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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Muth hierzu fehlte es den russischen Truppen nicht. Doch ohne Patronen,
ohne Artillerie und die nöthige Feldausrüstung wäre solches Unternehmen
sinnlos gewesen. Um neue Siege zu erfechten waren auch die Ueberreste der
Armee nicht da, es konnte sich nur noch darum handeln, dieselben vor dem
völligen Untergange zu retten; ihn deshalb der Unentschlossenheit und Ener¬
gielosigkeit anzuklagen, wie es zumal der Erzherzog Karl in seinem Werke
über diesen Feldzug gethan, ist in keiner Art und Weise gerechtfertigt.

Der einzige, wenn auch gefährliche Weg, der Suworow übrig blieb,
führte von Glarus durch das Sernfthal über Elm und den Panixer Paß nach
Jlanz in das Rheinthal. -- Auf diesem Wege konnte sich die Armee nach
einigen Tagemärschen jeder weiteren Gefahr entziehen, bald Proviantvorräthe
erhalten, sich so viel als nothwendig erholen, um dann auf dem rechten
Ufer des Oberrheins über Chur nach Feldktrch zu marschiren und sich dem¬
nächst mit Korsakow zu vereinigen. Der am 4. October in Glarus abgehaltene
Kriegsrath war auch einstimmig dieser Ansicht. --

Dem General Linken ging sofort der Befehl zu, bis zum 6. October in
Chur den nöthigen Proviant für die ganze Colonne auf mehrere Tage bereit
zu halten.

Die Verwundeten blieben mit den nöthigen Aerzten und Krankenwärtern
in Glarus zurück; Suworow empfahl sie in einem eigenhändigen Schreiben
der Fürsorge und Menschlichkeit des Feindes.

In der Nacht vom 4. zum ö. Oktober erhielten die Truppen Befehl, ihre
Stellungen nördlich Glarus zu verlassen und sich gegen Elm in Bewegung
zu setzen. -- General Miloradawitsch führte die Avantgarde, ihm folgten die
noch übriggebliebenen Lastthiere, dann das Corps Rosenberg, demnächst das
Corps Derselben. Die Arrieregarde kommandirte Bagration.

Wie befohlen, verließen die Truppen in aller Stille ihre Positionen, nur
die aus Kosacken gebildete Borpostenkette verblieb in ihrer Stellung. --
Erst mit Tagesanbruch erfuhr der Feind den Abzug der Russen und begann
dann zu folgen. Beim Dorfe Schwanden ereilte Molitor die russische Arriere¬
garde; nur 1800 Mann stark, hielt sie stundenlang, mit rühmenswerthester
Tapferkeit, einem Gegner, der fast 6000 Mann, Stand. Der Haupteolonne
wurde es hierdurch möglich, ruhig ihren Weg bis Elm fortzusetzen. Sobald
Bagration überzeugt, daß dieselben in Elm angelangt, verließ er langsam
seinen Standort. Er wurde nun auch noch von einer andern Seite bedroht;
die Vortruppen Loison's, der durch das Schächenthal und das obere Linththal
vorgedrungen, kamen von Süden in seine Flanke. Bagration hielt sich noch
einmal in einer neuen Stellung mehrere Stunden und erst bei vollständig
eintretender Dunkelheit ging er noch weiter zurück, vom Feinde nun nicht
mehr behelligt. --


Muth hierzu fehlte es den russischen Truppen nicht. Doch ohne Patronen,
ohne Artillerie und die nöthige Feldausrüstung wäre solches Unternehmen
sinnlos gewesen. Um neue Siege zu erfechten waren auch die Ueberreste der
Armee nicht da, es konnte sich nur noch darum handeln, dieselben vor dem
völligen Untergange zu retten; ihn deshalb der Unentschlossenheit und Ener¬
gielosigkeit anzuklagen, wie es zumal der Erzherzog Karl in seinem Werke
über diesen Feldzug gethan, ist in keiner Art und Weise gerechtfertigt.

Der einzige, wenn auch gefährliche Weg, der Suworow übrig blieb,
führte von Glarus durch das Sernfthal über Elm und den Panixer Paß nach
Jlanz in das Rheinthal. — Auf diesem Wege konnte sich die Armee nach
einigen Tagemärschen jeder weiteren Gefahr entziehen, bald Proviantvorräthe
erhalten, sich so viel als nothwendig erholen, um dann auf dem rechten
Ufer des Oberrheins über Chur nach Feldktrch zu marschiren und sich dem¬
nächst mit Korsakow zu vereinigen. Der am 4. October in Glarus abgehaltene
Kriegsrath war auch einstimmig dieser Ansicht. —

Dem General Linken ging sofort der Befehl zu, bis zum 6. October in
Chur den nöthigen Proviant für die ganze Colonne auf mehrere Tage bereit
zu halten.

Die Verwundeten blieben mit den nöthigen Aerzten und Krankenwärtern
in Glarus zurück; Suworow empfahl sie in einem eigenhändigen Schreiben
der Fürsorge und Menschlichkeit des Feindes.

In der Nacht vom 4. zum ö. Oktober erhielten die Truppen Befehl, ihre
Stellungen nördlich Glarus zu verlassen und sich gegen Elm in Bewegung
zu setzen. — General Miloradawitsch führte die Avantgarde, ihm folgten die
noch übriggebliebenen Lastthiere, dann das Corps Rosenberg, demnächst das
Corps Derselben. Die Arrieregarde kommandirte Bagration.

Wie befohlen, verließen die Truppen in aller Stille ihre Positionen, nur
die aus Kosacken gebildete Borpostenkette verblieb in ihrer Stellung. —
Erst mit Tagesanbruch erfuhr der Feind den Abzug der Russen und begann
dann zu folgen. Beim Dorfe Schwanden ereilte Molitor die russische Arriere¬
garde; nur 1800 Mann stark, hielt sie stundenlang, mit rühmenswerthester
Tapferkeit, einem Gegner, der fast 6000 Mann, Stand. Der Haupteolonne
wurde es hierdurch möglich, ruhig ihren Weg bis Elm fortzusetzen. Sobald
Bagration überzeugt, daß dieselben in Elm angelangt, verließ er langsam
seinen Standort. Er wurde nun auch noch von einer andern Seite bedroht;
die Vortruppen Loison's, der durch das Schächenthal und das obere Linththal
vorgedrungen, kamen von Süden in seine Flanke. Bagration hielt sich noch
einmal in einer neuen Stellung mehrere Stunden und erst bei vollständig
eintretender Dunkelheit ging er noch weiter zurück, vom Feinde nun nicht
mehr behelligt. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/421>, abgerufen am 27.09.2024.