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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Urtheil ab, daß dieselben sowohl in Bezug auf ihren Bau als hinsichtlich
ihrer Betriebssähtgkett andern gutgebauten und gehörig administrirten einglei¬
sigen Bahnen gleich ständen. Am 30. Sept. v. I. ist zwischen der öster¬
reichisch-ungarischen und der türkischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen
worden, nach welchem letztere den Bau der Linie Belora-Sofla-Risch spätestens
am 31. Mai d. I. beginnen sollte, wogegen sich Oesterreich-Ungarn ver¬
pflichtete, eine directe Bahn zwischen Semlin und Pest herzustellen. Allein
unter den jetzigen Verhältnissen ist erstens nicht anzunehmen, daß die Türken
ihre Zusage so bald erfüllen werden, und zweitens ist eine Uebereinkunft der
Pforte mit Serbien wegen der Morawa-Bahn, welche Semlin mit Risch ver¬
binden müßte, um die türkische Strecke mit dem Weltverkehr in Verbindung
zu bringen, nicht zu Stande gekommen.

Wie faul es mit der Verwaltung in der Türkei steht, sieht man recht
deutlich in den öffentlichen Bauten. Seit ein besonderes Ministerium für
dieses Gebiet besteht, sind solche von Zeit zu Zeit entworfen, hin und wieder
auch in Angriff genommen und in einigen Fällen (es waren meist Kasernen)
sogar ausgeführt worden. Gewöhnlich handelte es sich dabei aber weniger
um die Herstellung eines gemeinnützigen Bauwerks als um die Füllung eines
Privatsäckels oder mehrerer. Ein beliebiger Großwürdenträger schlägt bei
solchen Unternehmungen nach gehöriger Verabredung mit seinen College" und
einigen ins Vertrauen gezogenen Bauverständigen plötzlich die Errichtung
einer großartigen Anstalt für das allgemeine Wohl, sagen wir eines Spitals,
vor. Baukostenentwürfe werden angefertigt, Gutachten gehört und Unter¬
nehmer zur Berathung eingeladen, wobei man ihnen zu verstehen giebt, daß
sie sich durch eine pränumerando zu leistende Zahlung eine verhältnißmäßig
nette Summe verdienen können. Speculanten fehlen natürlich nie, die höchste
Bewilligung erscheint, der Bau beginnt, wie sich von selbst versteht, auf Kosten
der zum freiwilligen Beitritt aufgeforderten Stadtgemeinde. Sobald jedoch
die ohne Weiteres zwangsweise beigetrtebenen Beiträge der betreffenden Steuer¬
pflichtigen ins Trockne gebracht sind, geräth das Ganze ins Stocken, un¬
vorhergesehene Umstände nöthigen, das mittlerweile fertig gewordene Erd¬
geschoß (in seltenen Fällen ist man höher gelangt) mit einem Notstände zu
versehen, und dabei bleibt es in der Regel.

Und ähnlich geht es auf allen andern Gebieten der Verwaltung zu.
Die schamlose Plünderung der öffentlichen Cassen durch den Sultan (wir
meinen die beiden letzten) und die Unterschleife der hohen Würdenträger fin¬
den in allen Classen der türkischen Beamtenwelt ihr Seitenstück, nur erklärt
sich das hier unten dadurch, daß häusig die Zahlung der Gehälter stockt.
Ein alles Maß menschlicher Schamlosigkeit übersteigende Unredlichkeit, gren¬
zenlose Willkür und bodenloser Leichtsinn beherrschen namentlich in den


Urtheil ab, daß dieselben sowohl in Bezug auf ihren Bau als hinsichtlich
ihrer Betriebssähtgkett andern gutgebauten und gehörig administrirten einglei¬
sigen Bahnen gleich ständen. Am 30. Sept. v. I. ist zwischen der öster¬
reichisch-ungarischen und der türkischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen
worden, nach welchem letztere den Bau der Linie Belora-Sofla-Risch spätestens
am 31. Mai d. I. beginnen sollte, wogegen sich Oesterreich-Ungarn ver¬
pflichtete, eine directe Bahn zwischen Semlin und Pest herzustellen. Allein
unter den jetzigen Verhältnissen ist erstens nicht anzunehmen, daß die Türken
ihre Zusage so bald erfüllen werden, und zweitens ist eine Uebereinkunft der
Pforte mit Serbien wegen der Morawa-Bahn, welche Semlin mit Risch ver¬
binden müßte, um die türkische Strecke mit dem Weltverkehr in Verbindung
zu bringen, nicht zu Stande gekommen.

Wie faul es mit der Verwaltung in der Türkei steht, sieht man recht
deutlich in den öffentlichen Bauten. Seit ein besonderes Ministerium für
dieses Gebiet besteht, sind solche von Zeit zu Zeit entworfen, hin und wieder
auch in Angriff genommen und in einigen Fällen (es waren meist Kasernen)
sogar ausgeführt worden. Gewöhnlich handelte es sich dabei aber weniger
um die Herstellung eines gemeinnützigen Bauwerks als um die Füllung eines
Privatsäckels oder mehrerer. Ein beliebiger Großwürdenträger schlägt bei
solchen Unternehmungen nach gehöriger Verabredung mit seinen College» und
einigen ins Vertrauen gezogenen Bauverständigen plötzlich die Errichtung
einer großartigen Anstalt für das allgemeine Wohl, sagen wir eines Spitals,
vor. Baukostenentwürfe werden angefertigt, Gutachten gehört und Unter¬
nehmer zur Berathung eingeladen, wobei man ihnen zu verstehen giebt, daß
sie sich durch eine pränumerando zu leistende Zahlung eine verhältnißmäßig
nette Summe verdienen können. Speculanten fehlen natürlich nie, die höchste
Bewilligung erscheint, der Bau beginnt, wie sich von selbst versteht, auf Kosten
der zum freiwilligen Beitritt aufgeforderten Stadtgemeinde. Sobald jedoch
die ohne Weiteres zwangsweise beigetrtebenen Beiträge der betreffenden Steuer¬
pflichtigen ins Trockne gebracht sind, geräth das Ganze ins Stocken, un¬
vorhergesehene Umstände nöthigen, das mittlerweile fertig gewordene Erd¬
geschoß (in seltenen Fällen ist man höher gelangt) mit einem Notstände zu
versehen, und dabei bleibt es in der Regel.

Und ähnlich geht es auf allen andern Gebieten der Verwaltung zu.
Die schamlose Plünderung der öffentlichen Cassen durch den Sultan (wir
meinen die beiden letzten) und die Unterschleife der hohen Würdenträger fin¬
den in allen Classen der türkischen Beamtenwelt ihr Seitenstück, nur erklärt
sich das hier unten dadurch, daß häusig die Zahlung der Gehälter stockt.
Ein alles Maß menschlicher Schamlosigkeit übersteigende Unredlichkeit, gren¬
zenlose Willkür und bodenloser Leichtsinn beherrschen namentlich in den


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[0258] Urtheil ab, daß dieselben sowohl in Bezug auf ihren Bau als hinsichtlich ihrer Betriebssähtgkett andern gutgebauten und gehörig administrirten einglei¬ sigen Bahnen gleich ständen. Am 30. Sept. v. I. ist zwischen der öster¬ reichisch-ungarischen und der türkischen Regierung ein Vertrag abgeschlossen worden, nach welchem letztere den Bau der Linie Belora-Sofla-Risch spätestens am 31. Mai d. I. beginnen sollte, wogegen sich Oesterreich-Ungarn ver¬ pflichtete, eine directe Bahn zwischen Semlin und Pest herzustellen. Allein unter den jetzigen Verhältnissen ist erstens nicht anzunehmen, daß die Türken ihre Zusage so bald erfüllen werden, und zweitens ist eine Uebereinkunft der Pforte mit Serbien wegen der Morawa-Bahn, welche Semlin mit Risch ver¬ binden müßte, um die türkische Strecke mit dem Weltverkehr in Verbindung zu bringen, nicht zu Stande gekommen. Wie faul es mit der Verwaltung in der Türkei steht, sieht man recht deutlich in den öffentlichen Bauten. Seit ein besonderes Ministerium für dieses Gebiet besteht, sind solche von Zeit zu Zeit entworfen, hin und wieder auch in Angriff genommen und in einigen Fällen (es waren meist Kasernen) sogar ausgeführt worden. Gewöhnlich handelte es sich dabei aber weniger um die Herstellung eines gemeinnützigen Bauwerks als um die Füllung eines Privatsäckels oder mehrerer. Ein beliebiger Großwürdenträger schlägt bei solchen Unternehmungen nach gehöriger Verabredung mit seinen College» und einigen ins Vertrauen gezogenen Bauverständigen plötzlich die Errichtung einer großartigen Anstalt für das allgemeine Wohl, sagen wir eines Spitals, vor. Baukostenentwürfe werden angefertigt, Gutachten gehört und Unter¬ nehmer zur Berathung eingeladen, wobei man ihnen zu verstehen giebt, daß sie sich durch eine pränumerando zu leistende Zahlung eine verhältnißmäßig nette Summe verdienen können. Speculanten fehlen natürlich nie, die höchste Bewilligung erscheint, der Bau beginnt, wie sich von selbst versteht, auf Kosten der zum freiwilligen Beitritt aufgeforderten Stadtgemeinde. Sobald jedoch die ohne Weiteres zwangsweise beigetrtebenen Beiträge der betreffenden Steuer¬ pflichtigen ins Trockne gebracht sind, geräth das Ganze ins Stocken, un¬ vorhergesehene Umstände nöthigen, das mittlerweile fertig gewordene Erd¬ geschoß (in seltenen Fällen ist man höher gelangt) mit einem Notstände zu versehen, und dabei bleibt es in der Regel. Und ähnlich geht es auf allen andern Gebieten der Verwaltung zu. Die schamlose Plünderung der öffentlichen Cassen durch den Sultan (wir meinen die beiden letzten) und die Unterschleife der hohen Würdenträger fin¬ den in allen Classen der türkischen Beamtenwelt ihr Seitenstück, nur erklärt sich das hier unten dadurch, daß häusig die Zahlung der Gehälter stockt. Ein alles Maß menschlicher Schamlosigkeit übersteigende Unredlichkeit, gren¬ zenlose Willkür und bodenloser Leichtsinn beherrschen namentlich in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/258>, abgerufen am 27.09.2024.