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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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oder 16. Jahrhunderts dürfte bedenklich sein Haupt schütteln, wenn er in der
vielgepriesenen Dürr'schen Michelangelo-Ausgabe sähe, wie die Kopfleisten,
mit denen da Seite für Seite ausgestattet ist, bald zwei Finger, bald einen
halben Finger breit, bald auf schwarzem, bald auf lichtem Grunde gezeich¬
net, bald mit rein geometrischem, bald mit figürlichen Ornament versehen,
bald in sich abgeschlossen, bald bloße Bruchstücke einer fortlaufend gedach¬
ten Kante sind. Das Buch macht wirklich etwas den Eindruck einer
Zierleistensammlung. Wozu aber nun bei all diesen Drucken das rauhe,
gefranste Büttenpapier? Ist das wirklich ein unerläßliches Erforderniß bei
unseren Reformbestrebungen? Ich gestehe, daß ich persönlich ein kleine Schwäche
für dieses Papier habe, aber die wenigsten wollen sie theilen. Von einer
Menge wohlgebildeter Leute kann man hören, daß sie entzückt sind über
diese Nachbildungen alter Drucke, daß ihnen aber das rauhe Papier im hohen
Grade mißfällt, und man kann ihnen mit allem Aufwand von Scharfsinn
nicht Unrecht geben. Gewiß ist dies holländische Papier das solideste von
der Welt, aber sollten wir uns nicht, wenn anders wir den guten Willen
haben, zur Solidität in der Papierfabrication zurückzukehren, ein Papier
schaffen können, welches die äußere Schönheit und Glätte, welche man heute
ja auch dem erbärmlichsten und vergänglichsten Surrogate zu geben ver¬
steht, mit der Dauerhaftigkeit des alten Lumpenpapieres verbindet? Man
kann denen nicht widersprechen, welche behaupten, daß die Anwendung des
alten Büttenpapiers eine spielende und überflüssige Alterthümelei sei, mit der
wir hinter unser besseres Können zurückgehen. Und wozu nun endlich gar
diese imitirten Schweinslederbände, die doch bei etwas näherer Betrachtung durch
ihr kreidiges, brüchiges Aussehen verrathen, daß sie nicht echt sind, daß sie
etwas anderes vorstellen wollen, als was sie wirklich sind? Kann es wirklich
unsere Aufgabe sein, den äußern Schein der alten Bücher nachzuahmen?

Wir machen eben an den Reformbestrebungen der kunstgewerblichen Seite
unsers Buchhandels genau dieselbe Erfahrung, wie sie überall in Kunst und
Kunstgewerbe bei Anlehnungsversuchen an ältere Vorbilder gemacht worden sind.
Es wird zunächst mit einem ängstlichen und äußerlichen Copiren der alten
Erzeugnisse begonnen. Erst allmählich steigt man dann dazu aus, in das Wesen
derselben einzudringen, das Unwesentliche bei Seite zu lassen und nicht bloß
in ihren Formen, sondern in ihrem Geiste zu schaffen. Nicht im Kunstgewerbe
allein ist es so gewesen. Man denke in der bildenden Kunst an die ersten
classieistischen Regungen in der deutschen Kunst des vorigen Jahrhunderts im
Vergleich zu dem, was Carstens, Thorwaldsen, Schinkel dann erreichten, in
der Poesie an das antikifirende Odengestammel Klopstock's im Vergleich zu
Goethe's Iphigenie, ja selbst in einer verhältnißmäßig so jungen Kunst wie
die Musik an die Wiederbelebungsversuche des Oratoriums durch Mendelssohn


oder 16. Jahrhunderts dürfte bedenklich sein Haupt schütteln, wenn er in der
vielgepriesenen Dürr'schen Michelangelo-Ausgabe sähe, wie die Kopfleisten,
mit denen da Seite für Seite ausgestattet ist, bald zwei Finger, bald einen
halben Finger breit, bald auf schwarzem, bald auf lichtem Grunde gezeich¬
net, bald mit rein geometrischem, bald mit figürlichen Ornament versehen,
bald in sich abgeschlossen, bald bloße Bruchstücke einer fortlaufend gedach¬
ten Kante sind. Das Buch macht wirklich etwas den Eindruck einer
Zierleistensammlung. Wozu aber nun bei all diesen Drucken das rauhe,
gefranste Büttenpapier? Ist das wirklich ein unerläßliches Erforderniß bei
unseren Reformbestrebungen? Ich gestehe, daß ich persönlich ein kleine Schwäche
für dieses Papier habe, aber die wenigsten wollen sie theilen. Von einer
Menge wohlgebildeter Leute kann man hören, daß sie entzückt sind über
diese Nachbildungen alter Drucke, daß ihnen aber das rauhe Papier im hohen
Grade mißfällt, und man kann ihnen mit allem Aufwand von Scharfsinn
nicht Unrecht geben. Gewiß ist dies holländische Papier das solideste von
der Welt, aber sollten wir uns nicht, wenn anders wir den guten Willen
haben, zur Solidität in der Papierfabrication zurückzukehren, ein Papier
schaffen können, welches die äußere Schönheit und Glätte, welche man heute
ja auch dem erbärmlichsten und vergänglichsten Surrogate zu geben ver¬
steht, mit der Dauerhaftigkeit des alten Lumpenpapieres verbindet? Man
kann denen nicht widersprechen, welche behaupten, daß die Anwendung des
alten Büttenpapiers eine spielende und überflüssige Alterthümelei sei, mit der
wir hinter unser besseres Können zurückgehen. Und wozu nun endlich gar
diese imitirten Schweinslederbände, die doch bei etwas näherer Betrachtung durch
ihr kreidiges, brüchiges Aussehen verrathen, daß sie nicht echt sind, daß sie
etwas anderes vorstellen wollen, als was sie wirklich sind? Kann es wirklich
unsere Aufgabe sein, den äußern Schein der alten Bücher nachzuahmen?

Wir machen eben an den Reformbestrebungen der kunstgewerblichen Seite
unsers Buchhandels genau dieselbe Erfahrung, wie sie überall in Kunst und
Kunstgewerbe bei Anlehnungsversuchen an ältere Vorbilder gemacht worden sind.
Es wird zunächst mit einem ängstlichen und äußerlichen Copiren der alten
Erzeugnisse begonnen. Erst allmählich steigt man dann dazu aus, in das Wesen
derselben einzudringen, das Unwesentliche bei Seite zu lassen und nicht bloß
in ihren Formen, sondern in ihrem Geiste zu schaffen. Nicht im Kunstgewerbe
allein ist es so gewesen. Man denke in der bildenden Kunst an die ersten
classieistischen Regungen in der deutschen Kunst des vorigen Jahrhunderts im
Vergleich zu dem, was Carstens, Thorwaldsen, Schinkel dann erreichten, in
der Poesie an das antikifirende Odengestammel Klopstock's im Vergleich zu
Goethe's Iphigenie, ja selbst in einer verhältnißmäßig so jungen Kunst wie
die Musik an die Wiederbelebungsversuche des Oratoriums durch Mendelssohn


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[0336] oder 16. Jahrhunderts dürfte bedenklich sein Haupt schütteln, wenn er in der vielgepriesenen Dürr'schen Michelangelo-Ausgabe sähe, wie die Kopfleisten, mit denen da Seite für Seite ausgestattet ist, bald zwei Finger, bald einen halben Finger breit, bald auf schwarzem, bald auf lichtem Grunde gezeich¬ net, bald mit rein geometrischem, bald mit figürlichen Ornament versehen, bald in sich abgeschlossen, bald bloße Bruchstücke einer fortlaufend gedach¬ ten Kante sind. Das Buch macht wirklich etwas den Eindruck einer Zierleistensammlung. Wozu aber nun bei all diesen Drucken das rauhe, gefranste Büttenpapier? Ist das wirklich ein unerläßliches Erforderniß bei unseren Reformbestrebungen? Ich gestehe, daß ich persönlich ein kleine Schwäche für dieses Papier habe, aber die wenigsten wollen sie theilen. Von einer Menge wohlgebildeter Leute kann man hören, daß sie entzückt sind über diese Nachbildungen alter Drucke, daß ihnen aber das rauhe Papier im hohen Grade mißfällt, und man kann ihnen mit allem Aufwand von Scharfsinn nicht Unrecht geben. Gewiß ist dies holländische Papier das solideste von der Welt, aber sollten wir uns nicht, wenn anders wir den guten Willen haben, zur Solidität in der Papierfabrication zurückzukehren, ein Papier schaffen können, welches die äußere Schönheit und Glätte, welche man heute ja auch dem erbärmlichsten und vergänglichsten Surrogate zu geben ver¬ steht, mit der Dauerhaftigkeit des alten Lumpenpapieres verbindet? Man kann denen nicht widersprechen, welche behaupten, daß die Anwendung des alten Büttenpapiers eine spielende und überflüssige Alterthümelei sei, mit der wir hinter unser besseres Können zurückgehen. Und wozu nun endlich gar diese imitirten Schweinslederbände, die doch bei etwas näherer Betrachtung durch ihr kreidiges, brüchiges Aussehen verrathen, daß sie nicht echt sind, daß sie etwas anderes vorstellen wollen, als was sie wirklich sind? Kann es wirklich unsere Aufgabe sein, den äußern Schein der alten Bücher nachzuahmen? Wir machen eben an den Reformbestrebungen der kunstgewerblichen Seite unsers Buchhandels genau dieselbe Erfahrung, wie sie überall in Kunst und Kunstgewerbe bei Anlehnungsversuchen an ältere Vorbilder gemacht worden sind. Es wird zunächst mit einem ängstlichen und äußerlichen Copiren der alten Erzeugnisse begonnen. Erst allmählich steigt man dann dazu aus, in das Wesen derselben einzudringen, das Unwesentliche bei Seite zu lassen und nicht bloß in ihren Formen, sondern in ihrem Geiste zu schaffen. Nicht im Kunstgewerbe allein ist es so gewesen. Man denke in der bildenden Kunst an die ersten classieistischen Regungen in der deutschen Kunst des vorigen Jahrhunderts im Vergleich zu dem, was Carstens, Thorwaldsen, Schinkel dann erreichten, in der Poesie an das antikifirende Odengestammel Klopstock's im Vergleich zu Goethe's Iphigenie, ja selbst in einer verhältnißmäßig so jungen Kunst wie die Musik an die Wiederbelebungsversuche des Oratoriums durch Mendelssohn

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/336>, abgerufen am 27.09.2024.