Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.unter der sie stehen. Ein wenig komisch freilich sahen die kleinen Krabben Die Zahl der jungen Leute, die bei dem Shakerthum verbleiben, ist unter der sie stehen. Ein wenig komisch freilich sahen die kleinen Krabben Die Zahl der jungen Leute, die bei dem Shakerthum verbleiben, ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136311"/> <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> unter der sie stehen. Ein wenig komisch freilich sahen die kleinen Krabben<lb/> aus, zumal in der altväterischen Shakertracht. Sie bekommen beiläufig nie¬<lb/> mals Schläge, und wenn sie alt genug sind, um für sich selbst sorgen zu<lb/> können, zwingt sie niemand zum Bleiben. Ohne Zweifel freilich werden<lb/> sie fortwährend belehrt, was für ein Segen in dem jungfräulichen Leben fern<lb/> von der Welt liegt. Aber ein Zwang, bei der Gemeinde, die sie aufgezogen<lb/> hat, zu verharren und nicht zu heirathen, findet nicht statt. „Wenige Dinge<lb/> außerhalb unsrer Gemeinschaft", sagte mir einer der Aeltesten, „sehe ich so<lb/> gern als ein glückliches junges Paar, aber die Ehe ist irdisch, und Ntcht-<lb/> heirathen ist himmlisches Leben, die Gedanken, die sich auf göttliche Dinge<lb/> richten, vergessen, daß es Mann und Weib giebt." Will ein junges Mädchen<lb/> gehen und sich verheirathen, so tröstet man sich über ihren Verlust damit,<lb/> daß sie im Kreise der Shaker Fleiß, Sparsamkeit und Kenntniß des Haus¬<lb/> wesens gelernt hat und wenn auch kein vollkommnes. doch ein nützliches<lb/> Leben zu führen verspricht. Bisweilen verlassen junge Leute die Gesellschaft<lb/> heimlich, aber gewöhnlich kommen sie dann später zurück, um sich Verzeihung<lb/> zu erbitten und sich zu bedanken, daß sie durch gute Erziehung dahin ge¬<lb/> bracht worden sind, sich in der Welt wohl zu befinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_488" next="#ID_489"> Die Zahl der jungen Leute, die bei dem Shakerthum verbleiben, ist<lb/> verhältnißmäßig klein, und die Gesellschaft würde aussterben, wenn sie die<lb/> Lücken, die der Tod macht, nicht durch Beitritt Erwachsener ausfüllen könnte.<lb/> Dennoch schwindet sie von Jahr zu Jahr mehr zusammen. Dieß liegt zu¬<lb/> nächst darin, daß die Shaker in der Hauptsache Landwirthe sind, und daß<lb/> die Bevölkerung auch in Amerika seit einiger Zeit mehr und mehr das Land<lb/> verläßt und in die Städte zieht. In nicht wenigen Gegenden ist es bei den<lb/> hohen Löhnen, welche den landwirtschaftlichen Dienstleuten bei dieser Lage<lb/> der Dinge gezahlt werden müssen, vortheilhafter, sein Land wieder mit Wald<lb/> bewachsen zu lassen, als es mit Getreide zu besäen. Die Ernte einer Farm,<lb/> die ein Mann allein bestellen kann, reicht nicht aus zum Unterhalt einer<lb/> Familie, und der Bauer darf nicht hoffen, seine Kinder als Gehülfen bei sich<lb/> zu behalten, sie gehen, sobald sie können, von ihm weg, die Mädchen, um<lb/> Fabrikarbeiterinnen oder Verkäuferinnen in Läden, oder Lehrerinnen zu werden,<lb/> die Knaben, um in Californien oder Nevada Gold und Silber zu graben.<lb/> Ein andrer Grund ist der Geist der neuen Zeit. Diese drängt auf Erwerb<lb/> von Wissen, auf ästhetische Genüsse, auf Geldverdienen hin. Selten bleibt,<lb/> wer nicht muß, noch aus einem einsamen Landgute oder in der Kleinstadt,<lb/> die ihn gebar, um über das Vorhaben Gottes mit der Menschheit nachzu¬<lb/> grübeln, und wer das thut, gelangt nur zu oft und zu rasch dahin, an der<lb/> Ergründung des Räthsels und an Gott selbst zu zweifeln. Blicken wir aus<lb/> der zählenden, hastigen Gegenwart auf die alte Zeit zurück, so muthet sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
unter der sie stehen. Ein wenig komisch freilich sahen die kleinen Krabben
aus, zumal in der altväterischen Shakertracht. Sie bekommen beiläufig nie¬
mals Schläge, und wenn sie alt genug sind, um für sich selbst sorgen zu
können, zwingt sie niemand zum Bleiben. Ohne Zweifel freilich werden
sie fortwährend belehrt, was für ein Segen in dem jungfräulichen Leben fern
von der Welt liegt. Aber ein Zwang, bei der Gemeinde, die sie aufgezogen
hat, zu verharren und nicht zu heirathen, findet nicht statt. „Wenige Dinge
außerhalb unsrer Gemeinschaft", sagte mir einer der Aeltesten, „sehe ich so
gern als ein glückliches junges Paar, aber die Ehe ist irdisch, und Ntcht-
heirathen ist himmlisches Leben, die Gedanken, die sich auf göttliche Dinge
richten, vergessen, daß es Mann und Weib giebt." Will ein junges Mädchen
gehen und sich verheirathen, so tröstet man sich über ihren Verlust damit,
daß sie im Kreise der Shaker Fleiß, Sparsamkeit und Kenntniß des Haus¬
wesens gelernt hat und wenn auch kein vollkommnes. doch ein nützliches
Leben zu führen verspricht. Bisweilen verlassen junge Leute die Gesellschaft
heimlich, aber gewöhnlich kommen sie dann später zurück, um sich Verzeihung
zu erbitten und sich zu bedanken, daß sie durch gute Erziehung dahin ge¬
bracht worden sind, sich in der Welt wohl zu befinden.
Die Zahl der jungen Leute, die bei dem Shakerthum verbleiben, ist
verhältnißmäßig klein, und die Gesellschaft würde aussterben, wenn sie die
Lücken, die der Tod macht, nicht durch Beitritt Erwachsener ausfüllen könnte.
Dennoch schwindet sie von Jahr zu Jahr mehr zusammen. Dieß liegt zu¬
nächst darin, daß die Shaker in der Hauptsache Landwirthe sind, und daß
die Bevölkerung auch in Amerika seit einiger Zeit mehr und mehr das Land
verläßt und in die Städte zieht. In nicht wenigen Gegenden ist es bei den
hohen Löhnen, welche den landwirtschaftlichen Dienstleuten bei dieser Lage
der Dinge gezahlt werden müssen, vortheilhafter, sein Land wieder mit Wald
bewachsen zu lassen, als es mit Getreide zu besäen. Die Ernte einer Farm,
die ein Mann allein bestellen kann, reicht nicht aus zum Unterhalt einer
Familie, und der Bauer darf nicht hoffen, seine Kinder als Gehülfen bei sich
zu behalten, sie gehen, sobald sie können, von ihm weg, die Mädchen, um
Fabrikarbeiterinnen oder Verkäuferinnen in Läden, oder Lehrerinnen zu werden,
die Knaben, um in Californien oder Nevada Gold und Silber zu graben.
Ein andrer Grund ist der Geist der neuen Zeit. Diese drängt auf Erwerb
von Wissen, auf ästhetische Genüsse, auf Geldverdienen hin. Selten bleibt,
wer nicht muß, noch aus einem einsamen Landgute oder in der Kleinstadt,
die ihn gebar, um über das Vorhaben Gottes mit der Menschheit nachzu¬
grübeln, und wer das thut, gelangt nur zu oft und zu rasch dahin, an der
Ergründung des Räthsels und an Gott selbst zu zweifeln. Blicken wir aus
der zählenden, hastigen Gegenwart auf die alte Zeit zurück, so muthet sie
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