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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der Boden Serbiens ist, wo er überhaupt bebaut werden kann, durch"
schnittlich fruchtbar. Besonders gut gedeihen der türkische Weizen, aus dem
das gewöhnliche Volksnahrungsmittel, die "Broja", bereitet wird, und das
Haidekorn, aus dem man ein bierartiges Getränk brant. In der Nachbar¬
schaft von Semendria wächst auch ein recht trinkbarer Wein. Die ungeheuren
Wälder des Landes, die meist aus Eichen bestehen, geben zahlreichen Schweine¬
heerden, welche den Hauptreichthum Serbiens bilden, in ihren Eicheln ge¬
nügende Nahrung. Ueberhaupt ist Viehzucht hier ergiebig, Rinder und
Schafe sind in beträchtlicher Menge vorhanden, und auch an Pferden herrscht
kein Mangel, obwohl sie gleich dem übrigen Vieh mit Ausnahme der Schweine
gewöhnlich klein und unansehnlich sind. Sie werden der schlechten Straßen
halber mehr als Lastthiere wie zum Ziehen verwendet.

Seit dem Frieden von Adrianopel ist Serbien von der Pforte fast ganz
unabhängig, und seit vor einigen Jahren die letzten türkischen Garnisonen
zurückgezogen worden sind, steht es mit jener fast nur noch durch den Tribut
in einem Abhängigkeitsverhältniß, welcher alljährlich nach Konstantinopel
zu entrichten ist und 4600 Beutel oder nach deutschem Gelde 726.800 Mark
beträgt. Das Fürstenthum ist durch Artikel 29 des pariser Friedens von
1856 unter den Schutz Rußlands, Preußens, Oesterreichs, Frankreichs, Eng¬
lands und Italiens gestellt, ohne deren Einwilligung eine bewaffnete Inter¬
vention in Serbien nicht stattfinden soll. Die Fürstenwürde ist erblich, die
Regierung eine constitutionelle, indem der Fürst durch vier Minister und mit
einem Senat und einer vom Volke gewählten Vertretung, der Skupschtina,
regiert. Die Justiz wird unmittelbar von den Richtern der Gemeinden auf
Grund guter Gesetzbücher und in oberster Instanz durch ein Appellations¬
gericht geübt. Serbien hat keine Schulden, aber trotzdem ist es ihm jn letzter
Zeit nicht gelungen, eine Anleihe im Auslande zu Stande zu bringen. Eine
Eisenbahn eristirt nicht, auch keine stehende Brücke über die Morawa, doch
hat man für den Kriegsfall 7 Pontontrains. Die große Mehrzahl der
Serben gehört der griechischen Kirche an, die 298 Kirchen und 38 Klöster
im Lande hat, und deren Oberhaupt der Metropolit von Belgrad ist, welcher
den Titel eines Primas von Serbien führt. Daneben giebt es eine kleine
Anzahl Katholiken, einige tausend Juden, denen vor vierzig Jahren das Be¬
treten des Fürstenthums nicht gestattet war, und in Belgrad sogar Pro¬
testanten. Das Schulwesen ist ziemlich entwickelt, selbst einiges wissenschaftliche
Leben regt sich, und viele der jüngeren Söhne der Wohlhabenden haben sich
auf deutschen Universitäten oder in Paris ihre Bildung erworben.

Die Bodenfläche Serbiens beträgt 998 Quadratmeilen, die Einwohner¬
zahl ungefähr eine Million, so daß etwas mehr als tausend Menschen auf
die Meile kommen. Die Hauptmasse der Bevölkerung gehört dem serbischen


Der Boden Serbiens ist, wo er überhaupt bebaut werden kann, durch»
schnittlich fruchtbar. Besonders gut gedeihen der türkische Weizen, aus dem
das gewöhnliche Volksnahrungsmittel, die „Broja", bereitet wird, und das
Haidekorn, aus dem man ein bierartiges Getränk brant. In der Nachbar¬
schaft von Semendria wächst auch ein recht trinkbarer Wein. Die ungeheuren
Wälder des Landes, die meist aus Eichen bestehen, geben zahlreichen Schweine¬
heerden, welche den Hauptreichthum Serbiens bilden, in ihren Eicheln ge¬
nügende Nahrung. Ueberhaupt ist Viehzucht hier ergiebig, Rinder und
Schafe sind in beträchtlicher Menge vorhanden, und auch an Pferden herrscht
kein Mangel, obwohl sie gleich dem übrigen Vieh mit Ausnahme der Schweine
gewöhnlich klein und unansehnlich sind. Sie werden der schlechten Straßen
halber mehr als Lastthiere wie zum Ziehen verwendet.

Seit dem Frieden von Adrianopel ist Serbien von der Pforte fast ganz
unabhängig, und seit vor einigen Jahren die letzten türkischen Garnisonen
zurückgezogen worden sind, steht es mit jener fast nur noch durch den Tribut
in einem Abhängigkeitsverhältniß, welcher alljährlich nach Konstantinopel
zu entrichten ist und 4600 Beutel oder nach deutschem Gelde 726.800 Mark
beträgt. Das Fürstenthum ist durch Artikel 29 des pariser Friedens von
1856 unter den Schutz Rußlands, Preußens, Oesterreichs, Frankreichs, Eng¬
lands und Italiens gestellt, ohne deren Einwilligung eine bewaffnete Inter¬
vention in Serbien nicht stattfinden soll. Die Fürstenwürde ist erblich, die
Regierung eine constitutionelle, indem der Fürst durch vier Minister und mit
einem Senat und einer vom Volke gewählten Vertretung, der Skupschtina,
regiert. Die Justiz wird unmittelbar von den Richtern der Gemeinden auf
Grund guter Gesetzbücher und in oberster Instanz durch ein Appellations¬
gericht geübt. Serbien hat keine Schulden, aber trotzdem ist es ihm jn letzter
Zeit nicht gelungen, eine Anleihe im Auslande zu Stande zu bringen. Eine
Eisenbahn eristirt nicht, auch keine stehende Brücke über die Morawa, doch
hat man für den Kriegsfall 7 Pontontrains. Die große Mehrzahl der
Serben gehört der griechischen Kirche an, die 298 Kirchen und 38 Klöster
im Lande hat, und deren Oberhaupt der Metropolit von Belgrad ist, welcher
den Titel eines Primas von Serbien führt. Daneben giebt es eine kleine
Anzahl Katholiken, einige tausend Juden, denen vor vierzig Jahren das Be¬
treten des Fürstenthums nicht gestattet war, und in Belgrad sogar Pro¬
testanten. Das Schulwesen ist ziemlich entwickelt, selbst einiges wissenschaftliche
Leben regt sich, und viele der jüngeren Söhne der Wohlhabenden haben sich
auf deutschen Universitäten oder in Paris ihre Bildung erworben.

Die Bodenfläche Serbiens beträgt 998 Quadratmeilen, die Einwohner¬
zahl ungefähr eine Million, so daß etwas mehr als tausend Menschen auf
die Meile kommen. Die Hauptmasse der Bevölkerung gehört dem serbischen


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[0144] Der Boden Serbiens ist, wo er überhaupt bebaut werden kann, durch» schnittlich fruchtbar. Besonders gut gedeihen der türkische Weizen, aus dem das gewöhnliche Volksnahrungsmittel, die „Broja", bereitet wird, und das Haidekorn, aus dem man ein bierartiges Getränk brant. In der Nachbar¬ schaft von Semendria wächst auch ein recht trinkbarer Wein. Die ungeheuren Wälder des Landes, die meist aus Eichen bestehen, geben zahlreichen Schweine¬ heerden, welche den Hauptreichthum Serbiens bilden, in ihren Eicheln ge¬ nügende Nahrung. Ueberhaupt ist Viehzucht hier ergiebig, Rinder und Schafe sind in beträchtlicher Menge vorhanden, und auch an Pferden herrscht kein Mangel, obwohl sie gleich dem übrigen Vieh mit Ausnahme der Schweine gewöhnlich klein und unansehnlich sind. Sie werden der schlechten Straßen halber mehr als Lastthiere wie zum Ziehen verwendet. Seit dem Frieden von Adrianopel ist Serbien von der Pforte fast ganz unabhängig, und seit vor einigen Jahren die letzten türkischen Garnisonen zurückgezogen worden sind, steht es mit jener fast nur noch durch den Tribut in einem Abhängigkeitsverhältniß, welcher alljährlich nach Konstantinopel zu entrichten ist und 4600 Beutel oder nach deutschem Gelde 726.800 Mark beträgt. Das Fürstenthum ist durch Artikel 29 des pariser Friedens von 1856 unter den Schutz Rußlands, Preußens, Oesterreichs, Frankreichs, Eng¬ lands und Italiens gestellt, ohne deren Einwilligung eine bewaffnete Inter¬ vention in Serbien nicht stattfinden soll. Die Fürstenwürde ist erblich, die Regierung eine constitutionelle, indem der Fürst durch vier Minister und mit einem Senat und einer vom Volke gewählten Vertretung, der Skupschtina, regiert. Die Justiz wird unmittelbar von den Richtern der Gemeinden auf Grund guter Gesetzbücher und in oberster Instanz durch ein Appellations¬ gericht geübt. Serbien hat keine Schulden, aber trotzdem ist es ihm jn letzter Zeit nicht gelungen, eine Anleihe im Auslande zu Stande zu bringen. Eine Eisenbahn eristirt nicht, auch keine stehende Brücke über die Morawa, doch hat man für den Kriegsfall 7 Pontontrains. Die große Mehrzahl der Serben gehört der griechischen Kirche an, die 298 Kirchen und 38 Klöster im Lande hat, und deren Oberhaupt der Metropolit von Belgrad ist, welcher den Titel eines Primas von Serbien führt. Daneben giebt es eine kleine Anzahl Katholiken, einige tausend Juden, denen vor vierzig Jahren das Be¬ treten des Fürstenthums nicht gestattet war, und in Belgrad sogar Pro¬ testanten. Das Schulwesen ist ziemlich entwickelt, selbst einiges wissenschaftliche Leben regt sich, und viele der jüngeren Söhne der Wohlhabenden haben sich auf deutschen Universitäten oder in Paris ihre Bildung erworben. Die Bodenfläche Serbiens beträgt 998 Quadratmeilen, die Einwohner¬ zahl ungefähr eine Million, so daß etwas mehr als tausend Menschen auf die Meile kommen. Die Hauptmasse der Bevölkerung gehört dem serbischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/144>, abgerufen am 27.09.2024.