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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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der für sie ausgeschieden ist, für die Nacht beherbergt zu werden. "Manche
von ihnen," sagte Eider Fräser, "sehen wirklich aus, als ob die Hölle sie
ausgespien hätte."

Im Gesellschaftszimmer der Office fanden wir unsere Freundinnen, die
mit der Verwaltung dieses Instituts betrauten Schwestern, und eine Anzahl
von Shakern und Thäterinnen von Harvard mit Einschluß zweier Aeltesten
dieser Nachbareolonie, die zum Begräbniß herüber gekommen waren und sich
sehr bald nach dem einfach weiß getünchten, durch nichts vor den andern
Häusern ausgezeichneten Gebäude begaben, welches man die Kirche des Ortes
nennen darf. Außer mir und meinen Bekannten von der Farm waren nur
wenige Weltkinder zugegen, und diese Wenigen waren fast ohne Ausnahme
Bewohner der südlichen Farm, so daß die ganze Ceremonie unbehelligt durch
Rücksichten auf bedenkliche Zuschauer vor sich gehen konnte, obwohl ich hin¬
zufügen muß, daß keine der Shakerceremonien, von denen ich Zeuge war,
sich durch Beobachtetwerden von Fremden einschüchtern ließ, wie viele der
letzteren ihr auch beiwohnen mochten. Wir wurden getrennt, indem die
Männer von den Frauen geschieden, diese auf die Seite der Schwestern, jene
auf die der Brüder gewiesen wurden, zwischen welchen beiden Seiten ein
Bret im Fußboden die Grenze bezeichnete. Die Brüder saßen auf Reihen
von Bänken rechts, die Schwestern links vor den fremden Gästen, und zwar
so, daß sie einander die Gesichter zukehrten. Die Schwestern trugen alter¬
thümliche, steif gestärkte, weiße Gazehauben und weiße Brusttücher, die vorn
übers Kreuz gesteckt waren. Die Brüder hatten beim Hereinkommen ihre
breitrandigen Strohhüte auf. die sie indeß später abnahmen und auf hölzerne
Pflöcke hingen, die an der Wand angebracht waren.

Ein Weilchen war Alles still, und die Shaker nahmen aus den Taschen
weiße Taschentücher so groß und dick wie Servietten, breiteten sie sich über die
Knie und legten die Hände so darauf, daß die Handflächen nach unten gekehrt
waren. Dann warteten sie, bis einer von ihnen zu singen begann, worauf
alle in das Lied einstimmten. Von dem charakteristischen Tanzen oder Hin-
und Hermaschiren war heute nichts zu sehen, aber während sie alle sanft
sangen, klopften sie sich dazu den Takt, indem sie mit den Händen sich auf
die Knie schlugen. Sie sangen zuletzt mit einem Eifer und einer Innigkeit,
von denen der nüchterne Gottesdienst unsrer Gemeinden hier draußen in der
Welt schon längst nichts mehr weiß. Ihre Hymnen waren bald der Ausdruck
der Trauer, bald der des Jubels und Frohlockens, aber die Musik hatte stets
etwas Angenehmes. Bisweilen erinnerte sie an Vögelgezwitscher im Walde.
Es schien kein Dirigent vorhanden zu sein, sondern wenn eine Pause einge¬
treten war, begann irgend ein Bruder oder eine Schwester von Neuem zu
singen, und die Uebrigen folgten, ausgenommen das eine Mal, wo ange-


der für sie ausgeschieden ist, für die Nacht beherbergt zu werden. „Manche
von ihnen," sagte Eider Fräser, „sehen wirklich aus, als ob die Hölle sie
ausgespien hätte."

Im Gesellschaftszimmer der Office fanden wir unsere Freundinnen, die
mit der Verwaltung dieses Instituts betrauten Schwestern, und eine Anzahl
von Shakern und Thäterinnen von Harvard mit Einschluß zweier Aeltesten
dieser Nachbareolonie, die zum Begräbniß herüber gekommen waren und sich
sehr bald nach dem einfach weiß getünchten, durch nichts vor den andern
Häusern ausgezeichneten Gebäude begaben, welches man die Kirche des Ortes
nennen darf. Außer mir und meinen Bekannten von der Farm waren nur
wenige Weltkinder zugegen, und diese Wenigen waren fast ohne Ausnahme
Bewohner der südlichen Farm, so daß die ganze Ceremonie unbehelligt durch
Rücksichten auf bedenkliche Zuschauer vor sich gehen konnte, obwohl ich hin¬
zufügen muß, daß keine der Shakerceremonien, von denen ich Zeuge war,
sich durch Beobachtetwerden von Fremden einschüchtern ließ, wie viele der
letzteren ihr auch beiwohnen mochten. Wir wurden getrennt, indem die
Männer von den Frauen geschieden, diese auf die Seite der Schwestern, jene
auf die der Brüder gewiesen wurden, zwischen welchen beiden Seiten ein
Bret im Fußboden die Grenze bezeichnete. Die Brüder saßen auf Reihen
von Bänken rechts, die Schwestern links vor den fremden Gästen, und zwar
so, daß sie einander die Gesichter zukehrten. Die Schwestern trugen alter¬
thümliche, steif gestärkte, weiße Gazehauben und weiße Brusttücher, die vorn
übers Kreuz gesteckt waren. Die Brüder hatten beim Hereinkommen ihre
breitrandigen Strohhüte auf. die sie indeß später abnahmen und auf hölzerne
Pflöcke hingen, die an der Wand angebracht waren.

Ein Weilchen war Alles still, und die Shaker nahmen aus den Taschen
weiße Taschentücher so groß und dick wie Servietten, breiteten sie sich über die
Knie und legten die Hände so darauf, daß die Handflächen nach unten gekehrt
waren. Dann warteten sie, bis einer von ihnen zu singen begann, worauf
alle in das Lied einstimmten. Von dem charakteristischen Tanzen oder Hin-
und Hermaschiren war heute nichts zu sehen, aber während sie alle sanft
sangen, klopften sie sich dazu den Takt, indem sie mit den Händen sich auf
die Knie schlugen. Sie sangen zuletzt mit einem Eifer und einer Innigkeit,
von denen der nüchterne Gottesdienst unsrer Gemeinden hier draußen in der
Welt schon längst nichts mehr weiß. Ihre Hymnen waren bald der Ausdruck
der Trauer, bald der des Jubels und Frohlockens, aber die Musik hatte stets
etwas Angenehmes. Bisweilen erinnerte sie an Vögelgezwitscher im Walde.
Es schien kein Dirigent vorhanden zu sein, sondern wenn eine Pause einge¬
treten war, begann irgend ein Bruder oder eine Schwester von Neuem zu
singen, und die Uebrigen folgten, ausgenommen das eine Mal, wo ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/165>, abgerufen am 27.09.2024.