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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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und das Oetzthal voll davon sind. Dieselbe ist hier meist in die Form der Schna¬
dahüpfeln gefaßt, so z. B. in dem Spottvers auf die Kundler im Unterinnthal:


"Z' Kundt im Ofen
Thum's Lappen (Dummköpfe) dachen (backen).
Den van aujzi, den van alni
Wollen's g'Scheibler machen."

Die Hostruper in Schleswig haben einen besondern Speicher zur Auf¬
bewahrung aller Dummheiten, und man sagt in der Umgegend, wenn jemand
sich einfältig äußert oder beträgt: "Gah hen na Hostrup und lat ti de Dös
(Duselei, Dummheit) utsniden."

Man neckte sich aber nicht blos mit solchen Schwänken aus dem Lalen-
buch oder nach dem Muster desselben, sondern auch mit vielen andern Dingen,
die der Volkswitz aus dem Namen, den Sagen, den Sitten, der Sprechmeise
eines Ortes und Aehnlichem herausfand. Wyk auf der Insel Föhr soll nach
dem Gequiek eines Ferkels benannt sein, welches den um einen Namen ver¬
legner Erbauern des Ortes aus der Noth geholfen hätte. Die Bewohner
einer Anzahl Orte werden Eselsfresfer oder Füllenbeißer gescholten, weil ver¬
muthlich früher einmal die Sage gegangen ist, es gebe viele Wehrwölfe unter
ihnen. Fast unzählig sind die Spitznamen, die von Speisen hergenommen
sind; wir nennen nur im Elsaß die Schneckenschlezer von Baldersheim, und
die Mehldesch von Dietenheim, im vlämischen Belgien die Kaninchenesser von
Dünkirchen und die Senfesfer von Ostende, in Schwaben die Zwiebeln von
Eßlingen, in der Schweiz die Pappenhauer von Aarau und die Chriesisüppli
von Brugg. Die Bürger von Atzel in Rheinhessen, das eine Geige im
Wappen führt, weil Volker, der Fiedler im Nibelungenliede, dort geboren
sein soll, werden Fiedler genannt. Ziegenhain in Kurhessen heißt der Back¬
ofen, weil der Ort nur einen Eingang hat. Die schwäbischen Hirschauer
(nicht mit denen der bayerischen Oberpfalz zu verwechseln) haben den Namen
Kröpfle, vielleicht weil es einmal dort viel Kröpfe gab, und man foppt sie
mit der Behauptung, sie hätten die Waden am Halse. Um das Maß der
Lächerlichkeit voll zu machen, behauptet man auch, daß sie den Buchstaben R
verloren hätten und statt Herr Hirschwirth Hee Hieschwieth sagten. Von den
Bauern des hannoverschen Wendlandes endlich erzählt man sich, daß sie (wie
der londoner Cockney) das H immer da anbrachten, wo es nicht hingehört,
und da wegließen, wo es von Rechtswegen auszusprechen ist, so daß sie zum
Beispiel Err Hamtmunn statt Herr Amtmann zu schreiben pflegten. Ein
Sprichwort sagt: "Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd
sind den Teufel nichts werth."

Der Humor des Volkes hat sich nun nicht damit begnügt, einzelne Orte


und das Oetzthal voll davon sind. Dieselbe ist hier meist in die Form der Schna¬
dahüpfeln gefaßt, so z. B. in dem Spottvers auf die Kundler im Unterinnthal:


„Z' Kundt im Ofen
Thum's Lappen (Dummköpfe) dachen (backen).
Den van aujzi, den van alni
Wollen's g'Scheibler machen."

Die Hostruper in Schleswig haben einen besondern Speicher zur Auf¬
bewahrung aller Dummheiten, und man sagt in der Umgegend, wenn jemand
sich einfältig äußert oder beträgt: „Gah hen na Hostrup und lat ti de Dös
(Duselei, Dummheit) utsniden."

Man neckte sich aber nicht blos mit solchen Schwänken aus dem Lalen-
buch oder nach dem Muster desselben, sondern auch mit vielen andern Dingen,
die der Volkswitz aus dem Namen, den Sagen, den Sitten, der Sprechmeise
eines Ortes und Aehnlichem herausfand. Wyk auf der Insel Föhr soll nach
dem Gequiek eines Ferkels benannt sein, welches den um einen Namen ver¬
legner Erbauern des Ortes aus der Noth geholfen hätte. Die Bewohner
einer Anzahl Orte werden Eselsfresfer oder Füllenbeißer gescholten, weil ver¬
muthlich früher einmal die Sage gegangen ist, es gebe viele Wehrwölfe unter
ihnen. Fast unzählig sind die Spitznamen, die von Speisen hergenommen
sind; wir nennen nur im Elsaß die Schneckenschlezer von Baldersheim, und
die Mehldesch von Dietenheim, im vlämischen Belgien die Kaninchenesser von
Dünkirchen und die Senfesfer von Ostende, in Schwaben die Zwiebeln von
Eßlingen, in der Schweiz die Pappenhauer von Aarau und die Chriesisüppli
von Brugg. Die Bürger von Atzel in Rheinhessen, das eine Geige im
Wappen führt, weil Volker, der Fiedler im Nibelungenliede, dort geboren
sein soll, werden Fiedler genannt. Ziegenhain in Kurhessen heißt der Back¬
ofen, weil der Ort nur einen Eingang hat. Die schwäbischen Hirschauer
(nicht mit denen der bayerischen Oberpfalz zu verwechseln) haben den Namen
Kröpfle, vielleicht weil es einmal dort viel Kröpfe gab, und man foppt sie
mit der Behauptung, sie hätten die Waden am Halse. Um das Maß der
Lächerlichkeit voll zu machen, behauptet man auch, daß sie den Buchstaben R
verloren hätten und statt Herr Hirschwirth Hee Hieschwieth sagten. Von den
Bauern des hannoverschen Wendlandes endlich erzählt man sich, daß sie (wie
der londoner Cockney) das H immer da anbrachten, wo es nicht hingehört,
und da wegließen, wo es von Rechtswegen auszusprechen ist, so daß sie zum
Beispiel Err Hamtmunn statt Herr Amtmann zu schreiben pflegten. Ein
Sprichwort sagt: „Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd
sind den Teufel nichts werth."

Der Humor des Volkes hat sich nun nicht damit begnügt, einzelne Orte


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[0311] und das Oetzthal voll davon sind. Dieselbe ist hier meist in die Form der Schna¬ dahüpfeln gefaßt, so z. B. in dem Spottvers auf die Kundler im Unterinnthal: „Z' Kundt im Ofen Thum's Lappen (Dummköpfe) dachen (backen). Den van aujzi, den van alni Wollen's g'Scheibler machen." Die Hostruper in Schleswig haben einen besondern Speicher zur Auf¬ bewahrung aller Dummheiten, und man sagt in der Umgegend, wenn jemand sich einfältig äußert oder beträgt: „Gah hen na Hostrup und lat ti de Dös (Duselei, Dummheit) utsniden." Man neckte sich aber nicht blos mit solchen Schwänken aus dem Lalen- buch oder nach dem Muster desselben, sondern auch mit vielen andern Dingen, die der Volkswitz aus dem Namen, den Sagen, den Sitten, der Sprechmeise eines Ortes und Aehnlichem herausfand. Wyk auf der Insel Föhr soll nach dem Gequiek eines Ferkels benannt sein, welches den um einen Namen ver¬ legner Erbauern des Ortes aus der Noth geholfen hätte. Die Bewohner einer Anzahl Orte werden Eselsfresfer oder Füllenbeißer gescholten, weil ver¬ muthlich früher einmal die Sage gegangen ist, es gebe viele Wehrwölfe unter ihnen. Fast unzählig sind die Spitznamen, die von Speisen hergenommen sind; wir nennen nur im Elsaß die Schneckenschlezer von Baldersheim, und die Mehldesch von Dietenheim, im vlämischen Belgien die Kaninchenesser von Dünkirchen und die Senfesfer von Ostende, in Schwaben die Zwiebeln von Eßlingen, in der Schweiz die Pappenhauer von Aarau und die Chriesisüppli von Brugg. Die Bürger von Atzel in Rheinhessen, das eine Geige im Wappen führt, weil Volker, der Fiedler im Nibelungenliede, dort geboren sein soll, werden Fiedler genannt. Ziegenhain in Kurhessen heißt der Back¬ ofen, weil der Ort nur einen Eingang hat. Die schwäbischen Hirschauer (nicht mit denen der bayerischen Oberpfalz zu verwechseln) haben den Namen Kröpfle, vielleicht weil es einmal dort viel Kröpfe gab, und man foppt sie mit der Behauptung, sie hätten die Waden am Halse. Um das Maß der Lächerlichkeit voll zu machen, behauptet man auch, daß sie den Buchstaben R verloren hätten und statt Herr Hirschwirth Hee Hieschwieth sagten. Von den Bauern des hannoverschen Wendlandes endlich erzählt man sich, daß sie (wie der londoner Cockney) das H immer da anbrachten, wo es nicht hingehört, und da wegließen, wo es von Rechtswegen auszusprechen ist, so daß sie zum Beispiel Err Hamtmunn statt Herr Amtmann zu schreiben pflegten. Ein Sprichwort sagt: „Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd sind den Teufel nichts werth." Der Humor des Volkes hat sich nun nicht damit begnügt, einzelne Orte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/311>, abgerufen am 27.09.2024.