Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Bremerhafen die Menschheit erschüttert hat, ist schon manches ernste Wort
gesagt worden; bisher aber haben wir ein klares Wort vermißt über die
objektive Versuchung, durch deren Reiz ein Talent der Gewissenlosigkeit
zu einem geschichtlich unvergeßlichen Ungeheuer heranreifen konnte. Dieses
Objekt ist die Ueberspannung der Assekuranz.

Nach der Verbreitung der schrecklichen Kunde hat man sich in New-Aork
darauf besonnen, daß daselbst noch in einem Magazin eine verschlossene Kiste
stand, welche dem Verbrecher angehörte, und welche er hatte stehen lassen, weil
man ihm den enormen Assekuranzpreis, um den er sie wollte verladen lassen,
verweigerte. Diese Kiste, die man nach späteren Berichten geöffnet hat, ent¬
hielt außer werthlosen Gegenständen ebenfalls eine Maschine, worin die Ma¬
terie und die Mechanik zu einem modernen Menschenverhängniß verwendet
waren. Die betreffende Assekuranz-Verwaltung ist also auf die Forderung
des Thomas nicht eingegangen; daß sie aber nach dem bestehenden Assekuranz-
Wesen darauf eingehen konnte, daß es sogar wahrscheinlich war, sie würde
darauf eingehn, hat eben die Forderung des Thomas bewiesen, wie sie sogar
auf einer Uebung seines heillosen Treibens beruhte.

Thomas ist hin, und zum Glück für die Menschheit wird es solche Un¬
geheuer, bet denen die Schlechtigkeit auf der Leiter eines bedeutenden Talents
zum Riesenmaß oder ins Teuflische emporsteigt, immer nur selten geben.
Anders aber steht es mit der Versuchung, durch die er zum Schreckensmann
geworden ist. Sie ist immer noch da, man hat sie kaum beachtet, ihre ver¬
derbliche Wirkung aber ist wohl höher anzuschlagen als die Thatsache, daß
ein neues Kunststück der Büberei zur Nacheiferung für die Schlechten in der
Welt bekannt geworden ist.

Die Ueberspannung des Assekuranzwesens läßt sich wohl aus zwei Ur¬
sachen erklären. Die erste besteht darin, daß die Gesetzgebung diese Ent¬
wicklung einer modernen partiellen Gütergemeinschaft noch nicht genügend
regulirt hat. die zweite aber wohl darin, daß auch die Assekuranzgesellschaften
selber vielfach nicht mit reinem Blick ein reines Interesse verwalten, sondern
aus Gewinnsucht über dem verdächtigen Spiel verwegener Verhinderer ein
Auge zudrücken, weil die Einnahmen sich mit den Versicherungssummen
steigern.

Es mag freilich sehr schwierig sein, eine umfassende und genügende Ge¬
setzgebung für die Assekuranzen der verschiedensten Art, von der Fenster¬
scheiben-Versicherung bis zur sogenannten Lebensversicherung aufzustellen;
schwieriger noch für überseeische als für inländische Versicherungen.
Jedenfalls wird das Problem so bald nicht aufhören, mit kleineren Donner¬
schlägen, welche der Erfindung des Thomas verwandt sind, an die Thüren
des Staatslebens zu pochen. Sicher würde sich immer mehr das Urtheil, das


zu Bremerhafen die Menschheit erschüttert hat, ist schon manches ernste Wort
gesagt worden; bisher aber haben wir ein klares Wort vermißt über die
objektive Versuchung, durch deren Reiz ein Talent der Gewissenlosigkeit
zu einem geschichtlich unvergeßlichen Ungeheuer heranreifen konnte. Dieses
Objekt ist die Ueberspannung der Assekuranz.

Nach der Verbreitung der schrecklichen Kunde hat man sich in New-Aork
darauf besonnen, daß daselbst noch in einem Magazin eine verschlossene Kiste
stand, welche dem Verbrecher angehörte, und welche er hatte stehen lassen, weil
man ihm den enormen Assekuranzpreis, um den er sie wollte verladen lassen,
verweigerte. Diese Kiste, die man nach späteren Berichten geöffnet hat, ent¬
hielt außer werthlosen Gegenständen ebenfalls eine Maschine, worin die Ma¬
terie und die Mechanik zu einem modernen Menschenverhängniß verwendet
waren. Die betreffende Assekuranz-Verwaltung ist also auf die Forderung
des Thomas nicht eingegangen; daß sie aber nach dem bestehenden Assekuranz-
Wesen darauf eingehen konnte, daß es sogar wahrscheinlich war, sie würde
darauf eingehn, hat eben die Forderung des Thomas bewiesen, wie sie sogar
auf einer Uebung seines heillosen Treibens beruhte.

Thomas ist hin, und zum Glück für die Menschheit wird es solche Un¬
geheuer, bet denen die Schlechtigkeit auf der Leiter eines bedeutenden Talents
zum Riesenmaß oder ins Teuflische emporsteigt, immer nur selten geben.
Anders aber steht es mit der Versuchung, durch die er zum Schreckensmann
geworden ist. Sie ist immer noch da, man hat sie kaum beachtet, ihre ver¬
derbliche Wirkung aber ist wohl höher anzuschlagen als die Thatsache, daß
ein neues Kunststück der Büberei zur Nacheiferung für die Schlechten in der
Welt bekannt geworden ist.

Die Ueberspannung des Assekuranzwesens läßt sich wohl aus zwei Ur¬
sachen erklären. Die erste besteht darin, daß die Gesetzgebung diese Ent¬
wicklung einer modernen partiellen Gütergemeinschaft noch nicht genügend
regulirt hat. die zweite aber wohl darin, daß auch die Assekuranzgesellschaften
selber vielfach nicht mit reinem Blick ein reines Interesse verwalten, sondern
aus Gewinnsucht über dem verdächtigen Spiel verwegener Verhinderer ein
Auge zudrücken, weil die Einnahmen sich mit den Versicherungssummen
steigern.

Es mag freilich sehr schwierig sein, eine umfassende und genügende Ge¬
setzgebung für die Assekuranzen der verschiedensten Art, von der Fenster¬
scheiben-Versicherung bis zur sogenannten Lebensversicherung aufzustellen;
schwieriger noch für überseeische als für inländische Versicherungen.
Jedenfalls wird das Problem so bald nicht aufhören, mit kleineren Donner¬
schlägen, welche der Erfindung des Thomas verwandt sind, an die Thüren
des Staatslebens zu pochen. Sicher würde sich immer mehr das Urtheil, das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136395"/>
          <p xml:id="ID_726" prev="#ID_725"> zu Bremerhafen die Menschheit erschüttert hat, ist schon manches ernste Wort<lb/>
gesagt worden; bisher aber haben wir ein klares Wort vermißt über die<lb/>
objektive Versuchung, durch deren Reiz ein Talent der Gewissenlosigkeit<lb/>
zu einem geschichtlich unvergeßlichen Ungeheuer heranreifen konnte. Dieses<lb/>
Objekt ist die Ueberspannung der Assekuranz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_727"> Nach der Verbreitung der schrecklichen Kunde hat man sich in New-Aork<lb/>
darauf besonnen, daß daselbst noch in einem Magazin eine verschlossene Kiste<lb/>
stand, welche dem Verbrecher angehörte, und welche er hatte stehen lassen, weil<lb/>
man ihm den enormen Assekuranzpreis, um den er sie wollte verladen lassen,<lb/>
verweigerte. Diese Kiste, die man nach späteren Berichten geöffnet hat, ent¬<lb/>
hielt außer werthlosen Gegenständen ebenfalls eine Maschine, worin die Ma¬<lb/>
terie und die Mechanik zu einem modernen Menschenverhängniß verwendet<lb/>
waren. Die betreffende Assekuranz-Verwaltung ist also auf die Forderung<lb/>
des Thomas nicht eingegangen; daß sie aber nach dem bestehenden Assekuranz-<lb/>
Wesen darauf eingehen konnte, daß es sogar wahrscheinlich war, sie würde<lb/>
darauf eingehn, hat eben die Forderung des Thomas bewiesen, wie sie sogar<lb/>
auf einer Uebung seines heillosen Treibens beruhte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_728"> Thomas ist hin, und zum Glück für die Menschheit wird es solche Un¬<lb/>
geheuer, bet denen die Schlechtigkeit auf der Leiter eines bedeutenden Talents<lb/>
zum Riesenmaß oder ins Teuflische emporsteigt, immer nur selten geben.<lb/>
Anders aber steht es mit der Versuchung, durch die er zum Schreckensmann<lb/>
geworden ist. Sie ist immer noch da, man hat sie kaum beachtet, ihre ver¬<lb/>
derbliche Wirkung aber ist wohl höher anzuschlagen als die Thatsache, daß<lb/>
ein neues Kunststück der Büberei zur Nacheiferung für die Schlechten in der<lb/>
Welt bekannt geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_729"> Die Ueberspannung des Assekuranzwesens läßt sich wohl aus zwei Ur¬<lb/>
sachen erklären. Die erste besteht darin, daß die Gesetzgebung diese Ent¬<lb/>
wicklung einer modernen partiellen Gütergemeinschaft noch nicht genügend<lb/>
regulirt hat. die zweite aber wohl darin, daß auch die Assekuranzgesellschaften<lb/>
selber vielfach nicht mit reinem Blick ein reines Interesse verwalten, sondern<lb/>
aus Gewinnsucht über dem verdächtigen Spiel verwegener Verhinderer ein<lb/>
Auge zudrücken, weil die Einnahmen sich mit den Versicherungssummen<lb/>
steigern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_730" next="#ID_731"> Es mag freilich sehr schwierig sein, eine umfassende und genügende Ge¬<lb/>
setzgebung für die Assekuranzen der verschiedensten Art, von der Fenster¬<lb/>
scheiben-Versicherung bis zur sogenannten Lebensversicherung aufzustellen;<lb/>
schwieriger noch für überseeische als für inländische Versicherungen.<lb/>
Jedenfalls wird das Problem so bald nicht aufhören, mit kleineren Donner¬<lb/>
schlägen, welche der Erfindung des Thomas verwandt sind, an die Thüren<lb/>
des Staatslebens zu pochen. Sicher würde sich immer mehr das Urtheil, das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] zu Bremerhafen die Menschheit erschüttert hat, ist schon manches ernste Wort gesagt worden; bisher aber haben wir ein klares Wort vermißt über die objektive Versuchung, durch deren Reiz ein Talent der Gewissenlosigkeit zu einem geschichtlich unvergeßlichen Ungeheuer heranreifen konnte. Dieses Objekt ist die Ueberspannung der Assekuranz. Nach der Verbreitung der schrecklichen Kunde hat man sich in New-Aork darauf besonnen, daß daselbst noch in einem Magazin eine verschlossene Kiste stand, welche dem Verbrecher angehörte, und welche er hatte stehen lassen, weil man ihm den enormen Assekuranzpreis, um den er sie wollte verladen lassen, verweigerte. Diese Kiste, die man nach späteren Berichten geöffnet hat, ent¬ hielt außer werthlosen Gegenständen ebenfalls eine Maschine, worin die Ma¬ terie und die Mechanik zu einem modernen Menschenverhängniß verwendet waren. Die betreffende Assekuranz-Verwaltung ist also auf die Forderung des Thomas nicht eingegangen; daß sie aber nach dem bestehenden Assekuranz- Wesen darauf eingehen konnte, daß es sogar wahrscheinlich war, sie würde darauf eingehn, hat eben die Forderung des Thomas bewiesen, wie sie sogar auf einer Uebung seines heillosen Treibens beruhte. Thomas ist hin, und zum Glück für die Menschheit wird es solche Un¬ geheuer, bet denen die Schlechtigkeit auf der Leiter eines bedeutenden Talents zum Riesenmaß oder ins Teuflische emporsteigt, immer nur selten geben. Anders aber steht es mit der Versuchung, durch die er zum Schreckensmann geworden ist. Sie ist immer noch da, man hat sie kaum beachtet, ihre ver¬ derbliche Wirkung aber ist wohl höher anzuschlagen als die Thatsache, daß ein neues Kunststück der Büberei zur Nacheiferung für die Schlechten in der Welt bekannt geworden ist. Die Ueberspannung des Assekuranzwesens läßt sich wohl aus zwei Ur¬ sachen erklären. Die erste besteht darin, daß die Gesetzgebung diese Ent¬ wicklung einer modernen partiellen Gütergemeinschaft noch nicht genügend regulirt hat. die zweite aber wohl darin, daß auch die Assekuranzgesellschaften selber vielfach nicht mit reinem Blick ein reines Interesse verwalten, sondern aus Gewinnsucht über dem verdächtigen Spiel verwegener Verhinderer ein Auge zudrücken, weil die Einnahmen sich mit den Versicherungssummen steigern. Es mag freilich sehr schwierig sein, eine umfassende und genügende Ge¬ setzgebung für die Assekuranzen der verschiedensten Art, von der Fenster¬ scheiben-Versicherung bis zur sogenannten Lebensversicherung aufzustellen; schwieriger noch für überseeische als für inländische Versicherungen. Jedenfalls wird das Problem so bald nicht aufhören, mit kleineren Donner¬ schlägen, welche der Erfindung des Thomas verwandt sind, an die Thüren des Staatslebens zu pochen. Sicher würde sich immer mehr das Urtheil, das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/284>, abgerufen am 27.09.2024.