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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Derselbe besitzt auch noch eine große Anzahl von Bergwerken und beschäftigte
vor dem Ausbruche der Krisis nicht weniger als 14000 Arbeiter. Diese Bei¬
spiele mögen für viele gelten. Bei diesen großen industriellen Etablissements
stehen die Verhältnisse gerade wegen der großen Verschiedenheit ihrer mannig¬
fachen Erzeugnisse viel schwieriger als bei den Eisenbahnen, wo es sich doch
nur immer um ein und denselben sich gleichbleibenden Gegenstand handelt,
auf welchen die in Folge von Verbesserungen und Erfindungen sich aufdrängen¬
den Veränderungen nur in längeren Zeiträumen eingeführt zu werden pflegen.
Eine andere Analogie finden wir bei der Einrichtung und Führung der großen
Heere, bei welcher namentlich in den letzten Kriegen sich gezeigt hat, daß die
möglichst große Selbständigkeit der einzelnen Theile mit der Centralleitung nicht
blos vereinbar ist, sondern daß die Führer großer Heere überhaupt blos im
Stande sind, mittelst dieser Selbständigkeit der einzelnen Theile einen aus¬
giebigen Erfolg zu erreichen. Im Staatsleben preisen wir eine ähnliche Ein¬
richtung als einen politischen Fortschritt der Neuzeit, der um so wichtiger
genannt werden muß, je seltener überhaupt in der Staatsform Fortschritte
gemacht zu werden pflegen. Im Alterthum begegnen wir in dieser Hinsicht
zwei Staatsformen der völligen Decentralisation und Zersplitterung, wie sie
in Griechenland, Thracien, Germanien und Gallien bestand, und der mecha¬
nischen Centralisation, wie sie in Egypten, Persien und im Römerreich zur
Geltung gelangte. Beide Formen haben keinen befriedigenden Bestand gehabt,
die eine wegen der mit der Zersplitterung verbundenen Schwäche, die andere
wegen der aus der mechanischen Centralisation hervorgehenden Vernachlässigung
der einzelnen Theile. Deshalb ist die seit einem Jahrhundert ins Leben getretene
Föderativ-Staatsform, welche gegenwärtig mit größeren oder geringeren Ab¬
weichungen in Amerika und der Schweiz, sowie in Deutschland und Oesterreich
besteht, als ein Fortschritt zu betrachten, weil er die Kraft des Ganzen nach
Außen zur Geltung gelangen läßt, ohne die gedeihliche Verwaltung der einzel¬
nen Staaten zu vernachlässigen. Es giebt auch centrale Staaten, wie England,
Preußen, Baden, in welchen die politische Organisation nach dem Princip der
Selbstverwaltung der einzelnen Theile ausgebaut ist, und in welchen weder die
localen noch die centralen Interessen vernachlässigt werden.

Ganz anders beschaffen ist freilich die rein mechanische irrationelle Cen¬
tralisation , wie sie z. B. in Frankreich bestand, in den letzten Jahrzehnten
aber durch die Schöpfung der Generalräthe, in den Departements und durch
die etwas unabhängiger gewordene Stellung der Gemeinden einigermaßen re-
formirt worden ist. Wenn die Gegner der Centralisation unter solcher die¬
jenige Einrichtung verstehen, die bis vor 20 Jahren in Frankreich bestand,
so haben sie ganz Recht, wenn sie behaupten, daß bei einer solchen Einrich¬
tung die localen Interessen nicht gewahrt werden können. Wir möchten so-


Derselbe besitzt auch noch eine große Anzahl von Bergwerken und beschäftigte
vor dem Ausbruche der Krisis nicht weniger als 14000 Arbeiter. Diese Bei¬
spiele mögen für viele gelten. Bei diesen großen industriellen Etablissements
stehen die Verhältnisse gerade wegen der großen Verschiedenheit ihrer mannig¬
fachen Erzeugnisse viel schwieriger als bei den Eisenbahnen, wo es sich doch
nur immer um ein und denselben sich gleichbleibenden Gegenstand handelt,
auf welchen die in Folge von Verbesserungen und Erfindungen sich aufdrängen¬
den Veränderungen nur in längeren Zeiträumen eingeführt zu werden pflegen.
Eine andere Analogie finden wir bei der Einrichtung und Führung der großen
Heere, bei welcher namentlich in den letzten Kriegen sich gezeigt hat, daß die
möglichst große Selbständigkeit der einzelnen Theile mit der Centralleitung nicht
blos vereinbar ist, sondern daß die Führer großer Heere überhaupt blos im
Stande sind, mittelst dieser Selbständigkeit der einzelnen Theile einen aus¬
giebigen Erfolg zu erreichen. Im Staatsleben preisen wir eine ähnliche Ein¬
richtung als einen politischen Fortschritt der Neuzeit, der um so wichtiger
genannt werden muß, je seltener überhaupt in der Staatsform Fortschritte
gemacht zu werden pflegen. Im Alterthum begegnen wir in dieser Hinsicht
zwei Staatsformen der völligen Decentralisation und Zersplitterung, wie sie
in Griechenland, Thracien, Germanien und Gallien bestand, und der mecha¬
nischen Centralisation, wie sie in Egypten, Persien und im Römerreich zur
Geltung gelangte. Beide Formen haben keinen befriedigenden Bestand gehabt,
die eine wegen der mit der Zersplitterung verbundenen Schwäche, die andere
wegen der aus der mechanischen Centralisation hervorgehenden Vernachlässigung
der einzelnen Theile. Deshalb ist die seit einem Jahrhundert ins Leben getretene
Föderativ-Staatsform, welche gegenwärtig mit größeren oder geringeren Ab¬
weichungen in Amerika und der Schweiz, sowie in Deutschland und Oesterreich
besteht, als ein Fortschritt zu betrachten, weil er die Kraft des Ganzen nach
Außen zur Geltung gelangen läßt, ohne die gedeihliche Verwaltung der einzel¬
nen Staaten zu vernachlässigen. Es giebt auch centrale Staaten, wie England,
Preußen, Baden, in welchen die politische Organisation nach dem Princip der
Selbstverwaltung der einzelnen Theile ausgebaut ist, und in welchen weder die
localen noch die centralen Interessen vernachlässigt werden.

Ganz anders beschaffen ist freilich die rein mechanische irrationelle Cen¬
tralisation , wie sie z. B. in Frankreich bestand, in den letzten Jahrzehnten
aber durch die Schöpfung der Generalräthe, in den Departements und durch
die etwas unabhängiger gewordene Stellung der Gemeinden einigermaßen re-
formirt worden ist. Wenn die Gegner der Centralisation unter solcher die¬
jenige Einrichtung verstehen, die bis vor 20 Jahren in Frankreich bestand,
so haben sie ganz Recht, wenn sie behaupten, daß bei einer solchen Einrich¬
tung die localen Interessen nicht gewahrt werden können. Wir möchten so-


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[0306] Derselbe besitzt auch noch eine große Anzahl von Bergwerken und beschäftigte vor dem Ausbruche der Krisis nicht weniger als 14000 Arbeiter. Diese Bei¬ spiele mögen für viele gelten. Bei diesen großen industriellen Etablissements stehen die Verhältnisse gerade wegen der großen Verschiedenheit ihrer mannig¬ fachen Erzeugnisse viel schwieriger als bei den Eisenbahnen, wo es sich doch nur immer um ein und denselben sich gleichbleibenden Gegenstand handelt, auf welchen die in Folge von Verbesserungen und Erfindungen sich aufdrängen¬ den Veränderungen nur in längeren Zeiträumen eingeführt zu werden pflegen. Eine andere Analogie finden wir bei der Einrichtung und Führung der großen Heere, bei welcher namentlich in den letzten Kriegen sich gezeigt hat, daß die möglichst große Selbständigkeit der einzelnen Theile mit der Centralleitung nicht blos vereinbar ist, sondern daß die Führer großer Heere überhaupt blos im Stande sind, mittelst dieser Selbständigkeit der einzelnen Theile einen aus¬ giebigen Erfolg zu erreichen. Im Staatsleben preisen wir eine ähnliche Ein¬ richtung als einen politischen Fortschritt der Neuzeit, der um so wichtiger genannt werden muß, je seltener überhaupt in der Staatsform Fortschritte gemacht zu werden pflegen. Im Alterthum begegnen wir in dieser Hinsicht zwei Staatsformen der völligen Decentralisation und Zersplitterung, wie sie in Griechenland, Thracien, Germanien und Gallien bestand, und der mecha¬ nischen Centralisation, wie sie in Egypten, Persien und im Römerreich zur Geltung gelangte. Beide Formen haben keinen befriedigenden Bestand gehabt, die eine wegen der mit der Zersplitterung verbundenen Schwäche, die andere wegen der aus der mechanischen Centralisation hervorgehenden Vernachlässigung der einzelnen Theile. Deshalb ist die seit einem Jahrhundert ins Leben getretene Föderativ-Staatsform, welche gegenwärtig mit größeren oder geringeren Ab¬ weichungen in Amerika und der Schweiz, sowie in Deutschland und Oesterreich besteht, als ein Fortschritt zu betrachten, weil er die Kraft des Ganzen nach Außen zur Geltung gelangen läßt, ohne die gedeihliche Verwaltung der einzel¬ nen Staaten zu vernachlässigen. Es giebt auch centrale Staaten, wie England, Preußen, Baden, in welchen die politische Organisation nach dem Princip der Selbstverwaltung der einzelnen Theile ausgebaut ist, und in welchen weder die localen noch die centralen Interessen vernachlässigt werden. Ganz anders beschaffen ist freilich die rein mechanische irrationelle Cen¬ tralisation , wie sie z. B. in Frankreich bestand, in den letzten Jahrzehnten aber durch die Schöpfung der Generalräthe, in den Departements und durch die etwas unabhängiger gewordene Stellung der Gemeinden einigermaßen re- formirt worden ist. Wenn die Gegner der Centralisation unter solcher die¬ jenige Einrichtung verstehen, die bis vor 20 Jahren in Frankreich bestand, so haben sie ganz Recht, wenn sie behaupten, daß bei einer solchen Einrich¬ tung die localen Interessen nicht gewahrt werden können. Wir möchten so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/306>, abgerufen am 27.09.2024.