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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Leser eine Shakerfamilie durchaus nicht als eine Schule der Kunst vorstellen,
wenn ich auch einmal in Shirley ein Bild zu sehen bekam. Denn es war
ein Oelgemälde, das in kräftigen Pinselstrichen einen Durhamstier darstellte,
der Ort, wo es angenagelt war, war ein Viehstand in der großen grauen
Scheune der Gemeinde, und der Künstler, der einige Jahre hier unter den
Shakern lebte, ist nie einer der Ihrigen geworden. Ich möchte wissen, was
sonst aus ihm geworden ist.

In einer communistisch eingerichteten Menschengemeinschaft wird das
private Interesse stets in großem Maße dem Zwecke und Interesse der Ge¬
sammtheit geopfert werden. Die Shaker sind Communisten, aber ich glaube,
daß das Opfer hier im Wesentlichen von dem Gewissen und Wunsche des
Einzelnen gebracht wird. Wenn ein neues Mitglied zu der Gemeinde tritt,
so giebt es zunächst nichts als einen Theil seiner Freiheit auf. Er wird ge¬
warnt vor zu frühzeitiger Abtretung seines Eigenthums an die Gesellschaft.
Er kleidet sich, so lange es ihm beliebt, nach der Mode der Welt, aber diese
läßt ihn unter den Shakern so wunderlich erscheinen, als er im Shakerhabit
unter lauter Weltkindern erscheinen würde, und so beeilt er sich gewöhnlich,
die Tracht der Kinder Mutter Ann's anzulegen, ehe seine alte Kleidung
völlig abgetragen ist. Nach einer gewissen Zeit kann er sein Vermögen mit
dem der Gemeinde verreinigen, aber wenn er sie wieder verläßt, bekommt er
das Kapital zurück, für seine Arbeit in der Zwischenheit hat er seinen Unter¬
halt empfangen. Es werden bei der Ausnahme eines neuen Bruders oder
einer neuen Schwester keinerlei Förmlichkeiten vorgenommen, keine Gelübde
verlangt, keine Versprechungen gegeben, können gehen, wenn sie wollen, und
diese Freiheit ist für beide Theile gut; denn es kann sich begeben, daß man
einmal findet, wie die Stube eines Bruders besser als seine Gesellschaft ist.
Indeß geschieht dieß wenigstens in Shirley sehr selten: in einem ganzen
Vierteljahrhundert ist man dort nur ein einziges Mal in den Fall gekommen,
einen nichtsnutzigen Bruder zu entlassen.

Die Verwaltung der Familie Mutter Ann's ist sehr einfach eingerichtet.
Ihre Angelegenheiten werden von Vertrauensmännern besorgt, welche als die
Besitzer des Grundeigenthums fungiren und die Gelder verwalten, und zu
denen jedes Mitglied geht, wenn es Geld bedarf, um sich etwas nicht zu
gemeinschaftlichem Gebrauch Bestimmtes zu kaufen. Billige Wünsche werden
hier bereitwillig erfüllt, aber es ist leicht zu begreifen, daß selbst auf manche
sehr einfache Privatliebhabereien nicht eingegangen werden kann, da die Kosten
des gemeinschaftlichen Unterhalts, die durch die Abnahme der Mitgltederzahl
bereits vermehrt worden sind, und die Nothwendigkeit, die nur zum Theil
bewohnten Gebäude der Niederlassungen in Stand zu halten, zur Sparsam¬
keit machen. In Shirley giebt es unter den Shakern keine Schmiede, noch


Leser eine Shakerfamilie durchaus nicht als eine Schule der Kunst vorstellen,
wenn ich auch einmal in Shirley ein Bild zu sehen bekam. Denn es war
ein Oelgemälde, das in kräftigen Pinselstrichen einen Durhamstier darstellte,
der Ort, wo es angenagelt war, war ein Viehstand in der großen grauen
Scheune der Gemeinde, und der Künstler, der einige Jahre hier unter den
Shakern lebte, ist nie einer der Ihrigen geworden. Ich möchte wissen, was
sonst aus ihm geworden ist.

In einer communistisch eingerichteten Menschengemeinschaft wird das
private Interesse stets in großem Maße dem Zwecke und Interesse der Ge¬
sammtheit geopfert werden. Die Shaker sind Communisten, aber ich glaube,
daß das Opfer hier im Wesentlichen von dem Gewissen und Wunsche des
Einzelnen gebracht wird. Wenn ein neues Mitglied zu der Gemeinde tritt,
so giebt es zunächst nichts als einen Theil seiner Freiheit auf. Er wird ge¬
warnt vor zu frühzeitiger Abtretung seines Eigenthums an die Gesellschaft.
Er kleidet sich, so lange es ihm beliebt, nach der Mode der Welt, aber diese
läßt ihn unter den Shakern so wunderlich erscheinen, als er im Shakerhabit
unter lauter Weltkindern erscheinen würde, und so beeilt er sich gewöhnlich,
die Tracht der Kinder Mutter Ann's anzulegen, ehe seine alte Kleidung
völlig abgetragen ist. Nach einer gewissen Zeit kann er sein Vermögen mit
dem der Gemeinde verreinigen, aber wenn er sie wieder verläßt, bekommt er
das Kapital zurück, für seine Arbeit in der Zwischenheit hat er seinen Unter¬
halt empfangen. Es werden bei der Ausnahme eines neuen Bruders oder
einer neuen Schwester keinerlei Förmlichkeiten vorgenommen, keine Gelübde
verlangt, keine Versprechungen gegeben, können gehen, wenn sie wollen, und
diese Freiheit ist für beide Theile gut; denn es kann sich begeben, daß man
einmal findet, wie die Stube eines Bruders besser als seine Gesellschaft ist.
Indeß geschieht dieß wenigstens in Shirley sehr selten: in einem ganzen
Vierteljahrhundert ist man dort nur ein einziges Mal in den Fall gekommen,
einen nichtsnutzigen Bruder zu entlassen.

Die Verwaltung der Familie Mutter Ann's ist sehr einfach eingerichtet.
Ihre Angelegenheiten werden von Vertrauensmännern besorgt, welche als die
Besitzer des Grundeigenthums fungiren und die Gelder verwalten, und zu
denen jedes Mitglied geht, wenn es Geld bedarf, um sich etwas nicht zu
gemeinschaftlichem Gebrauch Bestimmtes zu kaufen. Billige Wünsche werden
hier bereitwillig erfüllt, aber es ist leicht zu begreifen, daß selbst auf manche
sehr einfache Privatliebhabereien nicht eingegangen werden kann, da die Kosten
des gemeinschaftlichen Unterhalts, die durch die Abnahme der Mitgltederzahl
bereits vermehrt worden sind, und die Nothwendigkeit, die nur zum Theil
bewohnten Gebäude der Niederlassungen in Stand zu halten, zur Sparsam¬
keit machen. In Shirley giebt es unter den Shakern keine Schmiede, noch


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[0202] Leser eine Shakerfamilie durchaus nicht als eine Schule der Kunst vorstellen, wenn ich auch einmal in Shirley ein Bild zu sehen bekam. Denn es war ein Oelgemälde, das in kräftigen Pinselstrichen einen Durhamstier darstellte, der Ort, wo es angenagelt war, war ein Viehstand in der großen grauen Scheune der Gemeinde, und der Künstler, der einige Jahre hier unter den Shakern lebte, ist nie einer der Ihrigen geworden. Ich möchte wissen, was sonst aus ihm geworden ist. In einer communistisch eingerichteten Menschengemeinschaft wird das private Interesse stets in großem Maße dem Zwecke und Interesse der Ge¬ sammtheit geopfert werden. Die Shaker sind Communisten, aber ich glaube, daß das Opfer hier im Wesentlichen von dem Gewissen und Wunsche des Einzelnen gebracht wird. Wenn ein neues Mitglied zu der Gemeinde tritt, so giebt es zunächst nichts als einen Theil seiner Freiheit auf. Er wird ge¬ warnt vor zu frühzeitiger Abtretung seines Eigenthums an die Gesellschaft. Er kleidet sich, so lange es ihm beliebt, nach der Mode der Welt, aber diese läßt ihn unter den Shakern so wunderlich erscheinen, als er im Shakerhabit unter lauter Weltkindern erscheinen würde, und so beeilt er sich gewöhnlich, die Tracht der Kinder Mutter Ann's anzulegen, ehe seine alte Kleidung völlig abgetragen ist. Nach einer gewissen Zeit kann er sein Vermögen mit dem der Gemeinde verreinigen, aber wenn er sie wieder verläßt, bekommt er das Kapital zurück, für seine Arbeit in der Zwischenheit hat er seinen Unter¬ halt empfangen. Es werden bei der Ausnahme eines neuen Bruders oder einer neuen Schwester keinerlei Förmlichkeiten vorgenommen, keine Gelübde verlangt, keine Versprechungen gegeben, können gehen, wenn sie wollen, und diese Freiheit ist für beide Theile gut; denn es kann sich begeben, daß man einmal findet, wie die Stube eines Bruders besser als seine Gesellschaft ist. Indeß geschieht dieß wenigstens in Shirley sehr selten: in einem ganzen Vierteljahrhundert ist man dort nur ein einziges Mal in den Fall gekommen, einen nichtsnutzigen Bruder zu entlassen. Die Verwaltung der Familie Mutter Ann's ist sehr einfach eingerichtet. Ihre Angelegenheiten werden von Vertrauensmännern besorgt, welche als die Besitzer des Grundeigenthums fungiren und die Gelder verwalten, und zu denen jedes Mitglied geht, wenn es Geld bedarf, um sich etwas nicht zu gemeinschaftlichem Gebrauch Bestimmtes zu kaufen. Billige Wünsche werden hier bereitwillig erfüllt, aber es ist leicht zu begreifen, daß selbst auf manche sehr einfache Privatliebhabereien nicht eingegangen werden kann, da die Kosten des gemeinschaftlichen Unterhalts, die durch die Abnahme der Mitgltederzahl bereits vermehrt worden sind, und die Nothwendigkeit, die nur zum Theil bewohnten Gebäude der Niederlassungen in Stand zu halten, zur Sparsam¬ keit machen. In Shirley giebt es unter den Shakern keine Schmiede, noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/202>, abgerufen am 27.09.2024.