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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Zustände und Sitten in der Türkei.
i.

Das türkische Reich erstreckt sich über drei Welttheile, Europa. Asien
und Afrika, und zerfällt in unmittelbar der Herrschaft des Sultans unter¬
worfenes Gebiet und in mehr oder minder unabhängige Basalten- und Tribu-
tärstaaten. In Afrika ist Tunis Schutzstaat der osmanischen Herrscher, Tri¬
polis seit 1835 ein Vilajet (Provinz) des unmittelbaren Pfortengebietes, Ae-
gypten thatsächlich fast ganz selbständig und nur zu einem jährlichen Tribut
und in Kriegsfällen zur Stellung von Hülfstruppen verpflichtet. In Asten
hat sich im vorigen Jahre das Emirat Kaschgar als Schutzstaat dem os¬
manischen Reiche angeschlossen, alle übrigen Länder der Pforte sind hier un¬
mittelbar derselben untergeben, so Arabien, wo die Türken in den letzten
beiden Jahrzehnten eine Anzahl factisch unabhängiger Fürsten und Stämme
siegreich unterwarfen, so Syrien, so ferner Kleinasien, unter dessen elf Milli¬
onen Bewohnern ungefähr sieben Millionen der türkischen Nationalität an¬
gehören und nur etwa zwei Millionen Christen sind, so endlich Armenien und
Kurdistan. Das unmittelbare Gebiet des Sultans in Europa zählt circa
H1/2 Millionen Einwohner, von denen nur 1^/z Millionen auf Türken und
Tartaren fallen; der Rest setzt sich aus 4 Millionen Bulgaren. 1,800,000
Serben, Kroaten und Slovenen, 1,400,000 Albanesen, 1 Million Hellenen,
die meist an der Meeresküste leben, 400,000 Rumänen, 300,000 Armeniern.
110,000 Juden, etwa 50,000 Zigeunern und gegen 30.000 eingewanderten
Nüssen, Polen, Italienern, Franzosen, Deutschen und Engländern zusammen.
Die Gesammtsumme der männlichen Bevölkerung dieses Gebiets belief sich
nach der letzten Zählung auf 4.295,803. und von diesen waren 1,862.447
Muhamedaner und 2,433,356 Nichtmuhamedaner. Letztere gehören ihrer
großen Mehrzahl nach der morgenländisch orthodoxen oder griechischen Kirche


Grenzboten Hi. 1876. 31
Zustände und Sitten in der Türkei.
i.

Das türkische Reich erstreckt sich über drei Welttheile, Europa. Asien
und Afrika, und zerfällt in unmittelbar der Herrschaft des Sultans unter¬
worfenes Gebiet und in mehr oder minder unabhängige Basalten- und Tribu-
tärstaaten. In Afrika ist Tunis Schutzstaat der osmanischen Herrscher, Tri¬
polis seit 1835 ein Vilajet (Provinz) des unmittelbaren Pfortengebietes, Ae-
gypten thatsächlich fast ganz selbständig und nur zu einem jährlichen Tribut
und in Kriegsfällen zur Stellung von Hülfstruppen verpflichtet. In Asten
hat sich im vorigen Jahre das Emirat Kaschgar als Schutzstaat dem os¬
manischen Reiche angeschlossen, alle übrigen Länder der Pforte sind hier un¬
mittelbar derselben untergeben, so Arabien, wo die Türken in den letzten
beiden Jahrzehnten eine Anzahl factisch unabhängiger Fürsten und Stämme
siegreich unterwarfen, so Syrien, so ferner Kleinasien, unter dessen elf Milli¬
onen Bewohnern ungefähr sieben Millionen der türkischen Nationalität an¬
gehören und nur etwa zwei Millionen Christen sind, so endlich Armenien und
Kurdistan. Das unmittelbare Gebiet des Sultans in Europa zählt circa
H1/2 Millionen Einwohner, von denen nur 1^/z Millionen auf Türken und
Tartaren fallen; der Rest setzt sich aus 4 Millionen Bulgaren. 1,800,000
Serben, Kroaten und Slovenen, 1,400,000 Albanesen, 1 Million Hellenen,
die meist an der Meeresküste leben, 400,000 Rumänen, 300,000 Armeniern.
110,000 Juden, etwa 50,000 Zigeunern und gegen 30.000 eingewanderten
Nüssen, Polen, Italienern, Franzosen, Deutschen und Engländern zusammen.
Die Gesammtsumme der männlichen Bevölkerung dieses Gebiets belief sich
nach der letzten Zählung auf 4.295,803. und von diesen waren 1,862.447
Muhamedaner und 2,433,356 Nichtmuhamedaner. Letztere gehören ihrer
großen Mehrzahl nach der morgenländisch orthodoxen oder griechischen Kirche


Grenzboten Hi. 1876. 31
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[0249] Zustände und Sitten in der Türkei. i. Das türkische Reich erstreckt sich über drei Welttheile, Europa. Asien und Afrika, und zerfällt in unmittelbar der Herrschaft des Sultans unter¬ worfenes Gebiet und in mehr oder minder unabhängige Basalten- und Tribu- tärstaaten. In Afrika ist Tunis Schutzstaat der osmanischen Herrscher, Tri¬ polis seit 1835 ein Vilajet (Provinz) des unmittelbaren Pfortengebietes, Ae- gypten thatsächlich fast ganz selbständig und nur zu einem jährlichen Tribut und in Kriegsfällen zur Stellung von Hülfstruppen verpflichtet. In Asten hat sich im vorigen Jahre das Emirat Kaschgar als Schutzstaat dem os¬ manischen Reiche angeschlossen, alle übrigen Länder der Pforte sind hier un¬ mittelbar derselben untergeben, so Arabien, wo die Türken in den letzten beiden Jahrzehnten eine Anzahl factisch unabhängiger Fürsten und Stämme siegreich unterwarfen, so Syrien, so ferner Kleinasien, unter dessen elf Milli¬ onen Bewohnern ungefähr sieben Millionen der türkischen Nationalität an¬ gehören und nur etwa zwei Millionen Christen sind, so endlich Armenien und Kurdistan. Das unmittelbare Gebiet des Sultans in Europa zählt circa H1/2 Millionen Einwohner, von denen nur 1^/z Millionen auf Türken und Tartaren fallen; der Rest setzt sich aus 4 Millionen Bulgaren. 1,800,000 Serben, Kroaten und Slovenen, 1,400,000 Albanesen, 1 Million Hellenen, die meist an der Meeresküste leben, 400,000 Rumänen, 300,000 Armeniern. 110,000 Juden, etwa 50,000 Zigeunern und gegen 30.000 eingewanderten Nüssen, Polen, Italienern, Franzosen, Deutschen und Engländern zusammen. Die Gesammtsumme der männlichen Bevölkerung dieses Gebiets belief sich nach der letzten Zählung auf 4.295,803. und von diesen waren 1,862.447 Muhamedaner und 2,433,356 Nichtmuhamedaner. Letztere gehören ihrer großen Mehrzahl nach der morgenländisch orthodoxen oder griechischen Kirche Grenzboten Hi. 1876. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/249>, abgerufen am 27.09.2024.