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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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wirkt, so läßt sich annähernd ein Schluß auf die grenzenlose Misere des Be-
amtenstandes ziehen, der sich zwischen Thür und Angel gesetzt fand, mochte
nun Ernst August Eisenach mit seiner hohen Gegenwart beglücken oder nicht.

Und dazu hatte Gärtner noch die hohe Aufgabe, nicht allein der Quali-
fication nach die Beamten zu charakterisiren, sondern auch allen ohne Ausnahme
"durch den Sinn zu fahren", welche sich als gefährliche Subjecte gegen das
landesherrliche Interesse aufzulehnen suchten. Die sogenannten "Schnauz¬
hähne" waren im Piero der Regierung gehörig "auszuputzen, ganz raisonnable
auszustriegeln", damit vor allem jeder bei seinem Metier bleibe, die großen
Hansen vertilget und vor allem das Weiber- und Reifrockregiment, das von
dem Anhange des alten Hofes noch beliebt wurde, aus der Welt geschafft
werde. "Geben Sie nur recht deutlich zu verstehen, wie sich jedes um den
Fingerhut und die Nähnadel bekümmern, sich in Regierungssachen gar nicht
zu neurer hat. Sie haben dabei gar nicht nöthig, vor groß scheinenden
Drohungen, die ich nur für Wind halte, sich zu fürchten."

Schon mit Rücksicht auf diese Verhältnisse gehörte die lauterste Natur
dazu, um in den eingehendsten Berichten wahr und doch schonend zu Werke
zu gehen. Wäre Gärtner nicht eine verehrungswürdige Natur gewesen, so
würde maßloses Unglück über das ererbte Land hereingebrochen sein. Aber gleich
geläutertem Gold behauptete sich sein reiner Charakter, er war eine treue Seele,
die in den hohen Tagen ihres Alters eines besseren Geschickes würdig gewesen
wäre. -- Wohl war er zur Zeit der Vertraute Ernst August's; aber wer konnte
bürgen, daß wie es factisch geschah, sich die hohe Meinung änderte, zumal er
auch da, wo es Noth that, dem Herzog die Spitze bot, um seinem Rechts¬
gefühl vollen Ausdruck zu geben und den Gang der Dinge lediglich den
falschen Insinuationen zuzuschreiben. Ist es nachweislich, daß Ernst August
jedem seiner Diener ohne Rücksicht auf die Charaktereigenthümlichkeiten be¬
nutzte, um hinter die vermeintliche Wahrheit zu kommen, so scheute er
sich nicht, geradezu das Spionirsystem in seinem Lande einzuführen, das sogar
auf seine Kosten unterhalten wurde. Er hatte freilich die Naivität, dabei
die Bedingung zu stellen, daß die Anzeige die reine Wahrheit enthalte, die
in eontinonti bewiesen werden müsse; weil er betonte, kein Freund von öfterem
Hin- und Herreden zu sein, aber er dachte nicht daran, daß das Beamten-
thum in seinen Gesinnungen bereits aus der tief untersten Stufe ange¬
langt war. --

Der Zustand desselben in den leitenden Kreisen Eisenachs, mit dessen
Schilderung Gärtner beauftragt war, erschien so ungünstig wie möglich. "Der
Vice Canzler, so lautet in den wesentlichen Stellen der Bericht, ist ein alter
78 jähriger Mann, der von allen Dingen zwar Nachricht hat, bei dem es
aber in der Application nicht alle mal eintrifft. Hofrath Witsch, Ew. Durch-


wirkt, so läßt sich annähernd ein Schluß auf die grenzenlose Misere des Be-
amtenstandes ziehen, der sich zwischen Thür und Angel gesetzt fand, mochte
nun Ernst August Eisenach mit seiner hohen Gegenwart beglücken oder nicht.

Und dazu hatte Gärtner noch die hohe Aufgabe, nicht allein der Quali-
fication nach die Beamten zu charakterisiren, sondern auch allen ohne Ausnahme
„durch den Sinn zu fahren", welche sich als gefährliche Subjecte gegen das
landesherrliche Interesse aufzulehnen suchten. Die sogenannten „Schnauz¬
hähne" waren im Piero der Regierung gehörig „auszuputzen, ganz raisonnable
auszustriegeln", damit vor allem jeder bei seinem Metier bleibe, die großen
Hansen vertilget und vor allem das Weiber- und Reifrockregiment, das von
dem Anhange des alten Hofes noch beliebt wurde, aus der Welt geschafft
werde. „Geben Sie nur recht deutlich zu verstehen, wie sich jedes um den
Fingerhut und die Nähnadel bekümmern, sich in Regierungssachen gar nicht
zu neurer hat. Sie haben dabei gar nicht nöthig, vor groß scheinenden
Drohungen, die ich nur für Wind halte, sich zu fürchten."

Schon mit Rücksicht auf diese Verhältnisse gehörte die lauterste Natur
dazu, um in den eingehendsten Berichten wahr und doch schonend zu Werke
zu gehen. Wäre Gärtner nicht eine verehrungswürdige Natur gewesen, so
würde maßloses Unglück über das ererbte Land hereingebrochen sein. Aber gleich
geläutertem Gold behauptete sich sein reiner Charakter, er war eine treue Seele,
die in den hohen Tagen ihres Alters eines besseren Geschickes würdig gewesen
wäre. — Wohl war er zur Zeit der Vertraute Ernst August's; aber wer konnte
bürgen, daß wie es factisch geschah, sich die hohe Meinung änderte, zumal er
auch da, wo es Noth that, dem Herzog die Spitze bot, um seinem Rechts¬
gefühl vollen Ausdruck zu geben und den Gang der Dinge lediglich den
falschen Insinuationen zuzuschreiben. Ist es nachweislich, daß Ernst August
jedem seiner Diener ohne Rücksicht auf die Charaktereigenthümlichkeiten be¬
nutzte, um hinter die vermeintliche Wahrheit zu kommen, so scheute er
sich nicht, geradezu das Spionirsystem in seinem Lande einzuführen, das sogar
auf seine Kosten unterhalten wurde. Er hatte freilich die Naivität, dabei
die Bedingung zu stellen, daß die Anzeige die reine Wahrheit enthalte, die
in eontinonti bewiesen werden müsse; weil er betonte, kein Freund von öfterem
Hin- und Herreden zu sein, aber er dachte nicht daran, daß das Beamten-
thum in seinen Gesinnungen bereits aus der tief untersten Stufe ange¬
langt war. —

Der Zustand desselben in den leitenden Kreisen Eisenachs, mit dessen
Schilderung Gärtner beauftragt war, erschien so ungünstig wie möglich. „Der
Vice Canzler, so lautet in den wesentlichen Stellen der Bericht, ist ein alter
78 jähriger Mann, der von allen Dingen zwar Nachricht hat, bei dem es
aber in der Application nicht alle mal eintrifft. Hofrath Witsch, Ew. Durch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/493>, abgerufen am 27.09.2024.