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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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des Interesses jedes einzelnen Klägers, die unleidlich geworden, los zu werden.
Wiederholte Bittgesuche blieben erfolglos, selbst von fremden Consuln unter¬
stützte Kundgebungen brachten keine Aenderung des Zustandes. Endlich half
das bisher immer probat gewesene Mittel: klingende Gründe machten ge¬
hörigen Eindruck, und das Unwesen Einiger, die sich mittlerweile nach
Kräften vollgesogen hatten, wurde abgeschafft, aber selbstredend nur, um von
der Gesammtheit im Großen fortgesetzt zu werden.

Das geschah vor einer Reihe von Jahren in Konstantinopel. Seitdem ist
reformirt und wieder und immer wieder reformirt worden, wobei das Papier
geduldig war und nebenher auch einiges, oder wenn man bescheiden ist, vieles
Gute außerhalb des Papiers geschaffen wurde. Einer nicht geringen Anzahl
von Unterthanen der Pforte haben diese Reformen wirklich Erleichterung
geschafft und beträchtliche Vortheile zu Theil werden lassen. Dank derselben
kann die geschilderte Erpressungssucht in der Hauptstadt, in den größeren
Orten der Küste und da, wo Europäer ehrlichen Schlages leben, nicht mehr
offen und mit voller roher Willkür schalten und walten; in den entlegneren
Provinzen der asiatischen und nicht minder in denen der europäischen Reichs¬
hälfte bewahrt jedoch noch heute der erhobene Kurbatsch seine ganze hohe
Ueberzeugungskraft in Betreff des unbestreitbaren Rechtes der Beamten, ihre
Stellen zur Füllung ihrer Taschen auf Kosten der ihrer Verwaltung Unter¬
gebnen zu benutzen. In den zugänglicheren Küstenstrichen befleißigen sich,
wie gesagt, die vielfach von fränkischen Agenten bewachten Behörden größerer
Mäßigung und Vorsicht. Sie wagen nicht mehr, ohne Weiteres Blut und
Thränen fließen zu lassen, um sich zu bereichern, aber andrerseits begehen sie
immer noch ziemlich offen und ungescheur eine Menge weniger schreiender
Mißbräuche. Jede Gunst, jedes durch die Finger Sehen bei Verstößen gegen
Ordnung und Gesetz kauft man bei ihnen für Geld, Stellen, die sie zu ver¬
geben haben, verschafft man sich durch Geschenke, die Großwürdenträger
associiren sich mit den Steuerpächtern, den Lieferanten, den Bauunternehmern,
diese zahlen, jene unterstützen sie dafür an der Centralstelle zu Stambul,
verschaffen ihnen vortheilhafte Verträge und bewirken beschleunigte Auszahlung
der gewöhnlich hoch hinaufgeschraubten Rechnungen. Wieder sind hier alle
Mittel gut, die zum Ziele, das heißt zu unerlaubtem Gelderwerb, führen.




des Interesses jedes einzelnen Klägers, die unleidlich geworden, los zu werden.
Wiederholte Bittgesuche blieben erfolglos, selbst von fremden Consuln unter¬
stützte Kundgebungen brachten keine Aenderung des Zustandes. Endlich half
das bisher immer probat gewesene Mittel: klingende Gründe machten ge¬
hörigen Eindruck, und das Unwesen Einiger, die sich mittlerweile nach
Kräften vollgesogen hatten, wurde abgeschafft, aber selbstredend nur, um von
der Gesammtheit im Großen fortgesetzt zu werden.

Das geschah vor einer Reihe von Jahren in Konstantinopel. Seitdem ist
reformirt und wieder und immer wieder reformirt worden, wobei das Papier
geduldig war und nebenher auch einiges, oder wenn man bescheiden ist, vieles
Gute außerhalb des Papiers geschaffen wurde. Einer nicht geringen Anzahl
von Unterthanen der Pforte haben diese Reformen wirklich Erleichterung
geschafft und beträchtliche Vortheile zu Theil werden lassen. Dank derselben
kann die geschilderte Erpressungssucht in der Hauptstadt, in den größeren
Orten der Küste und da, wo Europäer ehrlichen Schlages leben, nicht mehr
offen und mit voller roher Willkür schalten und walten; in den entlegneren
Provinzen der asiatischen und nicht minder in denen der europäischen Reichs¬
hälfte bewahrt jedoch noch heute der erhobene Kurbatsch seine ganze hohe
Ueberzeugungskraft in Betreff des unbestreitbaren Rechtes der Beamten, ihre
Stellen zur Füllung ihrer Taschen auf Kosten der ihrer Verwaltung Unter¬
gebnen zu benutzen. In den zugänglicheren Küstenstrichen befleißigen sich,
wie gesagt, die vielfach von fränkischen Agenten bewachten Behörden größerer
Mäßigung und Vorsicht. Sie wagen nicht mehr, ohne Weiteres Blut und
Thränen fließen zu lassen, um sich zu bereichern, aber andrerseits begehen sie
immer noch ziemlich offen und ungescheur eine Menge weniger schreiender
Mißbräuche. Jede Gunst, jedes durch die Finger Sehen bei Verstößen gegen
Ordnung und Gesetz kauft man bei ihnen für Geld, Stellen, die sie zu ver¬
geben haben, verschafft man sich durch Geschenke, die Großwürdenträger
associiren sich mit den Steuerpächtern, den Lieferanten, den Bauunternehmern,
diese zahlen, jene unterstützen sie dafür an der Centralstelle zu Stambul,
verschaffen ihnen vortheilhafte Verträge und bewirken beschleunigte Auszahlung
der gewöhnlich hoch hinaufgeschraubten Rechnungen. Wieder sind hier alle
Mittel gut, die zum Ziele, das heißt zu unerlaubtem Gelderwerb, führen.




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[0263] des Interesses jedes einzelnen Klägers, die unleidlich geworden, los zu werden. Wiederholte Bittgesuche blieben erfolglos, selbst von fremden Consuln unter¬ stützte Kundgebungen brachten keine Aenderung des Zustandes. Endlich half das bisher immer probat gewesene Mittel: klingende Gründe machten ge¬ hörigen Eindruck, und das Unwesen Einiger, die sich mittlerweile nach Kräften vollgesogen hatten, wurde abgeschafft, aber selbstredend nur, um von der Gesammtheit im Großen fortgesetzt zu werden. Das geschah vor einer Reihe von Jahren in Konstantinopel. Seitdem ist reformirt und wieder und immer wieder reformirt worden, wobei das Papier geduldig war und nebenher auch einiges, oder wenn man bescheiden ist, vieles Gute außerhalb des Papiers geschaffen wurde. Einer nicht geringen Anzahl von Unterthanen der Pforte haben diese Reformen wirklich Erleichterung geschafft und beträchtliche Vortheile zu Theil werden lassen. Dank derselben kann die geschilderte Erpressungssucht in der Hauptstadt, in den größeren Orten der Küste und da, wo Europäer ehrlichen Schlages leben, nicht mehr offen und mit voller roher Willkür schalten und walten; in den entlegneren Provinzen der asiatischen und nicht minder in denen der europäischen Reichs¬ hälfte bewahrt jedoch noch heute der erhobene Kurbatsch seine ganze hohe Ueberzeugungskraft in Betreff des unbestreitbaren Rechtes der Beamten, ihre Stellen zur Füllung ihrer Taschen auf Kosten der ihrer Verwaltung Unter¬ gebnen zu benutzen. In den zugänglicheren Küstenstrichen befleißigen sich, wie gesagt, die vielfach von fränkischen Agenten bewachten Behörden größerer Mäßigung und Vorsicht. Sie wagen nicht mehr, ohne Weiteres Blut und Thränen fließen zu lassen, um sich zu bereichern, aber andrerseits begehen sie immer noch ziemlich offen und ungescheur eine Menge weniger schreiender Mißbräuche. Jede Gunst, jedes durch die Finger Sehen bei Verstößen gegen Ordnung und Gesetz kauft man bei ihnen für Geld, Stellen, die sie zu ver¬ geben haben, verschafft man sich durch Geschenke, die Großwürdenträger associiren sich mit den Steuerpächtern, den Lieferanten, den Bauunternehmern, diese zahlen, jene unterstützen sie dafür an der Centralstelle zu Stambul, verschaffen ihnen vortheilhafte Verträge und bewirken beschleunigte Auszahlung der gewöhnlich hoch hinaufgeschraubten Rechnungen. Wieder sind hier alle Mittel gut, die zum Ziele, das heißt zu unerlaubtem Gelderwerb, führen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/263>, abgerufen am 27.09.2024.