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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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ob klein, eine Stimme haben sollte, und ging mit großer Brüderlichkeit vor;
das Wort Band's aus Virginien hatte gezündet: "Die Frage ist. ob die
Rechte und Freiheiten Amerikas erkämpft oder der willkürlichen Gewalt ge¬
opfert werden sollen." In Boston kam es zum blutigen Zusammenstoße,
während der Congreß in Philadelphia am 7. Sept. mit Gebet eröffnet wurde --
ein Congreß, zusammengetreten durchaus nicht zur Losreißung und Unabhän¬
gigkeitserklärung, sondern zur feierlichen Wahrung der alten Rechte, nicht
revolutionär, sondern conservativ im besten Sinne. Man versuchte die Un¬
abhängigkeit nicht nur nicht zu beschließen, sondern sogar zu verhindern, und
Washington glaubte. Niemand im Congresse denke an die Losreißung
vom Mutterlande. Der Congreß billigte den Widerstand von Massachusetts
gegen die letzten Parlamentsakten und versprach der Colonie, falls England
dieselben mit Gewalt ausführen würde, die Unterstützung von ganz Amerika,
am 8. Okt. Schon am 4. Okt. erließ er nach englischem Muster eine Erklärung der
Rechte, gestützt auf die unwandelbaren Gesetze der Natur, auf die englische
Verfassung und auf die verschiedenen Freibriefe und Einigungen, und um
England zu ihrer Anerkennung zu zwingen, beschloß man wieder vom 1. Dec.
an alle englischen Waaren in den Bann zu thun und im Falle der Nicht-
abstellung der Beschwerden vom 20. Sept. 1775 an auch Nichts mehr nach
Großbritannien und Britisch-Westindien auszuführen. Zugleich verpöntem Vir¬
ginien, Maryland und beide Karolina den Sklavenhandel. Dem Könige
wurden nochmals alle Beschwerden und Klagen unterbreitet, man wünschte
die Versöhnung von Mutter und Tochter, aber letztere rüstete sich zugleich,
um, falls die Mutter unerbittlich bliebe, ihr Haus zu verlassen und ihren
eigenen Herd zu gründen. Die Petition an Georg III. und die verschiedenen
Schriftstücke sollten von den Agenten übergeben und in der englischen Presse
bekannt gemacht werden, um die öffentliche Meinung zu bestimmen und zu
berichtigen. Zugleich lud der Congreß Canada ein, sich der Sache der Colo-
nien anzuschließen und mit ihnen einen Bund einzugehen.

Von Seiten der Krone hatten die Colonien nur Härte und Unbarm-
Herzigkeit zu erwarten, der Adel begegnete ihnen mit Bosheit, die Hochkirche
mit Mißgunst, das Parlament war durch Käuflichkeit corrumpirt, nur die
Kaufmannschaft war für Aussöhnung aus egoistischsten Motiven, weil der
englische Handel unter der Entfremdung Amerikas und Britanniens be¬
deutend litt. Franklin, der nicht von London wich, durchschaute all diese
traurigen Verhältnisse und sprach in vertrautem Kreise es aus, für sein
Vaterland gebe es kein anderes Heil, als vollkommene Emancipation. Franklin
und der eben in England befindliche Qutncy waren den Ministern ein Dorn
im Auge, Hillsborough konnte sich so wenig bemeistern, daß er über sie im
Parlamente am 30. Nov. ausrief: "Es gehen jetzt Leute in den Straßen von


ob klein, eine Stimme haben sollte, und ging mit großer Brüderlichkeit vor;
das Wort Band's aus Virginien hatte gezündet: „Die Frage ist. ob die
Rechte und Freiheiten Amerikas erkämpft oder der willkürlichen Gewalt ge¬
opfert werden sollen." In Boston kam es zum blutigen Zusammenstoße,
während der Congreß in Philadelphia am 7. Sept. mit Gebet eröffnet wurde —
ein Congreß, zusammengetreten durchaus nicht zur Losreißung und Unabhän¬
gigkeitserklärung, sondern zur feierlichen Wahrung der alten Rechte, nicht
revolutionär, sondern conservativ im besten Sinne. Man versuchte die Un¬
abhängigkeit nicht nur nicht zu beschließen, sondern sogar zu verhindern, und
Washington glaubte. Niemand im Congresse denke an die Losreißung
vom Mutterlande. Der Congreß billigte den Widerstand von Massachusetts
gegen die letzten Parlamentsakten und versprach der Colonie, falls England
dieselben mit Gewalt ausführen würde, die Unterstützung von ganz Amerika,
am 8. Okt. Schon am 4. Okt. erließ er nach englischem Muster eine Erklärung der
Rechte, gestützt auf die unwandelbaren Gesetze der Natur, auf die englische
Verfassung und auf die verschiedenen Freibriefe und Einigungen, und um
England zu ihrer Anerkennung zu zwingen, beschloß man wieder vom 1. Dec.
an alle englischen Waaren in den Bann zu thun und im Falle der Nicht-
abstellung der Beschwerden vom 20. Sept. 1775 an auch Nichts mehr nach
Großbritannien und Britisch-Westindien auszuführen. Zugleich verpöntem Vir¬
ginien, Maryland und beide Karolina den Sklavenhandel. Dem Könige
wurden nochmals alle Beschwerden und Klagen unterbreitet, man wünschte
die Versöhnung von Mutter und Tochter, aber letztere rüstete sich zugleich,
um, falls die Mutter unerbittlich bliebe, ihr Haus zu verlassen und ihren
eigenen Herd zu gründen. Die Petition an Georg III. und die verschiedenen
Schriftstücke sollten von den Agenten übergeben und in der englischen Presse
bekannt gemacht werden, um die öffentliche Meinung zu bestimmen und zu
berichtigen. Zugleich lud der Congreß Canada ein, sich der Sache der Colo-
nien anzuschließen und mit ihnen einen Bund einzugehen.

Von Seiten der Krone hatten die Colonien nur Härte und Unbarm-
Herzigkeit zu erwarten, der Adel begegnete ihnen mit Bosheit, die Hochkirche
mit Mißgunst, das Parlament war durch Käuflichkeit corrumpirt, nur die
Kaufmannschaft war für Aussöhnung aus egoistischsten Motiven, weil der
englische Handel unter der Entfremdung Amerikas und Britanniens be¬
deutend litt. Franklin, der nicht von London wich, durchschaute all diese
traurigen Verhältnisse und sprach in vertrautem Kreise es aus, für sein
Vaterland gebe es kein anderes Heil, als vollkommene Emancipation. Franklin
und der eben in England befindliche Qutncy waren den Ministern ein Dorn
im Auge, Hillsborough konnte sich so wenig bemeistern, daß er über sie im
Parlamente am 30. Nov. ausrief: „Es gehen jetzt Leute in den Straßen von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/188>, abgerufen am 27.09.2024.