Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mögensobjecte. Ausschließlicher Eigenthümer der Grundstücke, welche Wakuf
sind, ist Gott, der Staat hat nicht das Recht, sie mit Steuern zu belegen.
Solche frommen Zwecken geweihte Grundstücke schreiben sich theils von Ge¬
schenken früherer Sultane von eroberten Lande oder Domänen (dann Mewkuse
genannt) theils von Stiftungen gottesfürchtiger und mildthätiger Privat¬
personen, aber nicht selten auch solcher Leute her, die damit einer Confis¬
cation vorbeugen wollten; denn der Wakuf wurde damit allerdings Eigen¬
thümer des betreffenden Landes, überließ es dem Schenkgeber aber dann als
Erbpachtgut. Die Verwaltung liegt in den Händen der Ulema, welche die
Grundstücke gegen Entrichtung einer bestimmten Abgabe in Erbpacht oder
zu Lehen vergeben. Erbberechtigt sollten nur Descendenten sein; fehlte es
an solchen, so fiel der Besitz an den Wakuf zurück. Die Nachtheile dieser
Einrichtung bestanden (und bestehen noch jetzt großentheils) in schlechter Ver¬
waltung, fortwährendem Wechsel des Besitzstandes, vernehmlich aber in über¬
mäßiger Belastung des freien Grundbesitzes, da der Staat aus dem Wakuf,
der mehr als die Hälfte des ganzen anbaufähigen Landes umfaßt, keinerlei
Einnahmen hat. Daher sind in den letzten fünfzig Jahren verschiedene Ma߬
regeln getroffen worden, um hier zu reformiren. 1826 hob man das Bureau
der Confiscationen auf, worauf die Stiftung von Wakufs erheblich abnahm.
1835 erklärte sich der Staat zum obersten Inspector der Wakufgüter. 1858
fielen die Mewkufe an den Staat zurück. Der Wakuf behielt nur die Ein¬
nahmen von den Steuern bei Aenderung des Besitzstandes. Die Successions¬
rechte der Besitzer wurden erweitert. 1867 wurden die Firagi Belwefa, der
Verkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs, die Fiducia des römischen Rechts, ge¬
setzlich gutgeheißen, die Abgaben erhöht und die Suecessionsrechte der Besitzer
fernerweit vermehrt. 1875 wurden dieselben auf sieben Verwandtschaftsgrade
ausgedehnt, und die Besitzer hatten fortan der Verwaltung 1 pro Mille als
Abgabe zu entrichten. Endlich erhielten im laufenden Jahre auch Christen
das Recht, Wakufgüter zu erwerben. Die letzten Reformen verfolgen den
Zweck, die Erbpächter der Wakufgüter allmählich zu vollen Eigenthümern
derselben und dadurch zu Steuerzahlern für den Staat zu machen und den
seitherigen unerträglichen Rechtszustand zu beseitigen. Die Wakufgüter sind
übrigens nicht selten so klein, daß sie nur einen Theil von einem Hausgrund¬
stücke ausmachen, und so kam es vor, daß Treppe und Hausflur als Wakuf
wegen beschränkter Erbfolge verfielen und reclamirt wurden.

Die Höhe der Steuern und die Art, wie man sie eintreibt, haben vor
Allem den Aufstand in Bosnien hervorgerufen. Eine Beschwerdeschrift der
Rajah an die Vertreter der auswärtigen Mächte führt folgende Abgaben auf:
1) die Zehnten, 2) die Gjummruk oder der dtrecte Zoll, 3) der Broe oder die
Auflage auf die Feldgewächse, 4) die Acker-, 5) die Haus-, 6) die Getreide-


mögensobjecte. Ausschließlicher Eigenthümer der Grundstücke, welche Wakuf
sind, ist Gott, der Staat hat nicht das Recht, sie mit Steuern zu belegen.
Solche frommen Zwecken geweihte Grundstücke schreiben sich theils von Ge¬
schenken früherer Sultane von eroberten Lande oder Domänen (dann Mewkuse
genannt) theils von Stiftungen gottesfürchtiger und mildthätiger Privat¬
personen, aber nicht selten auch solcher Leute her, die damit einer Confis¬
cation vorbeugen wollten; denn der Wakuf wurde damit allerdings Eigen¬
thümer des betreffenden Landes, überließ es dem Schenkgeber aber dann als
Erbpachtgut. Die Verwaltung liegt in den Händen der Ulema, welche die
Grundstücke gegen Entrichtung einer bestimmten Abgabe in Erbpacht oder
zu Lehen vergeben. Erbberechtigt sollten nur Descendenten sein; fehlte es
an solchen, so fiel der Besitz an den Wakuf zurück. Die Nachtheile dieser
Einrichtung bestanden (und bestehen noch jetzt großentheils) in schlechter Ver¬
waltung, fortwährendem Wechsel des Besitzstandes, vernehmlich aber in über¬
mäßiger Belastung des freien Grundbesitzes, da der Staat aus dem Wakuf,
der mehr als die Hälfte des ganzen anbaufähigen Landes umfaßt, keinerlei
Einnahmen hat. Daher sind in den letzten fünfzig Jahren verschiedene Ma߬
regeln getroffen worden, um hier zu reformiren. 1826 hob man das Bureau
der Confiscationen auf, worauf die Stiftung von Wakufs erheblich abnahm.
1835 erklärte sich der Staat zum obersten Inspector der Wakufgüter. 1858
fielen die Mewkufe an den Staat zurück. Der Wakuf behielt nur die Ein¬
nahmen von den Steuern bei Aenderung des Besitzstandes. Die Successions¬
rechte der Besitzer wurden erweitert. 1867 wurden die Firagi Belwefa, der
Verkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs, die Fiducia des römischen Rechts, ge¬
setzlich gutgeheißen, die Abgaben erhöht und die Suecessionsrechte der Besitzer
fernerweit vermehrt. 1875 wurden dieselben auf sieben Verwandtschaftsgrade
ausgedehnt, und die Besitzer hatten fortan der Verwaltung 1 pro Mille als
Abgabe zu entrichten. Endlich erhielten im laufenden Jahre auch Christen
das Recht, Wakufgüter zu erwerben. Die letzten Reformen verfolgen den
Zweck, die Erbpächter der Wakufgüter allmählich zu vollen Eigenthümern
derselben und dadurch zu Steuerzahlern für den Staat zu machen und den
seitherigen unerträglichen Rechtszustand zu beseitigen. Die Wakufgüter sind
übrigens nicht selten so klein, daß sie nur einen Theil von einem Hausgrund¬
stücke ausmachen, und so kam es vor, daß Treppe und Hausflur als Wakuf
wegen beschränkter Erbfolge verfielen und reclamirt wurden.

Die Höhe der Steuern und die Art, wie man sie eintreibt, haben vor
Allem den Aufstand in Bosnien hervorgerufen. Eine Beschwerdeschrift der
Rajah an die Vertreter der auswärtigen Mächte führt folgende Abgaben auf:
1) die Zehnten, 2) die Gjummruk oder der dtrecte Zoll, 3) der Broe oder die
Auflage auf die Feldgewächse, 4) die Acker-, 5) die Haus-, 6) die Getreide-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136365"/>
          <p xml:id="ID_632" prev="#ID_631"> mögensobjecte. Ausschließlicher Eigenthümer der Grundstücke, welche Wakuf<lb/>
sind, ist Gott, der Staat hat nicht das Recht, sie mit Steuern zu belegen.<lb/>
Solche frommen Zwecken geweihte Grundstücke schreiben sich theils von Ge¬<lb/>
schenken früherer Sultane von eroberten Lande oder Domänen (dann Mewkuse<lb/>
genannt) theils von Stiftungen gottesfürchtiger und mildthätiger Privat¬<lb/>
personen, aber nicht selten auch solcher Leute her, die damit einer Confis¬<lb/>
cation vorbeugen wollten; denn der Wakuf wurde damit allerdings Eigen¬<lb/>
thümer des betreffenden Landes, überließ es dem Schenkgeber aber dann als<lb/>
Erbpachtgut. Die Verwaltung liegt in den Händen der Ulema, welche die<lb/>
Grundstücke gegen Entrichtung einer bestimmten Abgabe in Erbpacht oder<lb/>
zu Lehen vergeben. Erbberechtigt sollten nur Descendenten sein; fehlte es<lb/>
an solchen, so fiel der Besitz an den Wakuf zurück. Die Nachtheile dieser<lb/>
Einrichtung bestanden (und bestehen noch jetzt großentheils) in schlechter Ver¬<lb/>
waltung, fortwährendem Wechsel des Besitzstandes, vernehmlich aber in über¬<lb/>
mäßiger Belastung des freien Grundbesitzes, da der Staat aus dem Wakuf,<lb/>
der mehr als die Hälfte des ganzen anbaufähigen Landes umfaßt, keinerlei<lb/>
Einnahmen hat. Daher sind in den letzten fünfzig Jahren verschiedene Ma߬<lb/>
regeln getroffen worden, um hier zu reformiren. 1826 hob man das Bureau<lb/>
der Confiscationen auf, worauf die Stiftung von Wakufs erheblich abnahm.<lb/>
1835 erklärte sich der Staat zum obersten Inspector der Wakufgüter. 1858<lb/>
fielen die Mewkufe an den Staat zurück. Der Wakuf behielt nur die Ein¬<lb/>
nahmen von den Steuern bei Aenderung des Besitzstandes. Die Successions¬<lb/>
rechte der Besitzer wurden erweitert. 1867 wurden die Firagi Belwefa, der<lb/>
Verkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs, die Fiducia des römischen Rechts, ge¬<lb/>
setzlich gutgeheißen, die Abgaben erhöht und die Suecessionsrechte der Besitzer<lb/>
fernerweit vermehrt. 1875 wurden dieselben auf sieben Verwandtschaftsgrade<lb/>
ausgedehnt, und die Besitzer hatten fortan der Verwaltung 1 pro Mille als<lb/>
Abgabe zu entrichten. Endlich erhielten im laufenden Jahre auch Christen<lb/>
das Recht, Wakufgüter zu erwerben. Die letzten Reformen verfolgen den<lb/>
Zweck, die Erbpächter der Wakufgüter allmählich zu vollen Eigenthümern<lb/>
derselben und dadurch zu Steuerzahlern für den Staat zu machen und den<lb/>
seitherigen unerträglichen Rechtszustand zu beseitigen. Die Wakufgüter sind<lb/>
übrigens nicht selten so klein, daß sie nur einen Theil von einem Hausgrund¬<lb/>
stücke ausmachen, und so kam es vor, daß Treppe und Hausflur als Wakuf<lb/>
wegen beschränkter Erbfolge verfielen und reclamirt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_633" next="#ID_634"> Die Höhe der Steuern und die Art, wie man sie eintreibt, haben vor<lb/>
Allem den Aufstand in Bosnien hervorgerufen. Eine Beschwerdeschrift der<lb/>
Rajah an die Vertreter der auswärtigen Mächte führt folgende Abgaben auf:<lb/>
1) die Zehnten, 2) die Gjummruk oder der dtrecte Zoll, 3) der Broe oder die<lb/>
Auflage auf die Feldgewächse, 4) die Acker-, 5) die Haus-, 6) die Getreide-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] mögensobjecte. Ausschließlicher Eigenthümer der Grundstücke, welche Wakuf sind, ist Gott, der Staat hat nicht das Recht, sie mit Steuern zu belegen. Solche frommen Zwecken geweihte Grundstücke schreiben sich theils von Ge¬ schenken früherer Sultane von eroberten Lande oder Domänen (dann Mewkuse genannt) theils von Stiftungen gottesfürchtiger und mildthätiger Privat¬ personen, aber nicht selten auch solcher Leute her, die damit einer Confis¬ cation vorbeugen wollten; denn der Wakuf wurde damit allerdings Eigen¬ thümer des betreffenden Landes, überließ es dem Schenkgeber aber dann als Erbpachtgut. Die Verwaltung liegt in den Händen der Ulema, welche die Grundstücke gegen Entrichtung einer bestimmten Abgabe in Erbpacht oder zu Lehen vergeben. Erbberechtigt sollten nur Descendenten sein; fehlte es an solchen, so fiel der Besitz an den Wakuf zurück. Die Nachtheile dieser Einrichtung bestanden (und bestehen noch jetzt großentheils) in schlechter Ver¬ waltung, fortwährendem Wechsel des Besitzstandes, vernehmlich aber in über¬ mäßiger Belastung des freien Grundbesitzes, da der Staat aus dem Wakuf, der mehr als die Hälfte des ganzen anbaufähigen Landes umfaßt, keinerlei Einnahmen hat. Daher sind in den letzten fünfzig Jahren verschiedene Ma߬ regeln getroffen worden, um hier zu reformiren. 1826 hob man das Bureau der Confiscationen auf, worauf die Stiftung von Wakufs erheblich abnahm. 1835 erklärte sich der Staat zum obersten Inspector der Wakufgüter. 1858 fielen die Mewkufe an den Staat zurück. Der Wakuf behielt nur die Ein¬ nahmen von den Steuern bei Aenderung des Besitzstandes. Die Successions¬ rechte der Besitzer wurden erweitert. 1867 wurden die Firagi Belwefa, der Verkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs, die Fiducia des römischen Rechts, ge¬ setzlich gutgeheißen, die Abgaben erhöht und die Suecessionsrechte der Besitzer fernerweit vermehrt. 1875 wurden dieselben auf sieben Verwandtschaftsgrade ausgedehnt, und die Besitzer hatten fortan der Verwaltung 1 pro Mille als Abgabe zu entrichten. Endlich erhielten im laufenden Jahre auch Christen das Recht, Wakufgüter zu erwerben. Die letzten Reformen verfolgen den Zweck, die Erbpächter der Wakufgüter allmählich zu vollen Eigenthümern derselben und dadurch zu Steuerzahlern für den Staat zu machen und den seitherigen unerträglichen Rechtszustand zu beseitigen. Die Wakufgüter sind übrigens nicht selten so klein, daß sie nur einen Theil von einem Hausgrund¬ stücke ausmachen, und so kam es vor, daß Treppe und Hausflur als Wakuf wegen beschränkter Erbfolge verfielen und reclamirt wurden. Die Höhe der Steuern und die Art, wie man sie eintreibt, haben vor Allem den Aufstand in Bosnien hervorgerufen. Eine Beschwerdeschrift der Rajah an die Vertreter der auswärtigen Mächte führt folgende Abgaben auf: 1) die Zehnten, 2) die Gjummruk oder der dtrecte Zoll, 3) der Broe oder die Auflage auf die Feldgewächse, 4) die Acker-, 5) die Haus-, 6) die Getreide-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/254>, abgerufen am 27.09.2024.