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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der Klerus. der sich selbst nicht schützen konnte, wollte seinen Schirm¬
vögten, den eisengepanzerten Fürsten und Adeligen Deutschlands, Gesetze
vorschreiben, ihnen sagen, was Recht sei. Er stieß dabei auf harren
Widerstand, und der Papst mit seiner Partei ging noch einen Schritt
weiter. Da ihr Staat auf dem Zwang beruhte, so waren Gewissens¬
freiheit und Mannesmuth die größte Gefahr für ihn, und gleichwohl
ging es nicht an, diese Tugenden geradezu als Laster zu verdammen. Der
Klerus verkündete daher die neue Tugend des Gehorsams, welche die höchste
sein sollte.

Dagegen empört sich in Walther die Stimme des Volksgewissens, er
kämpft dagegen aus der Ueberzeugung heraus, die selbst in der Theologie
und Jurisprudenz seiner Zeit noch vielfach lebendig war, daß der Papst
nicht über, sondern unter dem Gesetze flehe, daß er an die Canones der Con¬
cilien, namentlich aber an das Alte und Neue Testament gebunden sei.
Dem wechselnder Gehorsam stellte Walther die unwandelbare Pflicht ent¬
gegen. Es ist ein düsteres Verhängniß, welches die Schöpfungen der ener¬
gischen Päpste Alexander III. und Innocenz III. ereilte. Die gleiche Frei¬
heit Aller verwandelte sich in die gleiche Unfreiheit Aller, und gleiches Maß
und Recht gab es bei ihnen nur, weil die Geistlichkeit alles Recht besaß; dem
Laien blieb nur Gnade und Ungnade. Es war der schärfste Widerspruch
zwischen Idee und Wirklichkeit, Wort und Werk, und Walther hat dieß
tief empfunden, er gab seinem Schmerze Ausdruck in dem Gedichte vom
wälschen Schrein, das voll bitterer Ironie ist.

Als die Hohenstaufen in jenem großen Streite unterlagen, siegte
nicht die Kirche über das Reich, sondern beide, Kirche und Reich, wichen
der Entwickelung einer neuen Macht, der allmähligen Herausbildung des
Staates. Mit den mittelalterlichen Reichszuständen verglichen, ist die moderne
Staatenbildung eine Reihe theils friedlicher, theils gewaltsamer Säculari-
sationen. Man kam immer mehr zur Einsicht, daß nur der weltliche Arm
im Stande ist, das Recht des Armen und Schwachen gegen Unterdrückung
und Ausbeutung zu schützen, daß nur er das Ideal vom gleichen Rechte
der Menschen mitten in der grausamen Ungleichheit der natürlichen Zustände
aufrecht zu erhalten vermag. ,




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hcrbi" in Leipzig. -- Druck von Hiithel K Herrin an" in Leipzig.

Der Klerus. der sich selbst nicht schützen konnte, wollte seinen Schirm¬
vögten, den eisengepanzerten Fürsten und Adeligen Deutschlands, Gesetze
vorschreiben, ihnen sagen, was Recht sei. Er stieß dabei auf harren
Widerstand, und der Papst mit seiner Partei ging noch einen Schritt
weiter. Da ihr Staat auf dem Zwang beruhte, so waren Gewissens¬
freiheit und Mannesmuth die größte Gefahr für ihn, und gleichwohl
ging es nicht an, diese Tugenden geradezu als Laster zu verdammen. Der
Klerus verkündete daher die neue Tugend des Gehorsams, welche die höchste
sein sollte.

Dagegen empört sich in Walther die Stimme des Volksgewissens, er
kämpft dagegen aus der Ueberzeugung heraus, die selbst in der Theologie
und Jurisprudenz seiner Zeit noch vielfach lebendig war, daß der Papst
nicht über, sondern unter dem Gesetze flehe, daß er an die Canones der Con¬
cilien, namentlich aber an das Alte und Neue Testament gebunden sei.
Dem wechselnder Gehorsam stellte Walther die unwandelbare Pflicht ent¬
gegen. Es ist ein düsteres Verhängniß, welches die Schöpfungen der ener¬
gischen Päpste Alexander III. und Innocenz III. ereilte. Die gleiche Frei¬
heit Aller verwandelte sich in die gleiche Unfreiheit Aller, und gleiches Maß
und Recht gab es bei ihnen nur, weil die Geistlichkeit alles Recht besaß; dem
Laien blieb nur Gnade und Ungnade. Es war der schärfste Widerspruch
zwischen Idee und Wirklichkeit, Wort und Werk, und Walther hat dieß
tief empfunden, er gab seinem Schmerze Ausdruck in dem Gedichte vom
wälschen Schrein, das voll bitterer Ironie ist.

Als die Hohenstaufen in jenem großen Streite unterlagen, siegte
nicht die Kirche über das Reich, sondern beide, Kirche und Reich, wichen
der Entwickelung einer neuen Macht, der allmähligen Herausbildung des
Staates. Mit den mittelalterlichen Reichszuständen verglichen, ist die moderne
Staatenbildung eine Reihe theils friedlicher, theils gewaltsamer Säculari-
sationen. Man kam immer mehr zur Einsicht, daß nur der weltliche Arm
im Stande ist, das Recht des Armen und Schwachen gegen Unterdrückung
und Ausbeutung zu schützen, daß nur er das Ideal vom gleichen Rechte
der Menschen mitten in der grausamen Ungleichheit der natürlichen Zustände
aufrecht zu erhalten vermag. ,




Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hcrbi» in Leipzig. — Druck von Hiithel K Herrin an« in Leipzig.
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[0288] Der Klerus. der sich selbst nicht schützen konnte, wollte seinen Schirm¬ vögten, den eisengepanzerten Fürsten und Adeligen Deutschlands, Gesetze vorschreiben, ihnen sagen, was Recht sei. Er stieß dabei auf harren Widerstand, und der Papst mit seiner Partei ging noch einen Schritt weiter. Da ihr Staat auf dem Zwang beruhte, so waren Gewissens¬ freiheit und Mannesmuth die größte Gefahr für ihn, und gleichwohl ging es nicht an, diese Tugenden geradezu als Laster zu verdammen. Der Klerus verkündete daher die neue Tugend des Gehorsams, welche die höchste sein sollte. Dagegen empört sich in Walther die Stimme des Volksgewissens, er kämpft dagegen aus der Ueberzeugung heraus, die selbst in der Theologie und Jurisprudenz seiner Zeit noch vielfach lebendig war, daß der Papst nicht über, sondern unter dem Gesetze flehe, daß er an die Canones der Con¬ cilien, namentlich aber an das Alte und Neue Testament gebunden sei. Dem wechselnder Gehorsam stellte Walther die unwandelbare Pflicht ent¬ gegen. Es ist ein düsteres Verhängniß, welches die Schöpfungen der ener¬ gischen Päpste Alexander III. und Innocenz III. ereilte. Die gleiche Frei¬ heit Aller verwandelte sich in die gleiche Unfreiheit Aller, und gleiches Maß und Recht gab es bei ihnen nur, weil die Geistlichkeit alles Recht besaß; dem Laien blieb nur Gnade und Ungnade. Es war der schärfste Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit, Wort und Werk, und Walther hat dieß tief empfunden, er gab seinem Schmerze Ausdruck in dem Gedichte vom wälschen Schrein, das voll bitterer Ironie ist. Als die Hohenstaufen in jenem großen Streite unterlagen, siegte nicht die Kirche über das Reich, sondern beide, Kirche und Reich, wichen der Entwickelung einer neuen Macht, der allmähligen Herausbildung des Staates. Mit den mittelalterlichen Reichszuständen verglichen, ist die moderne Staatenbildung eine Reihe theils friedlicher, theils gewaltsamer Säculari- sationen. Man kam immer mehr zur Einsicht, daß nur der weltliche Arm im Stande ist, das Recht des Armen und Schwachen gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu schützen, daß nur er das Ideal vom gleichen Rechte der Menschen mitten in der grausamen Ungleichheit der natürlichen Zustände aufrecht zu erhalten vermag. , Verantwortlicher Redakteur: Dr. Hans Blum in Leipzig. Verlag von K. L. Hcrbi» in Leipzig. — Druck von Hiithel K Herrin an« in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/288>, abgerufen am 27.09.2024.