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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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hat es gern, wenn er in unbewachten Stunden die Nothwendigkeit empfindet,
auf der Hut zu sein.

Es giebt eine Menge Gründe, die es erklären, daß die Duelle höchst
selten mit schweren Verwundungen oder Tödtungen endigen. Alle Ver¬
käufer von Schießgewehren haben eine Sorte von Pistolen feil, von denen
garantirt wird, daß man mit ihnen auf zehn Schritt kein Scheunenthor
trifft. Sie haben inwendig - allerhand Buckel und Rinnen, und sie sind so
leicht angefertigt, daß eine geringe Pulverladung sie schon gen Himmel fliegen
läßt. Die Feder ist so stark, daß man zu heftig drücken muß, um ein festes
Ziel zu behalten, und der Hahn fällt mit solcher Gewalt auf das Zünd¬
hütchen, daß er die Waffe förmlich niederschlägt. Ferner sorgen die Secun-
därem stets dafür, daß das Pistol eine zu reichliche Dosis Pulver bekommt,
welche die Unarten desselben dann noch verstärkt. Endlich hat es doch auch
sein Bedenkliches, als eine Scheibe der Mündung eines Schießzeuges gegen¬
über zu stehen, und dieses Bedenken theilt sich dann wohl nicht selten dem
Arme in der Gestalt eines gelinden Zttterns mit, was einem richtigen Zielen
ebenfalls nicht zuträglich ist.

Die Franzosen duelliren sich nicht gern auf Pistolen, weil diese Waffen
zu unsicher und -- zu "brutal" sind. Der Degen ist so zart wie die Nadel
einer Hausfrau, und man kann ihn an seine Hand gewöhnen, so daß man
ihn völlig in der Gewalt hat. Wenn Duelle auf Degen so selten verhäng-
nißvoll endigen, so liegt die Ursache nicht in dem Wunsche, den Kampf mit
dem ersten Blutstropfen zu beendigen. Wer es nicht erlebt hat. wird kaum
glauben, was für ein Unterschied ist, in einem geschlossnen Raume wie auf dem
Fechtboden und im Freien zu fechten. Der Pistolenschütz empfindet Aehnliches.
wenn er die Schießgalerie mit dem offnen Felde vertauscht. In jener leiten
Fußboden. Wände und Decke, ohne daß man es merkt, Hand und Auge, man
steht gleichsam an einem Ende einer viereckigen Röhre und schießt nach einer
Scheibe am andern Ende. Ziele man dann im freien Felde zum ersten Male
auf zwanzig Schritt nach einem Baume, so ist man kaum im Stande, die
rechte Schußlinie innezuhalten. Derjenige, welcher zum ersten Male im Freien
mit Degen ficht, unterliegt einer ähnlichen Fahnenflucht seiner Sinne. Wollte
man sagen, er sehe buchstäblich nichts, so drückte das die Sache nicht voll¬
ständig aus. Der Gegner, die Klingen, der Schauplatz -- Alles verschwindet,
und es ist einem zu Muthe, als wäre man zu einem Zwerge zusammenge¬
schrumpft, der ins Leere stiert. Der, welcher im Schiff eines Luftballons auf¬
steigt und hoch droben über den Rand in die blaue Tiefe hinabblickc, wird
ungefähr dieselbe eigenthümliche Empfindung haben.

Sodann können nur Wenige zehn Minuten ohne Unterbrechung das
Fechten aushalten. Die schwere Anstrengung des Leibes und der Seele zu-


hat es gern, wenn er in unbewachten Stunden die Nothwendigkeit empfindet,
auf der Hut zu sein.

Es giebt eine Menge Gründe, die es erklären, daß die Duelle höchst
selten mit schweren Verwundungen oder Tödtungen endigen. Alle Ver¬
käufer von Schießgewehren haben eine Sorte von Pistolen feil, von denen
garantirt wird, daß man mit ihnen auf zehn Schritt kein Scheunenthor
trifft. Sie haben inwendig - allerhand Buckel und Rinnen, und sie sind so
leicht angefertigt, daß eine geringe Pulverladung sie schon gen Himmel fliegen
läßt. Die Feder ist so stark, daß man zu heftig drücken muß, um ein festes
Ziel zu behalten, und der Hahn fällt mit solcher Gewalt auf das Zünd¬
hütchen, daß er die Waffe förmlich niederschlägt. Ferner sorgen die Secun-
därem stets dafür, daß das Pistol eine zu reichliche Dosis Pulver bekommt,
welche die Unarten desselben dann noch verstärkt. Endlich hat es doch auch
sein Bedenkliches, als eine Scheibe der Mündung eines Schießzeuges gegen¬
über zu stehen, und dieses Bedenken theilt sich dann wohl nicht selten dem
Arme in der Gestalt eines gelinden Zttterns mit, was einem richtigen Zielen
ebenfalls nicht zuträglich ist.

Die Franzosen duelliren sich nicht gern auf Pistolen, weil diese Waffen
zu unsicher und — zu „brutal" sind. Der Degen ist so zart wie die Nadel
einer Hausfrau, und man kann ihn an seine Hand gewöhnen, so daß man
ihn völlig in der Gewalt hat. Wenn Duelle auf Degen so selten verhäng-
nißvoll endigen, so liegt die Ursache nicht in dem Wunsche, den Kampf mit
dem ersten Blutstropfen zu beendigen. Wer es nicht erlebt hat. wird kaum
glauben, was für ein Unterschied ist, in einem geschlossnen Raume wie auf dem
Fechtboden und im Freien zu fechten. Der Pistolenschütz empfindet Aehnliches.
wenn er die Schießgalerie mit dem offnen Felde vertauscht. In jener leiten
Fußboden. Wände und Decke, ohne daß man es merkt, Hand und Auge, man
steht gleichsam an einem Ende einer viereckigen Röhre und schießt nach einer
Scheibe am andern Ende. Ziele man dann im freien Felde zum ersten Male
auf zwanzig Schritt nach einem Baume, so ist man kaum im Stande, die
rechte Schußlinie innezuhalten. Derjenige, welcher zum ersten Male im Freien
mit Degen ficht, unterliegt einer ähnlichen Fahnenflucht seiner Sinne. Wollte
man sagen, er sehe buchstäblich nichts, so drückte das die Sache nicht voll¬
ständig aus. Der Gegner, die Klingen, der Schauplatz — Alles verschwindet,
und es ist einem zu Muthe, als wäre man zu einem Zwerge zusammenge¬
schrumpft, der ins Leere stiert. Der, welcher im Schiff eines Luftballons auf¬
steigt und hoch droben über den Rand in die blaue Tiefe hinabblickc, wird
ungefähr dieselbe eigenthümliche Empfindung haben.

Sodann können nur Wenige zehn Minuten ohne Unterbrechung das
Fechten aushalten. Die schwere Anstrengung des Leibes und der Seele zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/269>, abgerufen am 27.09.2024.