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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sich des Rufs erfreut, daß alles, was man feil hat, mit vollkommenem Ver¬
trauen auf seine Güte und Echtheit gekauft werden kann, und wenn man
einen Namen hat, der im Wörterbuche unter den Synonymen für Recht¬
schaffenheit stehen könnte, während andrerseits eben so unzweifelhaft nichts
Arges darin liegen kann, wenn die Nachbarn wissen, daß man ein Freund
alterthümlicher Tracht ist, und daß man den Herrn durch Tanz zu verehren
gewohnt ist. Thaten das Letztere doch der fromme König David und Mirjam,
die Schwester Mosis. Aber als mein Sommeraufenthalt in ihrer Gegend zu
Ende ging, und ich die Shaker nach vielen andern ihrer Eigenschaften kennen
gelernt hatte, war ich beinahe verdrießlich geworden über die öde>stachlichen
Ansichten, die über sie herrschen, und nach denen sie vorwiegend komisch er,
scheinen. Ich sah jetzt in ihnen eine Seete, einfältiglich dahin lebend, auf¬
richtig, innig überzeugt von der Wahrheit ihrer quietistischen Lehre, bestrebt,
ein himmlisches Ideal auf Erden zu verwirklichen. Inmitten der harten
und oft unsaubern Alltäglichkeit des gewöhnlichen Lebens aus dem Lande be¬
kleidet die Uankee-Shaker, die in alter Zeit sich hier in malerischer Gegend
niederließen, um als stille, abgeschlossene Gemeinde Gott zu dienen in Ge¬
danken und Werken , etwas von dem rührenden Interesse, welches in unsrer
Vorstellung den besseren Mönchs- und Nonnenorden anhaftet.

Ueber ihren Glauben ist schon Mancherlei geschrieben worden und da¬
runter viel Unrichtiges. Von ihrer Geschichte gilt dasselbe. Das Zuver¬
lässigste darüber fand ich in den "Wanderungen zwischen Hudson und Misst-
sippi" von M. Busch, dessen Mittheilungen ich, da das 1854 erschienene Buch
selten geworden sein wird, hier mit einigen Abkürzungen einschalte.

Die Shaker, oder, wie sie selbst sich nennen, "IKs Mllermial Lliureli
or Ilmteä Loeiet^ ok LöUevsrs" (die Vereinigte Gesellschaft der Gläubigen
von der Tausendjährigen Kirche) sind nicht, wie Hase's Kirchengeschichte lehrt,
aus den Methodisten und nicht in Wales entstanden, und man hat sie des¬
halb nicht für ein und dasselbe mit den englischen Jumpers zu halten.
Sie führen vielmehr ihren Ursprung auf die sogenannten Convulsionärs oder,
wie sie im "Luminaiz^ View ok tke Nillenmeü LiliureK" heißen, die "französischen
Propheten" zurück, welche zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts in der
Dauphine und in den Bergen der Cevennen auftraten und eine große Er¬
weckung des religiösen Geistes, begleitet von räthselhaften Seelenzuständen,
hervorriefen, in denen man himmlische Gesichte sah, in Zungen redete, weis¬
sagte und unter Krämpfen und Zuckungen Gott um Erbarmen mit der
sündigen Menschheit anrief. Im Jahre 1705 verließen drei ihrer hervor¬
ragendsten Prediger, Elias Marion, Jean Cavilier und Durand Fage, Frank¬
reich, um sich nach England zu begeben, wo sie in London lehrten und wider
den Antichrist zeugten. Wenig Erfolg findend und manichfach verfolgt, zogen


sich des Rufs erfreut, daß alles, was man feil hat, mit vollkommenem Ver¬
trauen auf seine Güte und Echtheit gekauft werden kann, und wenn man
einen Namen hat, der im Wörterbuche unter den Synonymen für Recht¬
schaffenheit stehen könnte, während andrerseits eben so unzweifelhaft nichts
Arges darin liegen kann, wenn die Nachbarn wissen, daß man ein Freund
alterthümlicher Tracht ist, und daß man den Herrn durch Tanz zu verehren
gewohnt ist. Thaten das Letztere doch der fromme König David und Mirjam,
die Schwester Mosis. Aber als mein Sommeraufenthalt in ihrer Gegend zu
Ende ging, und ich die Shaker nach vielen andern ihrer Eigenschaften kennen
gelernt hatte, war ich beinahe verdrießlich geworden über die öde>stachlichen
Ansichten, die über sie herrschen, und nach denen sie vorwiegend komisch er,
scheinen. Ich sah jetzt in ihnen eine Seete, einfältiglich dahin lebend, auf¬
richtig, innig überzeugt von der Wahrheit ihrer quietistischen Lehre, bestrebt,
ein himmlisches Ideal auf Erden zu verwirklichen. Inmitten der harten
und oft unsaubern Alltäglichkeit des gewöhnlichen Lebens aus dem Lande be¬
kleidet die Uankee-Shaker, die in alter Zeit sich hier in malerischer Gegend
niederließen, um als stille, abgeschlossene Gemeinde Gott zu dienen in Ge¬
danken und Werken , etwas von dem rührenden Interesse, welches in unsrer
Vorstellung den besseren Mönchs- und Nonnenorden anhaftet.

Ueber ihren Glauben ist schon Mancherlei geschrieben worden und da¬
runter viel Unrichtiges. Von ihrer Geschichte gilt dasselbe. Das Zuver¬
lässigste darüber fand ich in den „Wanderungen zwischen Hudson und Misst-
sippi" von M. Busch, dessen Mittheilungen ich, da das 1854 erschienene Buch
selten geworden sein wird, hier mit einigen Abkürzungen einschalte.

Die Shaker, oder, wie sie selbst sich nennen, „IKs Mllermial Lliureli
or Ilmteä Loeiet^ ok LöUevsrs" (die Vereinigte Gesellschaft der Gläubigen
von der Tausendjährigen Kirche) sind nicht, wie Hase's Kirchengeschichte lehrt,
aus den Methodisten und nicht in Wales entstanden, und man hat sie des¬
halb nicht für ein und dasselbe mit den englischen Jumpers zu halten.
Sie führen vielmehr ihren Ursprung auf die sogenannten Convulsionärs oder,
wie sie im „Luminaiz^ View ok tke Nillenmeü LiliureK" heißen, die „französischen
Propheten" zurück, welche zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts in der
Dauphine und in den Bergen der Cevennen auftraten und eine große Er¬
weckung des religiösen Geistes, begleitet von räthselhaften Seelenzuständen,
hervorriefen, in denen man himmlische Gesichte sah, in Zungen redete, weis¬
sagte und unter Krämpfen und Zuckungen Gott um Erbarmen mit der
sündigen Menschheit anrief. Im Jahre 1705 verließen drei ihrer hervor¬
ragendsten Prediger, Elias Marion, Jean Cavilier und Durand Fage, Frank¬
reich, um sich nach England zu begeben, wo sie in London lehrten und wider
den Antichrist zeugten. Wenig Erfolg findend und manichfach verfolgt, zogen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/155>, abgerufen am 27.09.2024.