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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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im Vergleich zu dem "deutschen Requiem" von Brahms. Wenn heute ein
alter Meister Drucker des 13. Jahrhunderts auferstünde und unsre Bemüh¬
ungen sähe, so würde er sagen: "Ihr müßt nicht das machen, was wir
gemacht haben, sondern so, wie wir's gemacht haben, oder richtiger wie wir's
gemacht haben würden, wenn wir die technischen Mittel gehabt hätten, die
euch jetzt zu Gebote stehen." Durch sklavischen Anschluß an ältere Stilformen
werden nur Curiositäten fertig, manierirte, aber keine stilvollen Erzeugnisse.
Nur innere Wahrheit, nur der volle Einklang zwischen geistigem Gehalr,
Zweck, Material, Form und Verzierung erzeugt jenen "Stil", nicht im histori¬
schen, sondern im philosophischen Sinne, der die Bedingung, aber auch die
Bürgschaft aller künstlerischen Schönheit ist.

Und da wollen wir denn mit Freuden constatiren, daß ein Buch
wenigstens auf der Leipziger Probeausstellung zu sehen war, das diesen eben
ausgesprochenen Forderungen äußerst nahe kam und das wir deshalb --
ganz abgesehen von seiner eminenten wissenschaftlichen Bedeutung und seiner
classischen Diction -- schon ganz äußerlich betrachtet als ein wahrhaft "schönes
Buch" bezeichnen müssen: ich meine die im Verlage von E. A. Seemann
erschienene Biographie Albrecht Dürer's von M. Thausing. Das Buch ist auf
modernem, glattem Papier -- das vielleicht noch etwas besser sein könnte --
mit lateinischer Antiqua gedruckt und zwar im Ganzen gut und sauber ge¬
druckt -- eine treffliche Leistung der Officin von Hundertstund und Pries.
Es ist mit einer stattlichen Anzahl vorzüglicher Holzschnitte nach Dürer'schen
Kunstwerken geschmückt, die sämmtlich speciell für dieses Buch hergestellt sind
und mit großer Gewissenhaftigkeit das Charakteristische der Originale wieder¬
zugeben suchen. Es ist endlich durch prächtige Initialen und Schlußstücke
verziert, die ebenfalls ausnahmslos besonders für dieses Buch angefertigt und
zwar im Geiste Dürer'scher Kunst und mit Anlehnung an einzelne seiner
Werke erfunden sind. Das ausgelegte Exemplar war in rothen Saffian
gebunden, mit einfacher, dem Charakter des Innern streng entsprechender
Ornamentik. Ich gestehe, es ist mir aus neuerer Zeit aus dem deutschen
Buchhandel kein Buch erinnerlich, pas einen so durch und durch harmonischen
Eindruck machte. Das ist einmal ein Buch, mit dem wir uns vor dem Aus¬
lande sehen lassen können, wenn auch der Franzose mit vollem Rechte sagen
wird: "Wir können's doch noch besser!"

Wenn ein Buch, wie diese Dürerbiographie im deutschen Buchhandel
Nachahmung fände, so könnten wir vielleicht mit der Zeit in Deutschland
ganz von selber eine Classe von Leuten entstehen sehen, die in Frankreich und
England stark vertreten ist, die wir aber in Deutschland gar nicht kennen:
die Bücherfreunde, die Bibliophilen. Unsre Buchhändler berufen sich stets,
wenn man ihnen die ordinäre Ausstattung ihrer Waare vorwirft, auf den


Grenzboten I. 1876. 42

im Vergleich zu dem „deutschen Requiem" von Brahms. Wenn heute ein
alter Meister Drucker des 13. Jahrhunderts auferstünde und unsre Bemüh¬
ungen sähe, so würde er sagen: „Ihr müßt nicht das machen, was wir
gemacht haben, sondern so, wie wir's gemacht haben, oder richtiger wie wir's
gemacht haben würden, wenn wir die technischen Mittel gehabt hätten, die
euch jetzt zu Gebote stehen." Durch sklavischen Anschluß an ältere Stilformen
werden nur Curiositäten fertig, manierirte, aber keine stilvollen Erzeugnisse.
Nur innere Wahrheit, nur der volle Einklang zwischen geistigem Gehalr,
Zweck, Material, Form und Verzierung erzeugt jenen „Stil", nicht im histori¬
schen, sondern im philosophischen Sinne, der die Bedingung, aber auch die
Bürgschaft aller künstlerischen Schönheit ist.

Und da wollen wir denn mit Freuden constatiren, daß ein Buch
wenigstens auf der Leipziger Probeausstellung zu sehen war, das diesen eben
ausgesprochenen Forderungen äußerst nahe kam und das wir deshalb —
ganz abgesehen von seiner eminenten wissenschaftlichen Bedeutung und seiner
classischen Diction — schon ganz äußerlich betrachtet als ein wahrhaft „schönes
Buch" bezeichnen müssen: ich meine die im Verlage von E. A. Seemann
erschienene Biographie Albrecht Dürer's von M. Thausing. Das Buch ist auf
modernem, glattem Papier — das vielleicht noch etwas besser sein könnte —
mit lateinischer Antiqua gedruckt und zwar im Ganzen gut und sauber ge¬
druckt — eine treffliche Leistung der Officin von Hundertstund und Pries.
Es ist mit einer stattlichen Anzahl vorzüglicher Holzschnitte nach Dürer'schen
Kunstwerken geschmückt, die sämmtlich speciell für dieses Buch hergestellt sind
und mit großer Gewissenhaftigkeit das Charakteristische der Originale wieder¬
zugeben suchen. Es ist endlich durch prächtige Initialen und Schlußstücke
verziert, die ebenfalls ausnahmslos besonders für dieses Buch angefertigt und
zwar im Geiste Dürer'scher Kunst und mit Anlehnung an einzelne seiner
Werke erfunden sind. Das ausgelegte Exemplar war in rothen Saffian
gebunden, mit einfacher, dem Charakter des Innern streng entsprechender
Ornamentik. Ich gestehe, es ist mir aus neuerer Zeit aus dem deutschen
Buchhandel kein Buch erinnerlich, pas einen so durch und durch harmonischen
Eindruck machte. Das ist einmal ein Buch, mit dem wir uns vor dem Aus¬
lande sehen lassen können, wenn auch der Franzose mit vollem Rechte sagen
wird: „Wir können's doch noch besser!"

Wenn ein Buch, wie diese Dürerbiographie im deutschen Buchhandel
Nachahmung fände, so könnten wir vielleicht mit der Zeit in Deutschland
ganz von selber eine Classe von Leuten entstehen sehen, die in Frankreich und
England stark vertreten ist, die wir aber in Deutschland gar nicht kennen:
die Bücherfreunde, die Bibliophilen. Unsre Buchhändler berufen sich stets,
wenn man ihnen die ordinäre Ausstattung ihrer Waare vorwirft, auf den


Grenzboten I. 1876. 42
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[0337] im Vergleich zu dem „deutschen Requiem" von Brahms. Wenn heute ein alter Meister Drucker des 13. Jahrhunderts auferstünde und unsre Bemüh¬ ungen sähe, so würde er sagen: „Ihr müßt nicht das machen, was wir gemacht haben, sondern so, wie wir's gemacht haben, oder richtiger wie wir's gemacht haben würden, wenn wir die technischen Mittel gehabt hätten, die euch jetzt zu Gebote stehen." Durch sklavischen Anschluß an ältere Stilformen werden nur Curiositäten fertig, manierirte, aber keine stilvollen Erzeugnisse. Nur innere Wahrheit, nur der volle Einklang zwischen geistigem Gehalr, Zweck, Material, Form und Verzierung erzeugt jenen „Stil", nicht im histori¬ schen, sondern im philosophischen Sinne, der die Bedingung, aber auch die Bürgschaft aller künstlerischen Schönheit ist. Und da wollen wir denn mit Freuden constatiren, daß ein Buch wenigstens auf der Leipziger Probeausstellung zu sehen war, das diesen eben ausgesprochenen Forderungen äußerst nahe kam und das wir deshalb — ganz abgesehen von seiner eminenten wissenschaftlichen Bedeutung und seiner classischen Diction — schon ganz äußerlich betrachtet als ein wahrhaft „schönes Buch" bezeichnen müssen: ich meine die im Verlage von E. A. Seemann erschienene Biographie Albrecht Dürer's von M. Thausing. Das Buch ist auf modernem, glattem Papier — das vielleicht noch etwas besser sein könnte — mit lateinischer Antiqua gedruckt und zwar im Ganzen gut und sauber ge¬ druckt — eine treffliche Leistung der Officin von Hundertstund und Pries. Es ist mit einer stattlichen Anzahl vorzüglicher Holzschnitte nach Dürer'schen Kunstwerken geschmückt, die sämmtlich speciell für dieses Buch hergestellt sind und mit großer Gewissenhaftigkeit das Charakteristische der Originale wieder¬ zugeben suchen. Es ist endlich durch prächtige Initialen und Schlußstücke verziert, die ebenfalls ausnahmslos besonders für dieses Buch angefertigt und zwar im Geiste Dürer'scher Kunst und mit Anlehnung an einzelne seiner Werke erfunden sind. Das ausgelegte Exemplar war in rothen Saffian gebunden, mit einfacher, dem Charakter des Innern streng entsprechender Ornamentik. Ich gestehe, es ist mir aus neuerer Zeit aus dem deutschen Buchhandel kein Buch erinnerlich, pas einen so durch und durch harmonischen Eindruck machte. Das ist einmal ein Buch, mit dem wir uns vor dem Aus¬ lande sehen lassen können, wenn auch der Franzose mit vollem Rechte sagen wird: „Wir können's doch noch besser!" Wenn ein Buch, wie diese Dürerbiographie im deutschen Buchhandel Nachahmung fände, so könnten wir vielleicht mit der Zeit in Deutschland ganz von selber eine Classe von Leuten entstehen sehen, die in Frankreich und England stark vertreten ist, die wir aber in Deutschland gar nicht kennen: die Bücherfreunde, die Bibliophilen. Unsre Buchhändler berufen sich stets, wenn man ihnen die ordinäre Ausstattung ihrer Waare vorwirft, auf den Grenzboten I. 1876. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/337>, abgerufen am 27.09.2024.