ob die Ausbesserung auch nöthig sei.
Dieser Bescheid war aber gegenstandslos geworden, weil die Brücke mittler¬
weile bereits eingestürzt war. Diese unvernünftige Art der Centralisation ist
seitdem insbesondere durch die Institution der Generalräthe, auf welche in
Gemeinschaft mit den Präfecten ein Theil der Befugnisse der Centralgewalt
über Localsachen übertragen wurde, wesentlich gemildert worden. Wie nach¬
theilig aber ttotzdem ihre Wirkung noch bis in die letzte Zeit sich fühlbar


Der Gemeindevorsteher mußte, um nur einige der Hauptzüge anzuführen, zu¬
erst die Genehmigung des Unterpräfecten zur Zusammenberufung des Ge¬
meinderaths einholen. Der Letztere mußte eine Commission zur Untersuchung
des Gegenstandes ernennen. Nachdem der Gemeinderath auf Grund des er¬
statteten Berichts sein Programm entworfen, mußte der Bürgermeister von den
sachverständigen Gewerbsleuten den Plan und Kostenanschlag machen lassen,
und nachdem dieser vom Gemeinderath nach mehr oder weniger Aenderungen,
Verhandlungen mit den Unternehmern und Sitzungen vom Gemeinderath ge¬
nehmigt, ging das Gesuch um die Bewilligung der Ausgabe aus den verfüg¬
baren oder zu schaffenden Mitteln des Gemeinde-Säckels mit detailirten Kosten¬
anschlag an den Unterpräfecten. Von diesem ging dann das Gesuch mit sämmt¬
lichen bis dahin in der Sache angehäuften Acten an den Präfecten des
Departements. Erst nachdem der Präfect dasselbe nach seiner finanziellen und
technischen Seite in seiner Finanzabtheilung und in seinem Bureau für
öffentliche Arbeiten hatte prüfen lassen, ging das Creditgesuch an den Ftnanz-
minister, der Kostenanschlag aber an den Minister der öffentlichen Arbeiten,
das Gesammte zuletzt an den Minister des Innern, und nachdem sie von
Beiden entschieden, gelangten sie durch denselben Jnstanzengang wieder in die
Gemeinde zurück. Im günstigen Fall d. h. wenn die Eingabe auf keine
Schwierigkeiten stieß, konnte dieselbe nach Jahr und Tag erledigt sein. Be¬
gegnete sie hingegen Bedenken in dem Bureau der Präfecten oder der Minister,
und mußten die Acten deshalb ein oder mehrere Male zwischendurch zurück¬
wandern, so konnten auch mehrere Jahre vergehen. Man wird sich unter
solchen Umständen nicht wundern, wenn Vieles in den französischen Gemeinden
in Verfall gerieth, und daß im Ganzen genommen die französischen Dörfer
ein weit verwahrlosteres Aussehen haben, als diejenigen von Süd-West-Deutsch¬
land, der deutschen Provinzen Oesterreichs und der Schweiz, obgleich Frank¬
reich an und für sich ein reicheres Land ist. Als Beispiel mag jener Fall
dienen, daß eine Dorfgemeinde unter dem Ministerium von Thiers eine
Brücke über den Adour schadhaft gefunden und um die Erlaubniß gebeten
hatte, sie auf eigene Kosten ausbessern zu lassen. Nachdem das im Sommer
eingereichte Gesuch den oben erwähnten Jnstanzengang durchlaufen, kam im
Frühjahr darauf der Bescheid, daß eine Commission den Zustand der Brücke
untersuchen solle, um zu entscheiden, ob die Ausbesserung auch nöthig sei.
Dieser Bescheid war aber gegenstandslos geworden, weil die Brücke mittler¬
weile bereits eingestürzt war. Diese unvernünftige Art der Centralisation ist
seitdem insbesondere durch die Institution der Generalräthe, auf welche in
Gemeinschaft mit den Präfecten ein Theil der Befugnisse der Centralgewalt
über Localsachen übertragen wurde, wesentlich gemildert worden. Wie nach¬
theilig aber ttotzdem ihre Wirkung noch bis in die letzte Zeit sich fühlbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/308>, abgerufen am 27.09.2024.