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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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eine seltsame Verquickung stattfand, eine Ausdehnung der Concurrenz weniger
in der Herstellung von Paralelllinien als nach der Seite des Betriebs ange¬
strebt wurde. Die Einen verlangten die Trennung des Eisenbahnbetriebs in
das Transport- und in das Speditions - Geschäft, wovon das letztere der
Privatindustrie überlassen werden sollte. Die Andern gingen aber noch weiter
und schlugen vor, die Eisenbahnen überhaupt zu öffentlichen Landstraßen zu
erklären, auf welchen jeder mit seinen eigenen Locomotiven und eigenen Wegen
gegen ein entsprechendes Wegegeld verkehren könne. Man würde diese Forde¬
rungen einer umsichtigen Prüfung unterziehen müssen, wenn in irgend einem
Lande bereits Erfahrungen zu ihren Gunsten gemacht worden wären oder
wenn noch gar keine Erfahrungen darüber vorlagen. Nun sind aber diese
beiden Einrichtungen im Mutterlande der Eisenbahnen, in Großbritanien be¬
reits erprobt und als unvortheilhaft oder gefährlich für den öffentlichen Ver¬
kehr beseitigt worden.

Wer einigermaßen Erfahrungen im Transportwesen gemacht hat und
nicht gerade das Interesse der Spediteure vertritt, kann nicht im Zweifel da¬
rüber sein, daß das große Publikum durch die Ablösung des Speditions¬
geschäftes von der Eisenbahnverwaltung viel langsamer, schlechter und theuerer
bedient werden würde; und daß Niemand einen Vortheil haben würde als
die Spediteure. Es hieße geradezu den Bock zum Gärtner machen. Es ist
leicht zu behaupten, daß die Spediteure, welche bei einer solchen Einrichtung
die ganzen Güterwagen von der Eisenbahn miethen und die Frachtgegenstände
sammeln würden bis je ein Wagen voll geladen werden kann, durch die
Concurrenz untereinander die Frachtsätze auf einen möglichst niedrigen Satz
Herabdrücken würden. Allein wenn man irgendwo mit den persönlichen Eigen¬
schaften und Rücksichten der Personen rechnen muß, so sind es die Spediteure,
an deren Eigennutz alle volkswirthschaftlichen Lehren zu Schanden zu werden
scheinen. Wir wissen recht wohl, daß das Generaltstren zum Irrthum führt,
daß die alten Römer unrecht gehabt haben, in dieser Weise den Handelsstand
überhaupt verächtlich zu behandeln, allein bei den Spediteuren scheint in der
That in der Spesenberechnung eine gewisse Unreellität sehr häufig vorzukommen.
Es mag dies im Charakter des Geschäfts liegen. Da die meisten Leute nur
selten Sendungen zu machen haben, so kommt es ihnen nicht darauf an, dem
Spediteur stark auf die Finger zu sehen und dieser kann, wenn er seinen
Kunden etwas übernimmt, sich mit dem Gedanken trösten, daß derselbe ohne¬
hin sobald nicht wiederkommt und bis er aufs Neue seiner bedarf, die gesal¬
zene Rechnung vergessen haben wird. Anders mögen sie sich freilich gegenüber
dem Handelsstande oder allen solchen Geschäftsleuten verhalten, welche häufige
und regelmäßige Sendungen zu machen haben. Hier ist der Spediteur, da er
sich einem Sachverständigen und regelmäßigen Kunden gegenüber befindet,


eine seltsame Verquickung stattfand, eine Ausdehnung der Concurrenz weniger
in der Herstellung von Paralelllinien als nach der Seite des Betriebs ange¬
strebt wurde. Die Einen verlangten die Trennung des Eisenbahnbetriebs in
das Transport- und in das Speditions - Geschäft, wovon das letztere der
Privatindustrie überlassen werden sollte. Die Andern gingen aber noch weiter
und schlugen vor, die Eisenbahnen überhaupt zu öffentlichen Landstraßen zu
erklären, auf welchen jeder mit seinen eigenen Locomotiven und eigenen Wegen
gegen ein entsprechendes Wegegeld verkehren könne. Man würde diese Forde¬
rungen einer umsichtigen Prüfung unterziehen müssen, wenn in irgend einem
Lande bereits Erfahrungen zu ihren Gunsten gemacht worden wären oder
wenn noch gar keine Erfahrungen darüber vorlagen. Nun sind aber diese
beiden Einrichtungen im Mutterlande der Eisenbahnen, in Großbritanien be¬
reits erprobt und als unvortheilhaft oder gefährlich für den öffentlichen Ver¬
kehr beseitigt worden.

Wer einigermaßen Erfahrungen im Transportwesen gemacht hat und
nicht gerade das Interesse der Spediteure vertritt, kann nicht im Zweifel da¬
rüber sein, daß das große Publikum durch die Ablösung des Speditions¬
geschäftes von der Eisenbahnverwaltung viel langsamer, schlechter und theuerer
bedient werden würde; und daß Niemand einen Vortheil haben würde als
die Spediteure. Es hieße geradezu den Bock zum Gärtner machen. Es ist
leicht zu behaupten, daß die Spediteure, welche bei einer solchen Einrichtung
die ganzen Güterwagen von der Eisenbahn miethen und die Frachtgegenstände
sammeln würden bis je ein Wagen voll geladen werden kann, durch die
Concurrenz untereinander die Frachtsätze auf einen möglichst niedrigen Satz
Herabdrücken würden. Allein wenn man irgendwo mit den persönlichen Eigen¬
schaften und Rücksichten der Personen rechnen muß, so sind es die Spediteure,
an deren Eigennutz alle volkswirthschaftlichen Lehren zu Schanden zu werden
scheinen. Wir wissen recht wohl, daß das Generaltstren zum Irrthum führt,
daß die alten Römer unrecht gehabt haben, in dieser Weise den Handelsstand
überhaupt verächtlich zu behandeln, allein bei den Spediteuren scheint in der
That in der Spesenberechnung eine gewisse Unreellität sehr häufig vorzukommen.
Es mag dies im Charakter des Geschäfts liegen. Da die meisten Leute nur
selten Sendungen zu machen haben, so kommt es ihnen nicht darauf an, dem
Spediteur stark auf die Finger zu sehen und dieser kann, wenn er seinen
Kunden etwas übernimmt, sich mit dem Gedanken trösten, daß derselbe ohne¬
hin sobald nicht wiederkommt und bis er aufs Neue seiner bedarf, die gesal¬
zene Rechnung vergessen haben wird. Anders mögen sie sich freilich gegenüber
dem Handelsstande oder allen solchen Geschäftsleuten verhalten, welche häufige
und regelmäßige Sendungen zu machen haben. Hier ist der Spediteur, da er
sich einem Sachverständigen und regelmäßigen Kunden gegenüber befindet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/300>, abgerufen am 27.09.2024.