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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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vom Besitz der Eisenbahnen einen Zuwachs des Einflusses und der Macht
der Reichsregierung befürchtet, welche dem Selbstbestimmungsrechte der Nation
und den Finanzbefugnissen des Reichstages gefährlich werden möchte. Eine
dritte Gruppe der Gegner ist die der persönlich Jnteressirten; denn es ist be¬
greiflich, daß die Verwaltungsräthe der Privateismbahnen, welche durch die
Ausführung des Planes überflüssig werden würden, und daß die Directoren
der Privateisenbahnen, welche, wenn sie auch in der neuen Ordnung der
Dinge hinreichend ihnen angemessene Stellungen beibehalten würden, doch
eine Verminderung ihres Gehaltes und ihres Ansehens im Dienste des Reichs
befürchten. Erst in vierter Linie scheint im gegenwärtigen Stadium des Kampfes
diejenige volkswirthschaftliche Richtung zu kommen, welche dem System der
Privateisenbahnen den Vorzug vor dem der Staatsbahnen giebt. Es ist sehr
natürlich, daß diese letztere Gruppe der Gegner ganz verschwindet unter dem
Geräusch der drei vorher genannten, weil die hervorragendsten gegnerischen
Interessen grade in den Staatseisenbahnen der Mittelstaaten ruhen, für
welche dieselben wirthschaftlichen und wissenschaftlichen Gründe sprechen, die
zu Gunsten der Reichsbahnen aufzuführen sind.

Es liegt ja auf der Hand, daß dieselben Ursachen, welche für oder wider
die Staatsbahnen im Allgemeinen sprechen, auch bei den Reichsbahnen gelten.
Das setzt aber die Staatsbahnen der deutschen Mtttelstaaten in eine schiefe
Stellung. Denn ihre Vertheidiger befinden sich in einem gefährlichen Di¬
lemma. Geben sie volkswirthschaftlich den Staatsbahnen den Vorzug, dann
haben sie auch ein Präjudiz zu Gunsten der Reichsbahnen geschaffen, und er¬
klären sie die Reichsbahnen für weniger vortheilhaft als das Privatbahn-System,
so haben sie damit auch den Staatsbahnen der Mittelstaaten das Urtheil
gesprochen. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß der ganze
Schwerpunkt der Erörterung verschoben und auf ein falsches Gebiet gebracht
wurde; es ist kein Wunder, daß bis jetzt die Frage, ob das System der
Staatsbahnen oder das der Privatbahnen volkswirthschaftlich den Borzug
verdiene, gar nicht gründlich erörtert und wissenschaftlich entschieden worden
ist, sondern daß die politischen Motive vorwiegen, und daß da, wo man
wirklich zu volkswirthschaftlichen Argumenten sich herbeilassen will, wir einer
ungewöhnlichen Menge von Gemeinplätzen und zweischneidigen Phrasen be¬
gegnen, welche oft gar nichts beweisen oder oft für die eine und die andere
Ansicht ins Feld geführt werden können. Auch in den Verhandlungen des
preußischen Landtages über die Gesetzesvorlage, welche die Genehmigung zum
Verkauf der preußischen Staatsbahnen an das Reich verlangt, begegnen
wir vorwiegend policischen Argumenten und Triebfedern. Hier war es
der Hauptführer der Fortschrittspartei, welcher sich dem Plan widersetzte.


vom Besitz der Eisenbahnen einen Zuwachs des Einflusses und der Macht
der Reichsregierung befürchtet, welche dem Selbstbestimmungsrechte der Nation
und den Finanzbefugnissen des Reichstages gefährlich werden möchte. Eine
dritte Gruppe der Gegner ist die der persönlich Jnteressirten; denn es ist be¬
greiflich, daß die Verwaltungsräthe der Privateismbahnen, welche durch die
Ausführung des Planes überflüssig werden würden, und daß die Directoren
der Privateisenbahnen, welche, wenn sie auch in der neuen Ordnung der
Dinge hinreichend ihnen angemessene Stellungen beibehalten würden, doch
eine Verminderung ihres Gehaltes und ihres Ansehens im Dienste des Reichs
befürchten. Erst in vierter Linie scheint im gegenwärtigen Stadium des Kampfes
diejenige volkswirthschaftliche Richtung zu kommen, welche dem System der
Privateisenbahnen den Vorzug vor dem der Staatsbahnen giebt. Es ist sehr
natürlich, daß diese letztere Gruppe der Gegner ganz verschwindet unter dem
Geräusch der drei vorher genannten, weil die hervorragendsten gegnerischen
Interessen grade in den Staatseisenbahnen der Mittelstaaten ruhen, für
welche dieselben wirthschaftlichen und wissenschaftlichen Gründe sprechen, die
zu Gunsten der Reichsbahnen aufzuführen sind.

Es liegt ja auf der Hand, daß dieselben Ursachen, welche für oder wider
die Staatsbahnen im Allgemeinen sprechen, auch bei den Reichsbahnen gelten.
Das setzt aber die Staatsbahnen der deutschen Mtttelstaaten in eine schiefe
Stellung. Denn ihre Vertheidiger befinden sich in einem gefährlichen Di¬
lemma. Geben sie volkswirthschaftlich den Staatsbahnen den Vorzug, dann
haben sie auch ein Präjudiz zu Gunsten der Reichsbahnen geschaffen, und er¬
klären sie die Reichsbahnen für weniger vortheilhaft als das Privatbahn-System,
so haben sie damit auch den Staatsbahnen der Mittelstaaten das Urtheil
gesprochen. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß der ganze
Schwerpunkt der Erörterung verschoben und auf ein falsches Gebiet gebracht
wurde; es ist kein Wunder, daß bis jetzt die Frage, ob das System der
Staatsbahnen oder das der Privatbahnen volkswirthschaftlich den Borzug
verdiene, gar nicht gründlich erörtert und wissenschaftlich entschieden worden
ist, sondern daß die politischen Motive vorwiegen, und daß da, wo man
wirklich zu volkswirthschaftlichen Argumenten sich herbeilassen will, wir einer
ungewöhnlichen Menge von Gemeinplätzen und zweischneidigen Phrasen be¬
gegnen, welche oft gar nichts beweisen oder oft für die eine und die andere
Ansicht ins Feld geführt werden können. Auch in den Verhandlungen des
preußischen Landtages über die Gesetzesvorlage, welche die Genehmigung zum
Verkauf der preußischen Staatsbahnen an das Reich verlangt, begegnen
wir vorwiegend policischen Argumenten und Triebfedern. Hier war es
der Hauptführer der Fortschrittspartei, welcher sich dem Plan widersetzte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/290>, abgerufen am 27.09.2024.