Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Plötzlich hörte der Gesang auf. die Füße standen still, die Hände sanken
herab, und die Bänke wurden wieder ausgestellt, worauf die Brüder und
Schwestern wieder wie vorher Platz nahmen, um nun zunächst von einem
der Mädchen sich aus dem Journal der Seete, welches den Namen "l^s
LuaKsr Spa LKaKersss" führt und aus Beiträgen der verschiedenen Familien
zusammengestellt wird, einen Artikel oder ein Gedicht vorlesen zu lassen.
Gefiel die Mittheilung, so rief Einer oder der Andere ein lautes "Gut!"
Dann trat der Eider Fräser oder Whiteley, der Vorstand, zwischen die Bank¬
reihen und hielt eine längere Rede, die in der Regel meist sehr einfach. aber
klar in ihrem Gedankengange, meist lebendig und kraftvoll und immer in
gutem Englisch gehalten war, da diese Beiden nicht ohne eine gewisse Bildung
und sehr belesen in der theologischen Literatur sind.

Es war eine Freude, Eider Fräser zu hören, nicht blos in der Kirche,
sondern auch bei der Pflege seiner Himbeersträucher und Weinreben, wo die
Laufwurzel, die seine Hacke abhieb, und die Rebenknospe, die sein Daumen
und Zeigefinger zum Besten der künftigen Trauben opferte, ihm Gelegenheit
zu allerlei Vergleichen mit geistigen Dingen boten. Die Knaben, die er be¬
aufsichtigt und belehrt, gedeihen unter seiner Pflege ebenso wie die Liebes-
äpfel, die Birnbäume, die Weinspaliere und die Maisstauden des Gartens,
dem er sich neben diesen widmet, und ich weiß nicht, ob man anderswo
häufig so prächtige Beete mit Hahnenkamm, Balsaminen und andern Blumen
findet, als hier unter seinem wohlwollenden Lächeln und unter seiner fleißigen
Hand blühen.

Nächst diesem würdigen alten Herrn interessirte mich am meisten der
sechsundneunzigjährtge Urgreis der Niederlassung. Vater Abraham ist taub,
und so geschieht es nicht selten, daß zu Ende eines Liedes eine Zeile, die sich
in seiner Kehle verspätet hat, oder eines der "Lalala", welche den Gesang
begleiten, sich noch krächzend oder kreischend vernehmen läßt, nachdem die
Andern fertig sind. Trotz seiner hohen Jahre arbeitet er jeden Tag noch als
Korbflechter, selten ist er krank, nie fehlt er beim Gottesdienste. Er soll diesem
vor siebzig Jahren zum ersten Male mit seiner Braut beigewohnt haben,
und zwar aus bloßer Neugier. Ergriffen davon machte er seinem Mädchen
den Vorschlag, mit ihm den Heiligen beizutreten. Sie lehnte ab, wollte aber
für ihn kein Hinderniß sein, und er nahm ihr Opfer an. Die Shaker finden
das natürlich. Andere werden es tragisch finden. Er hat nie Reue über
seinen Schritt empfunden, und sie, die dann einen Andern heirathete und
Kinder ihre Knie umspielen sah. vermuthlich über den ihren ebenso wenig.

Ein recht hübsches Bildchen boten die Kinder dar. die bei dem Tanze
anthaten. Es war offenbar ein Vergnügen für sie, aber ihre Gesichter be¬
wahrten eine Feierlichkeit, die ein erbauliches Zeichen der guten Zucht war.


Plötzlich hörte der Gesang auf. die Füße standen still, die Hände sanken
herab, und die Bänke wurden wieder ausgestellt, worauf die Brüder und
Schwestern wieder wie vorher Platz nahmen, um nun zunächst von einem
der Mädchen sich aus dem Journal der Seete, welches den Namen „l^s
LuaKsr Spa LKaKersss" führt und aus Beiträgen der verschiedenen Familien
zusammengestellt wird, einen Artikel oder ein Gedicht vorlesen zu lassen.
Gefiel die Mittheilung, so rief Einer oder der Andere ein lautes „Gut!"
Dann trat der Eider Fräser oder Whiteley, der Vorstand, zwischen die Bank¬
reihen und hielt eine längere Rede, die in der Regel meist sehr einfach. aber
klar in ihrem Gedankengange, meist lebendig und kraftvoll und immer in
gutem Englisch gehalten war, da diese Beiden nicht ohne eine gewisse Bildung
und sehr belesen in der theologischen Literatur sind.

Es war eine Freude, Eider Fräser zu hören, nicht blos in der Kirche,
sondern auch bei der Pflege seiner Himbeersträucher und Weinreben, wo die
Laufwurzel, die seine Hacke abhieb, und die Rebenknospe, die sein Daumen
und Zeigefinger zum Besten der künftigen Trauben opferte, ihm Gelegenheit
zu allerlei Vergleichen mit geistigen Dingen boten. Die Knaben, die er be¬
aufsichtigt und belehrt, gedeihen unter seiner Pflege ebenso wie die Liebes-
äpfel, die Birnbäume, die Weinspaliere und die Maisstauden des Gartens,
dem er sich neben diesen widmet, und ich weiß nicht, ob man anderswo
häufig so prächtige Beete mit Hahnenkamm, Balsaminen und andern Blumen
findet, als hier unter seinem wohlwollenden Lächeln und unter seiner fleißigen
Hand blühen.

Nächst diesem würdigen alten Herrn interessirte mich am meisten der
sechsundneunzigjährtge Urgreis der Niederlassung. Vater Abraham ist taub,
und so geschieht es nicht selten, daß zu Ende eines Liedes eine Zeile, die sich
in seiner Kehle verspätet hat, oder eines der „Lalala", welche den Gesang
begleiten, sich noch krächzend oder kreischend vernehmen läßt, nachdem die
Andern fertig sind. Trotz seiner hohen Jahre arbeitet er jeden Tag noch als
Korbflechter, selten ist er krank, nie fehlt er beim Gottesdienste. Er soll diesem
vor siebzig Jahren zum ersten Male mit seiner Braut beigewohnt haben,
und zwar aus bloßer Neugier. Ergriffen davon machte er seinem Mädchen
den Vorschlag, mit ihm den Heiligen beizutreten. Sie lehnte ab, wollte aber
für ihn kein Hinderniß sein, und er nahm ihr Opfer an. Die Shaker finden
das natürlich. Andere werden es tragisch finden. Er hat nie Reue über
seinen Schritt empfunden, und sie, die dann einen Andern heirathete und
Kinder ihre Knie umspielen sah. vermuthlich über den ihren ebenso wenig.

Ein recht hübsches Bildchen boten die Kinder dar. die bei dem Tanze
anthaten. Es war offenbar ein Vergnügen für sie, aber ihre Gesichter be¬
wahrten eine Feierlichkeit, die ein erbauliches Zeichen der guten Zucht war.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136310"/>
          <p xml:id="ID_483"> Plötzlich hörte der Gesang auf. die Füße standen still, die Hände sanken<lb/>
herab, und die Bänke wurden wieder ausgestellt, worauf die Brüder und<lb/>
Schwestern wieder wie vorher Platz nahmen, um nun zunächst von einem<lb/>
der Mädchen sich aus dem Journal der Seete, welches den Namen &#x201E;l^s<lb/>
LuaKsr Spa LKaKersss" führt und aus Beiträgen der verschiedenen Familien<lb/>
zusammengestellt wird, einen Artikel oder ein Gedicht vorlesen zu lassen.<lb/>
Gefiel die Mittheilung, so rief Einer oder der Andere ein lautes &#x201E;Gut!"<lb/>
Dann trat der Eider Fräser oder Whiteley, der Vorstand, zwischen die Bank¬<lb/>
reihen und hielt eine längere Rede, die in der Regel meist sehr einfach. aber<lb/>
klar in ihrem Gedankengange, meist lebendig und kraftvoll und immer in<lb/>
gutem Englisch gehalten war, da diese Beiden nicht ohne eine gewisse Bildung<lb/>
und sehr belesen in der theologischen Literatur sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_484"> Es war eine Freude, Eider Fräser zu hören, nicht blos in der Kirche,<lb/>
sondern auch bei der Pflege seiner Himbeersträucher und Weinreben, wo die<lb/>
Laufwurzel, die seine Hacke abhieb, und die Rebenknospe, die sein Daumen<lb/>
und Zeigefinger zum Besten der künftigen Trauben opferte, ihm Gelegenheit<lb/>
zu allerlei Vergleichen mit geistigen Dingen boten. Die Knaben, die er be¬<lb/>
aufsichtigt und belehrt, gedeihen unter seiner Pflege ebenso wie die Liebes-<lb/>
äpfel, die Birnbäume, die Weinspaliere und die Maisstauden des Gartens,<lb/>
dem er sich neben diesen widmet, und ich weiß nicht, ob man anderswo<lb/>
häufig so prächtige Beete mit Hahnenkamm, Balsaminen und andern Blumen<lb/>
findet, als hier unter seinem wohlwollenden Lächeln und unter seiner fleißigen<lb/>
Hand blühen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485"> Nächst diesem würdigen alten Herrn interessirte mich am meisten der<lb/>
sechsundneunzigjährtge Urgreis der Niederlassung. Vater Abraham ist taub,<lb/>
und so geschieht es nicht selten, daß zu Ende eines Liedes eine Zeile, die sich<lb/>
in seiner Kehle verspätet hat, oder eines der &#x201E;Lalala", welche den Gesang<lb/>
begleiten, sich noch krächzend oder kreischend vernehmen läßt, nachdem die<lb/>
Andern fertig sind. Trotz seiner hohen Jahre arbeitet er jeden Tag noch als<lb/>
Korbflechter, selten ist er krank, nie fehlt er beim Gottesdienste. Er soll diesem<lb/>
vor siebzig Jahren zum ersten Male mit seiner Braut beigewohnt haben,<lb/>
und zwar aus bloßer Neugier. Ergriffen davon machte er seinem Mädchen<lb/>
den Vorschlag, mit ihm den Heiligen beizutreten. Sie lehnte ab, wollte aber<lb/>
für ihn kein Hinderniß sein, und er nahm ihr Opfer an. Die Shaker finden<lb/>
das natürlich. Andere werden es tragisch finden. Er hat nie Reue über<lb/>
seinen Schritt empfunden, und sie, die dann einen Andern heirathete und<lb/>
Kinder ihre Knie umspielen sah. vermuthlich über den ihren ebenso wenig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_486" next="#ID_487"> Ein recht hübsches Bildchen boten die Kinder dar. die bei dem Tanze<lb/>
anthaten. Es war offenbar ein Vergnügen für sie, aber ihre Gesichter be¬<lb/>
wahrten eine Feierlichkeit, die ein erbauliches Zeichen der guten Zucht war.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] Plötzlich hörte der Gesang auf. die Füße standen still, die Hände sanken herab, und die Bänke wurden wieder ausgestellt, worauf die Brüder und Schwestern wieder wie vorher Platz nahmen, um nun zunächst von einem der Mädchen sich aus dem Journal der Seete, welches den Namen „l^s LuaKsr Spa LKaKersss" führt und aus Beiträgen der verschiedenen Familien zusammengestellt wird, einen Artikel oder ein Gedicht vorlesen zu lassen. Gefiel die Mittheilung, so rief Einer oder der Andere ein lautes „Gut!" Dann trat der Eider Fräser oder Whiteley, der Vorstand, zwischen die Bank¬ reihen und hielt eine längere Rede, die in der Regel meist sehr einfach. aber klar in ihrem Gedankengange, meist lebendig und kraftvoll und immer in gutem Englisch gehalten war, da diese Beiden nicht ohne eine gewisse Bildung und sehr belesen in der theologischen Literatur sind. Es war eine Freude, Eider Fräser zu hören, nicht blos in der Kirche, sondern auch bei der Pflege seiner Himbeersträucher und Weinreben, wo die Laufwurzel, die seine Hacke abhieb, und die Rebenknospe, die sein Daumen und Zeigefinger zum Besten der künftigen Trauben opferte, ihm Gelegenheit zu allerlei Vergleichen mit geistigen Dingen boten. Die Knaben, die er be¬ aufsichtigt und belehrt, gedeihen unter seiner Pflege ebenso wie die Liebes- äpfel, die Birnbäume, die Weinspaliere und die Maisstauden des Gartens, dem er sich neben diesen widmet, und ich weiß nicht, ob man anderswo häufig so prächtige Beete mit Hahnenkamm, Balsaminen und andern Blumen findet, als hier unter seinem wohlwollenden Lächeln und unter seiner fleißigen Hand blühen. Nächst diesem würdigen alten Herrn interessirte mich am meisten der sechsundneunzigjährtge Urgreis der Niederlassung. Vater Abraham ist taub, und so geschieht es nicht selten, daß zu Ende eines Liedes eine Zeile, die sich in seiner Kehle verspätet hat, oder eines der „Lalala", welche den Gesang begleiten, sich noch krächzend oder kreischend vernehmen läßt, nachdem die Andern fertig sind. Trotz seiner hohen Jahre arbeitet er jeden Tag noch als Korbflechter, selten ist er krank, nie fehlt er beim Gottesdienste. Er soll diesem vor siebzig Jahren zum ersten Male mit seiner Braut beigewohnt haben, und zwar aus bloßer Neugier. Ergriffen davon machte er seinem Mädchen den Vorschlag, mit ihm den Heiligen beizutreten. Sie lehnte ab, wollte aber für ihn kein Hinderniß sein, und er nahm ihr Opfer an. Die Shaker finden das natürlich. Andere werden es tragisch finden. Er hat nie Reue über seinen Schritt empfunden, und sie, die dann einen Andern heirathete und Kinder ihre Knie umspielen sah. vermuthlich über den ihren ebenso wenig. Ein recht hübsches Bildchen boten die Kinder dar. die bei dem Tanze anthaten. Es war offenbar ein Vergnügen für sie, aber ihre Gesichter be¬ wahrten eine Feierlichkeit, die ein erbauliches Zeichen der guten Zucht war.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/199>, abgerufen am 27.09.2024.