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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sehen, aber nur ein einziges Mal bekam ich dabei einen Bücherschrank zu Gesichte.
Ich habe einer guten Anzahl von Bekannten meinen Besuch gemacht, darunter
waren mehrere Künstler, aber nur bei Zweien fand ich Bücher, und diese Zwei
waren keine Franzosen. Beiläufig spielt schon Lord Chesterfield auf diese
Gleichgültigkeit der Mehrzahl der gebildeten Klassen in Frankreich gegen die
Literatur an, so daß dieselbe nicht erst von heute oder gestern datirt. Sonst
ist die Unterhaltung unter den Besuchern der Fechtboden lebhaft, witzig und
unterhaltend. Niemand versteht so hübsch zu plaudern, wie diese Nachkommen
der alten Gallier.

Das Gespräch dreht sich jetzt meist um Kunst, und auch sonst wird
viel hierüber gesprochen, da in Parks in dieser Beziehung immer was Neues
zu sehen ist. Bald steht die jährliche große Ausstellung von Gemälden
und Bildhauerarbeiten offen, bald giebt es eine Bilderauction, dann hat ein
berühmter Maler ein neues Werk vollendet, und dann wieder ist im Laden
des einen oder des anderen Gemäldehändlers eine Novität eingetroffen.
Sonst bespricht man natürlich das neueste Stück im Theater, bisweilen auch,
aber selten, politische Fragen. Wieder sehr auffallend war mir das Gefallen
am Singen, dem ich hier begegnete. Sobald Einer eine Melodie zu trillern
begann, entwickelte sich daraus sofort ein Gesang im Chor, indem die Uebrigen
je nach ihrer Stimme im Tenor oder Baß einfielen. Ich will nicht behaup¬
ten, daß alle diese Stimmen oder auch nur einige hinter den Lampen der
großen Oper Furore gemacht haben würden, aber die junge Leute finden Ge¬
schmack an der Sache, und der Gesang macht keinen unangenehmen Eindruck
auf den Zuhörer.

Alle sind Raucher. Die kurze Thonpfeife mit Caporal gefüllt ist in
einem Fechtsaale unentbehrlich. Alle Welt dampft und tropft von Schweiß,
und der Duft von zwölf bis zwanzig halbnackten Menschen in dieser Ver¬
fassung erinnert keineswegs an Patschult oder an die wohlriechenden Herrchen
vom Jockey-Club. Der Tabak aber vertheidigt unsere Riechnerven mit gutem
Erfolge gegen alle diese Angriffe. Selten sah ich irgend ein Getränk herein¬
bringen, nur in den heißen Sommermonaten ließ man sich gelegentlich ein
Glas Bier holen, aber auch das geschah nicht häufig. Ein Seeoffizier hatte
sich Cognac mitgebracht, und er sowie ein paar Andere schlürften davon so
viel, wie einen Fingerhut füllen würde, in einem Glase Wasser, und dieses
eine Glas mußte eine ganze Stunde ausreichen. Man hört in Deutschland
viel von der überhandnehmenden T> unksucht unter den Franzosen reden, und
namentlich sollen sie viel Absynth vertilgen. Ich habe fast fünf Jahre in
Paris gelebt und muß nach meiner Erfahrung dem widersprechen und sagen,
die Franzosen, die ich kennen lernte, nahmen wenig geistige Getränke zu sich,
und der Grund dieser Enthaltsamkeit schien mir ebenso sehr in ihrer Mäßig-


sehen, aber nur ein einziges Mal bekam ich dabei einen Bücherschrank zu Gesichte.
Ich habe einer guten Anzahl von Bekannten meinen Besuch gemacht, darunter
waren mehrere Künstler, aber nur bei Zweien fand ich Bücher, und diese Zwei
waren keine Franzosen. Beiläufig spielt schon Lord Chesterfield auf diese
Gleichgültigkeit der Mehrzahl der gebildeten Klassen in Frankreich gegen die
Literatur an, so daß dieselbe nicht erst von heute oder gestern datirt. Sonst
ist die Unterhaltung unter den Besuchern der Fechtboden lebhaft, witzig und
unterhaltend. Niemand versteht so hübsch zu plaudern, wie diese Nachkommen
der alten Gallier.

Das Gespräch dreht sich jetzt meist um Kunst, und auch sonst wird
viel hierüber gesprochen, da in Parks in dieser Beziehung immer was Neues
zu sehen ist. Bald steht die jährliche große Ausstellung von Gemälden
und Bildhauerarbeiten offen, bald giebt es eine Bilderauction, dann hat ein
berühmter Maler ein neues Werk vollendet, und dann wieder ist im Laden
des einen oder des anderen Gemäldehändlers eine Novität eingetroffen.
Sonst bespricht man natürlich das neueste Stück im Theater, bisweilen auch,
aber selten, politische Fragen. Wieder sehr auffallend war mir das Gefallen
am Singen, dem ich hier begegnete. Sobald Einer eine Melodie zu trillern
begann, entwickelte sich daraus sofort ein Gesang im Chor, indem die Uebrigen
je nach ihrer Stimme im Tenor oder Baß einfielen. Ich will nicht behaup¬
ten, daß alle diese Stimmen oder auch nur einige hinter den Lampen der
großen Oper Furore gemacht haben würden, aber die junge Leute finden Ge¬
schmack an der Sache, und der Gesang macht keinen unangenehmen Eindruck
auf den Zuhörer.

Alle sind Raucher. Die kurze Thonpfeife mit Caporal gefüllt ist in
einem Fechtsaale unentbehrlich. Alle Welt dampft und tropft von Schweiß,
und der Duft von zwölf bis zwanzig halbnackten Menschen in dieser Ver¬
fassung erinnert keineswegs an Patschult oder an die wohlriechenden Herrchen
vom Jockey-Club. Der Tabak aber vertheidigt unsere Riechnerven mit gutem
Erfolge gegen alle diese Angriffe. Selten sah ich irgend ein Getränk herein¬
bringen, nur in den heißen Sommermonaten ließ man sich gelegentlich ein
Glas Bier holen, aber auch das geschah nicht häufig. Ein Seeoffizier hatte
sich Cognac mitgebracht, und er sowie ein paar Andere schlürften davon so
viel, wie einen Fingerhut füllen würde, in einem Glase Wasser, und dieses
eine Glas mußte eine ganze Stunde ausreichen. Man hört in Deutschland
viel von der überhandnehmenden T> unksucht unter den Franzosen reden, und
namentlich sollen sie viel Absynth vertilgen. Ich habe fast fünf Jahre in
Paris gelebt und muß nach meiner Erfahrung dem widersprechen und sagen,
die Franzosen, die ich kennen lernte, nahmen wenig geistige Getränke zu sich,
und der Grund dieser Enthaltsamkeit schien mir ebenso sehr in ihrer Mäßig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/267>, abgerufen am 27.09.2024.