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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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von Gallipoli, die von jeher der Regierung das Brod und die Fische geliefert
hatten, wurden plötzlich bei Seite geschoben und der Verzweiflung preisge¬
geben. Keine Vorstellung half, erst durch förmliche Tributzahlungen an die
erwähnten Bankhäuser konnten die Betreffenden die Aufrechterhaltung ihrer
älteren in aller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen. Auch
in andern Beziehungen trat unter diesem Finanzminister allerlei Unge¬
bühr zu Tage. Die Truppen, an den guten ägyptischen Reis, ihre Haupt¬
nahrung, gewöhnt, beschwerten sich, daß man geringere Sorten dieser Körner¬
frucht aus Indien kommen ließe, der ungenießbaren Pillau gäbe. Die
Monturstücke aus Tuch und Filz, die sie jetzt geliefert bekamen, waren so
schlecht, daß sie in kurzer Zeit zerrissen und im Winter nicht vor der Unbill
der Witterung schützten. Die Staatsgläubiger wurden ohne Weiteres von
allen Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß in diesem
oder jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man ihnen
dort (es waren natürlich die perotischen Verbündeten der Excellenz im Finanz¬
ministerium) ihre legalisirten Forderungen mit einem kleinen Abzug von 26
bis 40 Procent aus Gefälligkeit abnehmen werde. Endlich sah sich der ge¬
stimmte Handelsstand nicht nur beinahe von allen als besonders gewinn¬
reich geltenden Geschäften mit der Regierung ausgeschlossen, sondern selbst seine
Speculationen in Privatgeschäften wurden bisweilen plötzlich durch einen
gouvernementalen Gaunerstreich über den Haufen geworfen. Die Bankiers,
die mit dem Finanzminister unter einer Decke spielten und mit ihm den
Gewinn theilten, hatten z. B. zufolge ihrer Monopole große Getreideliefcrungen
zu leisten. Auf einmal erschien ein Firman, der jede Ausfuhr von Kron¬
früchten für das laufende Jahr "im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt"
verbot. Massenhafte Vorräthe von solchen lagen aufgehäuft und zur Ver¬
sendung bereit, panischer Schrecken ergreift Producenten und Exporteure,
Schritte aller Art werden gethan, enorme Geldspendungen an hoher und
höchster Stelle begleiten sie, endlich wird nach Verlauf von einigen Wochen
der Firman zurückgenommen. Eine Menge minder wohlhabender Speculanten
war ruinirt, und nebenbei auch der zweite Zweck erreicht: der Ankauf un¬
geheurer Getreidemassen zu Spottpreisen, welche nun wieder hinaufzuschrauben
vortheilhaft war. Zuletzt wurde dieses Treiben unerträglich. Der ganze
Handelsstand, so weit er sich mit größeren Geschäften befaßte, verbündete sich
gegen die offenkundiger Umtriebe des Finanzministers und seiner Geschäfts¬
freunde in Pera unter dem Vorgeben, der Staatsschatz und der ganze Haus¬
halt des Reiches werde als Quelle der Bereicherung für wenige Individuen
angesehen und behandelt, eigentlich aber nur -- denn sittliche Entrüstung über
Betrug und Interesse am Wohle des Staates ist diesen Levantinern voll¬
kommen fremd -- in der Absicht, die Bedrohung. Bedrückung und Verletzung


von Gallipoli, die von jeher der Regierung das Brod und die Fische geliefert
hatten, wurden plötzlich bei Seite geschoben und der Verzweiflung preisge¬
geben. Keine Vorstellung half, erst durch förmliche Tributzahlungen an die
erwähnten Bankhäuser konnten die Betreffenden die Aufrechterhaltung ihrer
älteren in aller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen. Auch
in andern Beziehungen trat unter diesem Finanzminister allerlei Unge¬
bühr zu Tage. Die Truppen, an den guten ägyptischen Reis, ihre Haupt¬
nahrung, gewöhnt, beschwerten sich, daß man geringere Sorten dieser Körner¬
frucht aus Indien kommen ließe, der ungenießbaren Pillau gäbe. Die
Monturstücke aus Tuch und Filz, die sie jetzt geliefert bekamen, waren so
schlecht, daß sie in kurzer Zeit zerrissen und im Winter nicht vor der Unbill
der Witterung schützten. Die Staatsgläubiger wurden ohne Weiteres von
allen Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß in diesem
oder jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man ihnen
dort (es waren natürlich die perotischen Verbündeten der Excellenz im Finanz¬
ministerium) ihre legalisirten Forderungen mit einem kleinen Abzug von 26
bis 40 Procent aus Gefälligkeit abnehmen werde. Endlich sah sich der ge¬
stimmte Handelsstand nicht nur beinahe von allen als besonders gewinn¬
reich geltenden Geschäften mit der Regierung ausgeschlossen, sondern selbst seine
Speculationen in Privatgeschäften wurden bisweilen plötzlich durch einen
gouvernementalen Gaunerstreich über den Haufen geworfen. Die Bankiers,
die mit dem Finanzminister unter einer Decke spielten und mit ihm den
Gewinn theilten, hatten z. B. zufolge ihrer Monopole große Getreideliefcrungen
zu leisten. Auf einmal erschien ein Firman, der jede Ausfuhr von Kron¬
früchten für das laufende Jahr „im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt"
verbot. Massenhafte Vorräthe von solchen lagen aufgehäuft und zur Ver¬
sendung bereit, panischer Schrecken ergreift Producenten und Exporteure,
Schritte aller Art werden gethan, enorme Geldspendungen an hoher und
höchster Stelle begleiten sie, endlich wird nach Verlauf von einigen Wochen
der Firman zurückgenommen. Eine Menge minder wohlhabender Speculanten
war ruinirt, und nebenbei auch der zweite Zweck erreicht: der Ankauf un¬
geheurer Getreidemassen zu Spottpreisen, welche nun wieder hinaufzuschrauben
vortheilhaft war. Zuletzt wurde dieses Treiben unerträglich. Der ganze
Handelsstand, so weit er sich mit größeren Geschäften befaßte, verbündete sich
gegen die offenkundiger Umtriebe des Finanzministers und seiner Geschäfts¬
freunde in Pera unter dem Vorgeben, der Staatsschatz und der ganze Haus¬
halt des Reiches werde als Quelle der Bereicherung für wenige Individuen
angesehen und behandelt, eigentlich aber nur — denn sittliche Entrüstung über
Betrug und Interesse am Wohle des Staates ist diesen Levantinern voll¬
kommen fremd — in der Absicht, die Bedrohung. Bedrückung und Verletzung


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[0262] von Gallipoli, die von jeher der Regierung das Brod und die Fische geliefert hatten, wurden plötzlich bei Seite geschoben und der Verzweiflung preisge¬ geben. Keine Vorstellung half, erst durch förmliche Tributzahlungen an die erwähnten Bankhäuser konnten die Betreffenden die Aufrechterhaltung ihrer älteren in aller Form Rechtens abgeschlossenen Contracte erlangen. Auch in andern Beziehungen trat unter diesem Finanzminister allerlei Unge¬ bühr zu Tage. Die Truppen, an den guten ägyptischen Reis, ihre Haupt¬ nahrung, gewöhnt, beschwerten sich, daß man geringere Sorten dieser Körner¬ frucht aus Indien kommen ließe, der ungenießbaren Pillau gäbe. Die Monturstücke aus Tuch und Filz, die sie jetzt geliefert bekamen, waren so schlecht, daß sie in kurzer Zeit zerrissen und im Winter nicht vor der Unbill der Witterung schützten. Die Staatsgläubiger wurden ohne Weiteres von allen Kassen zurückgewiesen, doch gab man ihnen zu verstehen, daß in diesem oder jenem Comptoir stets baares Geld vorräthig sei, und daß man ihnen dort (es waren natürlich die perotischen Verbündeten der Excellenz im Finanz¬ ministerium) ihre legalisirten Forderungen mit einem kleinen Abzug von 26 bis 40 Procent aus Gefälligkeit abnehmen werde. Endlich sah sich der ge¬ stimmte Handelsstand nicht nur beinahe von allen als besonders gewinn¬ reich geltenden Geschäften mit der Regierung ausgeschlossen, sondern selbst seine Speculationen in Privatgeschäften wurden bisweilen plötzlich durch einen gouvernementalen Gaunerstreich über den Haufen geworfen. Die Bankiers, die mit dem Finanzminister unter einer Decke spielten und mit ihm den Gewinn theilten, hatten z. B. zufolge ihrer Monopole große Getreideliefcrungen zu leisten. Auf einmal erschien ein Firman, der jede Ausfuhr von Kron¬ früchten für das laufende Jahr „im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt" verbot. Massenhafte Vorräthe von solchen lagen aufgehäuft und zur Ver¬ sendung bereit, panischer Schrecken ergreift Producenten und Exporteure, Schritte aller Art werden gethan, enorme Geldspendungen an hoher und höchster Stelle begleiten sie, endlich wird nach Verlauf von einigen Wochen der Firman zurückgenommen. Eine Menge minder wohlhabender Speculanten war ruinirt, und nebenbei auch der zweite Zweck erreicht: der Ankauf un¬ geheurer Getreidemassen zu Spottpreisen, welche nun wieder hinaufzuschrauben vortheilhaft war. Zuletzt wurde dieses Treiben unerträglich. Der ganze Handelsstand, so weit er sich mit größeren Geschäften befaßte, verbündete sich gegen die offenkundiger Umtriebe des Finanzministers und seiner Geschäfts¬ freunde in Pera unter dem Vorgeben, der Staatsschatz und der ganze Haus¬ halt des Reiches werde als Quelle der Bereicherung für wenige Individuen angesehen und behandelt, eigentlich aber nur — denn sittliche Entrüstung über Betrug und Interesse am Wohle des Staates ist diesen Levantinern voll¬ kommen fremd — in der Absicht, die Bedrohung. Bedrückung und Verletzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/262>, abgerufen am 27.09.2024.