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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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derben? Hätte ich mit vierun^>zwanzig Jahren eine Peer-Stelle gehabt, wäre ich der
beliebteste Dichter und der glücklichste Lovelace des Tages gewesen, -- ich wäre
sicherlich ebenso eitel und möglicherweise ebenso schlecht geworden." Aber fällt
das Essay über Byron nicht durchweg zu Gunsten des Dichters aus, so hat
sich der Verfasser selbst darin ein schönes Denkmal für seinen freien Sinn
gesetzt. Mit welcher vernichtenden Schärfe schwingt er sein Schwert gegen
den von ihm in seinem wahren Lichte erkannten, moralischen Carl Englands,
der Lord Byron in die Fremde getrieben! Wie schneidig klingen seine An¬
klagen gegen die wohlfeile Tugend seiner Landsleute, die sich ein Opferlamm
für ihre Sündhaftigkeit suchen und daran periodenweise ihre Wuth auslassen --:
"Erst kam die Beurtheilung, dann die Strafe und ganz zuletzt die Anklage...
Wir wissen kein einziges Factum, welches zu dem Schlüsse berechtige, daß
Lord Byron irgendwie härter zu tadeln sei als irgend ein anderer Ehemann,
der mit seiner Frau auf etwas schlechtem Fuße lebt ... Es giebt kein so
lächerliches Schauspiel, wie das britische Publieum in einem seiner periodischen
Anfälle von Moral. Für gewöhnlich spielt Entführung, Ehebruch, Familien-
zerwürfniß aller Art keine Rolle, wir lesen von dem Skandal, sprechen auch
wohl darüber einen Tag oder zwei, und vergessen ihn dann. Aber einmal, so alle
sechs oder sieben Jahre, empört sich unsere Tugend, -- dann stehen wir auf
gegen solche Angriffe des Lasters, wir suchen uns einen Sündenbock, so eine
Art Prügeljungen unserer Tugend, und wenn wir an dem unsere Wuth aus¬
gelassen, legt sich unsere Tugend für einige weitere Jahre wieder ruhig
schlafen!" Solche und noch andere Worte schrieb Macaulay zu einer Zeit,
wo er gewiß allen Anlaß hatte, es mit dem verehrltchen Publikum von
England nicht so genau zu nehmen. Kein besseres Zeugniß für die moralische
Unabhängigkeit des großen Historikers von allen Rücksichten des damals in
üppigster Wucherblüthe stehenden Militarismus s, ig, Loutdöz?. -- Hoffentlich
ändert Herr Johannes Scherr nach der Lektüre des Trevelyan'schen Buches sein
durchaus unbegründetes, absprechendes Urtheil über Macaulay's geistige Frei¬
heit. Auch verweise ich ihn auf das freilich weniger bekannte Essay Ma¬
caulay's "(FiaMone on Lliureli ava LtAto", in welchem er den damals sehr
arg im Irrgarten der Scholastik umhertaumelnden Gladstone sehr energisch
zurechtwies. Macaulay hat die englische "estadliskizä okuroli" niemals aus
anderen, als aus augenblicklichen Bedürfnißrücksichten vertheidigt.

Wir können über die äußeren Schicksale Macaulay's schneller hinweggehen.
Er wird Mitglied des Indischen Amtes, verliert als solches, wie das in
analogen Fällen ja in Deutschland gleichfalls geschieht, seinen Sitz im Par¬
lament, wird mit großer Majorität in Leeds wiedergewählt und tritt wenige
Tage nach erfolgter Wahl im Unterhause den wüthenden Angriffen O'Connel's
gegen die protestantische Mehrheit in einer vernichtenden Weise entgegen.


derben? Hätte ich mit vierun^>zwanzig Jahren eine Peer-Stelle gehabt, wäre ich der
beliebteste Dichter und der glücklichste Lovelace des Tages gewesen, — ich wäre
sicherlich ebenso eitel und möglicherweise ebenso schlecht geworden." Aber fällt
das Essay über Byron nicht durchweg zu Gunsten des Dichters aus, so hat
sich der Verfasser selbst darin ein schönes Denkmal für seinen freien Sinn
gesetzt. Mit welcher vernichtenden Schärfe schwingt er sein Schwert gegen
den von ihm in seinem wahren Lichte erkannten, moralischen Carl Englands,
der Lord Byron in die Fremde getrieben! Wie schneidig klingen seine An¬
klagen gegen die wohlfeile Tugend seiner Landsleute, die sich ein Opferlamm
für ihre Sündhaftigkeit suchen und daran periodenweise ihre Wuth auslassen —:
„Erst kam die Beurtheilung, dann die Strafe und ganz zuletzt die Anklage...
Wir wissen kein einziges Factum, welches zu dem Schlüsse berechtige, daß
Lord Byron irgendwie härter zu tadeln sei als irgend ein anderer Ehemann,
der mit seiner Frau auf etwas schlechtem Fuße lebt ... Es giebt kein so
lächerliches Schauspiel, wie das britische Publieum in einem seiner periodischen
Anfälle von Moral. Für gewöhnlich spielt Entführung, Ehebruch, Familien-
zerwürfniß aller Art keine Rolle, wir lesen von dem Skandal, sprechen auch
wohl darüber einen Tag oder zwei, und vergessen ihn dann. Aber einmal, so alle
sechs oder sieben Jahre, empört sich unsere Tugend, — dann stehen wir auf
gegen solche Angriffe des Lasters, wir suchen uns einen Sündenbock, so eine
Art Prügeljungen unserer Tugend, und wenn wir an dem unsere Wuth aus¬
gelassen, legt sich unsere Tugend für einige weitere Jahre wieder ruhig
schlafen!" Solche und noch andere Worte schrieb Macaulay zu einer Zeit,
wo er gewiß allen Anlaß hatte, es mit dem verehrltchen Publikum von
England nicht so genau zu nehmen. Kein besseres Zeugniß für die moralische
Unabhängigkeit des großen Historikers von allen Rücksichten des damals in
üppigster Wucherblüthe stehenden Militarismus s, ig, Loutdöz?. — Hoffentlich
ändert Herr Johannes Scherr nach der Lektüre des Trevelyan'schen Buches sein
durchaus unbegründetes, absprechendes Urtheil über Macaulay's geistige Frei¬
heit. Auch verweise ich ihn auf das freilich weniger bekannte Essay Ma¬
caulay's „(FiaMone on Lliureli ava LtAto", in welchem er den damals sehr
arg im Irrgarten der Scholastik umhertaumelnden Gladstone sehr energisch
zurechtwies. Macaulay hat die englische „estadliskizä okuroli" niemals aus
anderen, als aus augenblicklichen Bedürfnißrücksichten vertheidigt.

Wir können über die äußeren Schicksale Macaulay's schneller hinweggehen.
Er wird Mitglied des Indischen Amtes, verliert als solches, wie das in
analogen Fällen ja in Deutschland gleichfalls geschieht, seinen Sitz im Par¬
lament, wird mit großer Majorität in Leeds wiedergewählt und tritt wenige
Tage nach erfolgter Wahl im Unterhause den wüthenden Angriffen O'Connel's
gegen die protestantische Mehrheit in einer vernichtenden Weise entgegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/176>, abgerufen am 27.09.2024.