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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Provinzen, wo europäische Kritik nicht hinsieht, beinahe alles, was den Namen
eines großherrlichen Beamten trägt. Oeffentliche Gläubiger, deren Forde¬
rungen anerkannt und vollständig unzweifelhaft vorliegen, werden von
diesen bestechlichen Spitzbuben oft Jahre hindurch mit der Bezahlung hinge¬
halten, andere dagegen, die erkenntliche Leute sind, lächelnd nicht blos einmal,
sondern zwei oder selbst drei Mal bezahlt. Die Intendanten, Cassierer, Con¬
troleurs und der ganze unabsehbare Troß blutsaugenden Gewürms kennen
und überwachen nichts als ihre eigenen Taschen. Sie hassen alles, was
ihren Kef, die Pfeife, den Genuß von Kaffee stört. Nur, was unbedingt
gethan werden muß, geschieht. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit wird unter
dieser Menschenklasse nur in seltenen Fällen mit leidlichem Erfolge gesucht.

Die Gerechtigkeit indeß nöthigt uns hier einzuschalten, daß der Türke,
namentlich der gemeine Mann, um ein Lump und Lügner zu werden, der
Staatsmaschine einverleibt sein muß. und daß keineswegs alle Schichten des
Volkes gleiche Verdorbenheit durchdrungen hat. Redlichkeit und unverbrüch¬
liches Festhalten am gegebenen Worte im Gegentheil ein stehender Charakter¬
zug des nicht im Staatsdienste angestellten Türken ist. der durch diese Eigen¬
schaften den Araber und Perser, noch viel mehr aber seine christlichen Nach-
barn, den Griechen, vorzüglich den Peroten, und den in der Regel noch ärgeren
Armenier tief beschämen würde, wenn dieses Gefindel ein Organ für Scham
und auch nur ein Zipfelchen von Gewissen hätte. Man ist oft erstaunt, bei
diesen türkischen Kaufleuten, Handwerkern und Bauern so viel Treue und
Rechtschaffenheit mitten unter tief eingewurzelten sittlichen Gebrechen zu fin¬
den. Alle geselligen Verhältnisse, alle kaufmännischen Usancen beruhen auf
dem größten gegenseitigen Zutrauen, von der ohne allen Verdacht ge¬
währten Gastfreundschaft an bis zum zum gänzlichen Mangel einer Em¬
pfangsbestätigung, Quittung oder sonstigen schriftlichen Sicherstellung bei
Geld- und Waarensendungen. Ein paar Beispiele mögen das hier Gesagte
illustriren.

Geldsendungen werden noch größtenteils in altherkömmlicher Weise be¬
sorgt, daß heißt, durch berittene Tartaren, die sich als Couriere nach den
verschiedensten Richtungen hin kreuzen. Dann und wann geschieht es, daß
einer dieser Boten bestohlen oder auf dem Wege geplündert wird. Dann ist
es ein Unglück, aber nicht für ihn. Er ist abgereist, man hat ihm bedeutende
Summen anvertraut, selbstverständlich ohne eine Empfangsbestätigung von
seiner Seite, nach einigen Tagen kommt er mit leeren Händen zurück, man
bedauert ihn. und damit ist die Sache abgemacht, nicht die leiseste Spur eines
Verdachts oder einer kränkenden Beschuldigung wird laut. Die Kaufleute
kommen, oft hundert Meilen weit, aus dem Binnenlande in die Vorstädte,
kaufen ihre Vorräthe bei den großen europäischen Importeuren in Stambul,


Provinzen, wo europäische Kritik nicht hinsieht, beinahe alles, was den Namen
eines großherrlichen Beamten trägt. Oeffentliche Gläubiger, deren Forde¬
rungen anerkannt und vollständig unzweifelhaft vorliegen, werden von
diesen bestechlichen Spitzbuben oft Jahre hindurch mit der Bezahlung hinge¬
halten, andere dagegen, die erkenntliche Leute sind, lächelnd nicht blos einmal,
sondern zwei oder selbst drei Mal bezahlt. Die Intendanten, Cassierer, Con¬
troleurs und der ganze unabsehbare Troß blutsaugenden Gewürms kennen
und überwachen nichts als ihre eigenen Taschen. Sie hassen alles, was
ihren Kef, die Pfeife, den Genuß von Kaffee stört. Nur, was unbedingt
gethan werden muß, geschieht. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit wird unter
dieser Menschenklasse nur in seltenen Fällen mit leidlichem Erfolge gesucht.

Die Gerechtigkeit indeß nöthigt uns hier einzuschalten, daß der Türke,
namentlich der gemeine Mann, um ein Lump und Lügner zu werden, der
Staatsmaschine einverleibt sein muß. und daß keineswegs alle Schichten des
Volkes gleiche Verdorbenheit durchdrungen hat. Redlichkeit und unverbrüch¬
liches Festhalten am gegebenen Worte im Gegentheil ein stehender Charakter¬
zug des nicht im Staatsdienste angestellten Türken ist. der durch diese Eigen¬
schaften den Araber und Perser, noch viel mehr aber seine christlichen Nach-
barn, den Griechen, vorzüglich den Peroten, und den in der Regel noch ärgeren
Armenier tief beschämen würde, wenn dieses Gefindel ein Organ für Scham
und auch nur ein Zipfelchen von Gewissen hätte. Man ist oft erstaunt, bei
diesen türkischen Kaufleuten, Handwerkern und Bauern so viel Treue und
Rechtschaffenheit mitten unter tief eingewurzelten sittlichen Gebrechen zu fin¬
den. Alle geselligen Verhältnisse, alle kaufmännischen Usancen beruhen auf
dem größten gegenseitigen Zutrauen, von der ohne allen Verdacht ge¬
währten Gastfreundschaft an bis zum zum gänzlichen Mangel einer Em¬
pfangsbestätigung, Quittung oder sonstigen schriftlichen Sicherstellung bei
Geld- und Waarensendungen. Ein paar Beispiele mögen das hier Gesagte
illustriren.

Geldsendungen werden noch größtenteils in altherkömmlicher Weise be¬
sorgt, daß heißt, durch berittene Tartaren, die sich als Couriere nach den
verschiedensten Richtungen hin kreuzen. Dann und wann geschieht es, daß
einer dieser Boten bestohlen oder auf dem Wege geplündert wird. Dann ist
es ein Unglück, aber nicht für ihn. Er ist abgereist, man hat ihm bedeutende
Summen anvertraut, selbstverständlich ohne eine Empfangsbestätigung von
seiner Seite, nach einigen Tagen kommt er mit leeren Händen zurück, man
bedauert ihn. und damit ist die Sache abgemacht, nicht die leiseste Spur eines
Verdachts oder einer kränkenden Beschuldigung wird laut. Die Kaufleute
kommen, oft hundert Meilen weit, aus dem Binnenlande in die Vorstädte,
kaufen ihre Vorräthe bei den großen europäischen Importeuren in Stambul,


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[0259] Provinzen, wo europäische Kritik nicht hinsieht, beinahe alles, was den Namen eines großherrlichen Beamten trägt. Oeffentliche Gläubiger, deren Forde¬ rungen anerkannt und vollständig unzweifelhaft vorliegen, werden von diesen bestechlichen Spitzbuben oft Jahre hindurch mit der Bezahlung hinge¬ halten, andere dagegen, die erkenntliche Leute sind, lächelnd nicht blos einmal, sondern zwei oder selbst drei Mal bezahlt. Die Intendanten, Cassierer, Con¬ troleurs und der ganze unabsehbare Troß blutsaugenden Gewürms kennen und überwachen nichts als ihre eigenen Taschen. Sie hassen alles, was ihren Kef, die Pfeife, den Genuß von Kaffee stört. Nur, was unbedingt gethan werden muß, geschieht. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit wird unter dieser Menschenklasse nur in seltenen Fällen mit leidlichem Erfolge gesucht. Die Gerechtigkeit indeß nöthigt uns hier einzuschalten, daß der Türke, namentlich der gemeine Mann, um ein Lump und Lügner zu werden, der Staatsmaschine einverleibt sein muß. und daß keineswegs alle Schichten des Volkes gleiche Verdorbenheit durchdrungen hat. Redlichkeit und unverbrüch¬ liches Festhalten am gegebenen Worte im Gegentheil ein stehender Charakter¬ zug des nicht im Staatsdienste angestellten Türken ist. der durch diese Eigen¬ schaften den Araber und Perser, noch viel mehr aber seine christlichen Nach- barn, den Griechen, vorzüglich den Peroten, und den in der Regel noch ärgeren Armenier tief beschämen würde, wenn dieses Gefindel ein Organ für Scham und auch nur ein Zipfelchen von Gewissen hätte. Man ist oft erstaunt, bei diesen türkischen Kaufleuten, Handwerkern und Bauern so viel Treue und Rechtschaffenheit mitten unter tief eingewurzelten sittlichen Gebrechen zu fin¬ den. Alle geselligen Verhältnisse, alle kaufmännischen Usancen beruhen auf dem größten gegenseitigen Zutrauen, von der ohne allen Verdacht ge¬ währten Gastfreundschaft an bis zum zum gänzlichen Mangel einer Em¬ pfangsbestätigung, Quittung oder sonstigen schriftlichen Sicherstellung bei Geld- und Waarensendungen. Ein paar Beispiele mögen das hier Gesagte illustriren. Geldsendungen werden noch größtenteils in altherkömmlicher Weise be¬ sorgt, daß heißt, durch berittene Tartaren, die sich als Couriere nach den verschiedensten Richtungen hin kreuzen. Dann und wann geschieht es, daß einer dieser Boten bestohlen oder auf dem Wege geplündert wird. Dann ist es ein Unglück, aber nicht für ihn. Er ist abgereist, man hat ihm bedeutende Summen anvertraut, selbstverständlich ohne eine Empfangsbestätigung von seiner Seite, nach einigen Tagen kommt er mit leeren Händen zurück, man bedauert ihn. und damit ist die Sache abgemacht, nicht die leiseste Spur eines Verdachts oder einer kränkenden Beschuldigung wird laut. Die Kaufleute kommen, oft hundert Meilen weit, aus dem Binnenlande in die Vorstädte, kaufen ihre Vorräthe bei den großen europäischen Importeuren in Stambul,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/259>, abgerufen am 27.09.2024.