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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der beliebteste jener Sätze, welcher einst mit voller Berechtigung auch
von uns aufgestellt wurde und seit 20 Jahren als Axiom überall citirt zu
werden pflegt, ist die Ansicht, daß die gewerbliche Thätigkeit der Privaten
erfolgreicher sei, als die des Staates. Zur Zeit, als diese Ansicht zuerst aus¬
gesprochen und verfochten wurde, hatte sie ihre volle Berechtigung; denn sie
war gegen die gewerblichen Staatsanstalten gerichtet, welche aus der Zeit des
patriarchalischen Polizeistaates in unser Jahrhundert herüber gebracht worden
waren und durch den Schlendrian ihrer Verwaltung dem Staatssäckel nur
Unkosten verursachten. Dahin gehörten die nach französischer Schablone or-
ganisirten staatlichen Porzellanfabriken, manche Eisenhütten und andere in¬
dustrielle Anstalten. Schon bei den Bergwerken aber konnten selbst in der
Blüthe der Agitation gegen die Staats-Jndustrie die Bedenken nicht beseitigt
werden, daß der Privatbetrieb oft zu Raubbau ausartet.

In Beziehung auf die Waldungen herrschte unter Forstleuten und Volks¬
wirthen niemals ein Zweifel darüber, daß sie zum Wohl des Ganzen
nur durch den Staat tüchtig ausgebeutet werden könnten. Auch in Hinsicht
auf die Post ist niemals ein Zweifel gegen die Zweckmäßigkeit der Staats¬
verwaltung aufgekommen. So lange in Frankreich der Courier noch mittelst
Pferden befördert wurde, war die Packetversendung Privatunternehmungen über¬
lassen. Ein Jeder aber, der Gelegenheit hatte, diese Praxis kennen zu lernen,
hat sich davon überzeugen können, daß dieselbe in Sicherheit und Pünkt¬
lichkeit mit der deutsch-österreichischen Postbeförderung keinen Vergleich
aushielt.

Auch die Telegraphen sind auf dem Continent von vorneherein in den
Händen des Staates concentrirt worden. In England, wo sie zuerst Pri-
vatunternehmang waren, hat der Staat dieselben an sich gekauft. Dabei
wollen wir gleich hier bemerken, daß die Staatsverwaltung bis jetzt ein un¬
günstigeres finanzielles Ergebniß gehabt hat, als die Privat-Telegravhie,
allein nicht wegen schlechter Administration, sondern wegen sorgfältigerer
Rücksichtnahme auf die Interessen des Publikums. Die Linien wurden
nämlich bedeutend ausgedehnt und vermehrt und gleichzeitig die Preise
ermäßigt.

Nun muß vor allen Dingen Eines festgehalten werden, daß ursprünglich
überall da, wo die Privatindustrie als vorzüglicher der Staatsindustrie gegen¬
übergestellt wurde, nur die gewerbliche Thätigkeit einzelner Privatper¬
sonen darunter verstanden war. Man hatte die Beobachtung gemacht, daß die
Staatsindustrie unter Nachtheilen leidet, welche bei der Privatthätigkeit überhaupt
nicht aufkommen können: a) an der Indolenz, Bequemlichkeit und dem Mangel
an Interesse der Beamten, welche zu theuer einkaufen, sich zu wenig um die neuesten
Fortschritte, die Bemühungen der Concurrenten, die Bedürfnisse und Wünsche


Der beliebteste jener Sätze, welcher einst mit voller Berechtigung auch
von uns aufgestellt wurde und seit 20 Jahren als Axiom überall citirt zu
werden pflegt, ist die Ansicht, daß die gewerbliche Thätigkeit der Privaten
erfolgreicher sei, als die des Staates. Zur Zeit, als diese Ansicht zuerst aus¬
gesprochen und verfochten wurde, hatte sie ihre volle Berechtigung; denn sie
war gegen die gewerblichen Staatsanstalten gerichtet, welche aus der Zeit des
patriarchalischen Polizeistaates in unser Jahrhundert herüber gebracht worden
waren und durch den Schlendrian ihrer Verwaltung dem Staatssäckel nur
Unkosten verursachten. Dahin gehörten die nach französischer Schablone or-
ganisirten staatlichen Porzellanfabriken, manche Eisenhütten und andere in¬
dustrielle Anstalten. Schon bei den Bergwerken aber konnten selbst in der
Blüthe der Agitation gegen die Staats-Jndustrie die Bedenken nicht beseitigt
werden, daß der Privatbetrieb oft zu Raubbau ausartet.

In Beziehung auf die Waldungen herrschte unter Forstleuten und Volks¬
wirthen niemals ein Zweifel darüber, daß sie zum Wohl des Ganzen
nur durch den Staat tüchtig ausgebeutet werden könnten. Auch in Hinsicht
auf die Post ist niemals ein Zweifel gegen die Zweckmäßigkeit der Staats¬
verwaltung aufgekommen. So lange in Frankreich der Courier noch mittelst
Pferden befördert wurde, war die Packetversendung Privatunternehmungen über¬
lassen. Ein Jeder aber, der Gelegenheit hatte, diese Praxis kennen zu lernen,
hat sich davon überzeugen können, daß dieselbe in Sicherheit und Pünkt¬
lichkeit mit der deutsch-österreichischen Postbeförderung keinen Vergleich
aushielt.

Auch die Telegraphen sind auf dem Continent von vorneherein in den
Händen des Staates concentrirt worden. In England, wo sie zuerst Pri-
vatunternehmang waren, hat der Staat dieselben an sich gekauft. Dabei
wollen wir gleich hier bemerken, daß die Staatsverwaltung bis jetzt ein un¬
günstigeres finanzielles Ergebniß gehabt hat, als die Privat-Telegravhie,
allein nicht wegen schlechter Administration, sondern wegen sorgfältigerer
Rücksichtnahme auf die Interessen des Publikums. Die Linien wurden
nämlich bedeutend ausgedehnt und vermehrt und gleichzeitig die Preise
ermäßigt.

Nun muß vor allen Dingen Eines festgehalten werden, daß ursprünglich
überall da, wo die Privatindustrie als vorzüglicher der Staatsindustrie gegen¬
übergestellt wurde, nur die gewerbliche Thätigkeit einzelner Privatper¬
sonen darunter verstanden war. Man hatte die Beobachtung gemacht, daß die
Staatsindustrie unter Nachtheilen leidet, welche bei der Privatthätigkeit überhaupt
nicht aufkommen können: a) an der Indolenz, Bequemlichkeit und dem Mangel
an Interesse der Beamten, welche zu theuer einkaufen, sich zu wenig um die neuesten
Fortschritte, die Bemühungen der Concurrenten, die Bedürfnisse und Wünsche


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[0293] Der beliebteste jener Sätze, welcher einst mit voller Berechtigung auch von uns aufgestellt wurde und seit 20 Jahren als Axiom überall citirt zu werden pflegt, ist die Ansicht, daß die gewerbliche Thätigkeit der Privaten erfolgreicher sei, als die des Staates. Zur Zeit, als diese Ansicht zuerst aus¬ gesprochen und verfochten wurde, hatte sie ihre volle Berechtigung; denn sie war gegen die gewerblichen Staatsanstalten gerichtet, welche aus der Zeit des patriarchalischen Polizeistaates in unser Jahrhundert herüber gebracht worden waren und durch den Schlendrian ihrer Verwaltung dem Staatssäckel nur Unkosten verursachten. Dahin gehörten die nach französischer Schablone or- ganisirten staatlichen Porzellanfabriken, manche Eisenhütten und andere in¬ dustrielle Anstalten. Schon bei den Bergwerken aber konnten selbst in der Blüthe der Agitation gegen die Staats-Jndustrie die Bedenken nicht beseitigt werden, daß der Privatbetrieb oft zu Raubbau ausartet. In Beziehung auf die Waldungen herrschte unter Forstleuten und Volks¬ wirthen niemals ein Zweifel darüber, daß sie zum Wohl des Ganzen nur durch den Staat tüchtig ausgebeutet werden könnten. Auch in Hinsicht auf die Post ist niemals ein Zweifel gegen die Zweckmäßigkeit der Staats¬ verwaltung aufgekommen. So lange in Frankreich der Courier noch mittelst Pferden befördert wurde, war die Packetversendung Privatunternehmungen über¬ lassen. Ein Jeder aber, der Gelegenheit hatte, diese Praxis kennen zu lernen, hat sich davon überzeugen können, daß dieselbe in Sicherheit und Pünkt¬ lichkeit mit der deutsch-österreichischen Postbeförderung keinen Vergleich aushielt. Auch die Telegraphen sind auf dem Continent von vorneherein in den Händen des Staates concentrirt worden. In England, wo sie zuerst Pri- vatunternehmang waren, hat der Staat dieselben an sich gekauft. Dabei wollen wir gleich hier bemerken, daß die Staatsverwaltung bis jetzt ein un¬ günstigeres finanzielles Ergebniß gehabt hat, als die Privat-Telegravhie, allein nicht wegen schlechter Administration, sondern wegen sorgfältigerer Rücksichtnahme auf die Interessen des Publikums. Die Linien wurden nämlich bedeutend ausgedehnt und vermehrt und gleichzeitig die Preise ermäßigt. Nun muß vor allen Dingen Eines festgehalten werden, daß ursprünglich überall da, wo die Privatindustrie als vorzüglicher der Staatsindustrie gegen¬ übergestellt wurde, nur die gewerbliche Thätigkeit einzelner Privatper¬ sonen darunter verstanden war. Man hatte die Beobachtung gemacht, daß die Staatsindustrie unter Nachtheilen leidet, welche bei der Privatthätigkeit überhaupt nicht aufkommen können: a) an der Indolenz, Bequemlichkeit und dem Mangel an Interesse der Beamten, welche zu theuer einkaufen, sich zu wenig um die neuesten Fortschritte, die Bemühungen der Concurrenten, die Bedürfnisse und Wünsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/293>, abgerufen am 27.09.2024.