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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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entnommen wurden, wo dann gewöhnlich die eine und die andere Neben¬
sache vom Original abwich, der Grundgedanke aber derselbe war. Ein paar
Beispiele werden genügen, um dieß darzuthun. Von den Ellikonern im
Kanton Zürich wird erzählt, daß sie, als ihre Felder von wilden Schweinen
verwüstet wurden und sie die letzteren nicht wegzubringen im Stande waren,
den Rath erhielten, Eier unter sie auswerfen zu lassen, daß sie in Verlegen¬
heit waren, wie dieß der damit zu Beauftragende ohne Zertreten des Ge¬
treides bewerkstelligen könnte, und daß sie das Auskunftsmittel fanden, ihn
von vier Männern auf einer Bahre über die Felder hin- und hertragen zu
lassen. Diese Geschichte findet sich bereits bei Bebel, nur wird sie hier von
den schwäbischen Mundingern erzählt, und die Schweine sind Störche. Die¬
selben Mundinger läuten, als sie zum ersten Mal einen Krebs sehen, erschrocken
Sturm, ein vielgereister Schneider, der etwas von Scheeren verstehen muß,
wird über das Ungeheuer befragt, er meint, wenn es nicht eine Turteltaube
sei, so werde es wohl ein Hirsch sein, zuletzt wird der Krebs mit Büchsen
todtgeschossen. Von den Bauern zu Thaten in Holstein wird ganz dasselbe
berichtet, nur ist das Ungethüm kein Krebs, sondern ein Frosch. Die Sal-
vanser in Tirol lassen Bauholz vom Berge an einem Seile hinab, dabei
entrollt ihnen einer der Stämme, sie finden, daß die Sache sich so leichter
macht und kommen dadurch zu dem Beschluß, die bereits unten liegenden
Stämme wieder herauszuschaffen; sie vergessen beim Bau ihres Rathhauses
die Fenster und stellen nun Säcke auf, um Sonnenschein aufzufangen und
hineinzutragen; diese Schwänke stehen aber schon im Buche von den Lalen-
bürgern.

Andere beliebte und besonders verbreitete Geschtchtchen der Necklust des
Bolkshumors sind folgende. Die Betreffenden haben Kuhsamen gesäet oder
gesalzne Heringe in einen Teich gesetzt, damit sie sich vermehren, oder auch
ein Wasserthier zu ersäufen versucht. Sie haben den Mondschein sangen oder
aus dem Wasser schneiden wollen. Sie finden eine Sense bei einer abge¬
mähten Wiese, halten sie für ein grasfressendes Thier und zäumen sie, als
einer von ihnen der Sense auf den Stiel tritt und sie ihm in den Hals fährt,
mit einer Dornhecke ein. Sie halten einen Kürbis, der auf dem Felde liegt,
für ein El, wollen wissen, welcher Vogel es gelegt hat, und beauftragen des¬
halb ihren Bürgermeister, es auszubrüten, dieser setzt sich darüber, nach einer
Weile entrollt ihm der Kürbis bergab in einen Busch, wo er einen Hasen
aufscheucht, den die Schildbürger für einen Esel halten, sodaß sie meinen, der
Kürbis müsse ein Eselset gewesen sein. Sie brauchen gutes Wetter und schicken
darnach in die Apotheke, wo man den Boten eine Schachtel, in der etwas
summt, als das Verlangte angiebt. Es wird ihm verboten, sie zu öffnen,
auf dem Wege läßt ihm die Neugier keine Ruhe, er macht die Schachtel auf.


entnommen wurden, wo dann gewöhnlich die eine und die andere Neben¬
sache vom Original abwich, der Grundgedanke aber derselbe war. Ein paar
Beispiele werden genügen, um dieß darzuthun. Von den Ellikonern im
Kanton Zürich wird erzählt, daß sie, als ihre Felder von wilden Schweinen
verwüstet wurden und sie die letzteren nicht wegzubringen im Stande waren,
den Rath erhielten, Eier unter sie auswerfen zu lassen, daß sie in Verlegen¬
heit waren, wie dieß der damit zu Beauftragende ohne Zertreten des Ge¬
treides bewerkstelligen könnte, und daß sie das Auskunftsmittel fanden, ihn
von vier Männern auf einer Bahre über die Felder hin- und hertragen zu
lassen. Diese Geschichte findet sich bereits bei Bebel, nur wird sie hier von
den schwäbischen Mundingern erzählt, und die Schweine sind Störche. Die¬
selben Mundinger läuten, als sie zum ersten Mal einen Krebs sehen, erschrocken
Sturm, ein vielgereister Schneider, der etwas von Scheeren verstehen muß,
wird über das Ungeheuer befragt, er meint, wenn es nicht eine Turteltaube
sei, so werde es wohl ein Hirsch sein, zuletzt wird der Krebs mit Büchsen
todtgeschossen. Von den Bauern zu Thaten in Holstein wird ganz dasselbe
berichtet, nur ist das Ungethüm kein Krebs, sondern ein Frosch. Die Sal-
vanser in Tirol lassen Bauholz vom Berge an einem Seile hinab, dabei
entrollt ihnen einer der Stämme, sie finden, daß die Sache sich so leichter
macht und kommen dadurch zu dem Beschluß, die bereits unten liegenden
Stämme wieder herauszuschaffen; sie vergessen beim Bau ihres Rathhauses
die Fenster und stellen nun Säcke auf, um Sonnenschein aufzufangen und
hineinzutragen; diese Schwänke stehen aber schon im Buche von den Lalen-
bürgern.

Andere beliebte und besonders verbreitete Geschtchtchen der Necklust des
Bolkshumors sind folgende. Die Betreffenden haben Kuhsamen gesäet oder
gesalzne Heringe in einen Teich gesetzt, damit sie sich vermehren, oder auch
ein Wasserthier zu ersäufen versucht. Sie haben den Mondschein sangen oder
aus dem Wasser schneiden wollen. Sie finden eine Sense bei einer abge¬
mähten Wiese, halten sie für ein grasfressendes Thier und zäumen sie, als
einer von ihnen der Sense auf den Stiel tritt und sie ihm in den Hals fährt,
mit einer Dornhecke ein. Sie halten einen Kürbis, der auf dem Felde liegt,
für ein El, wollen wissen, welcher Vogel es gelegt hat, und beauftragen des¬
halb ihren Bürgermeister, es auszubrüten, dieser setzt sich darüber, nach einer
Weile entrollt ihm der Kürbis bergab in einen Busch, wo er einen Hasen
aufscheucht, den die Schildbürger für einen Esel halten, sodaß sie meinen, der
Kürbis müsse ein Eselset gewesen sein. Sie brauchen gutes Wetter und schicken
darnach in die Apotheke, wo man den Boten eine Schachtel, in der etwas
summt, als das Verlangte angiebt. Es wird ihm verboten, sie zu öffnen,
auf dem Wege läßt ihm die Neugier keine Ruhe, er macht die Schachtel auf.


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[0309] entnommen wurden, wo dann gewöhnlich die eine und die andere Neben¬ sache vom Original abwich, der Grundgedanke aber derselbe war. Ein paar Beispiele werden genügen, um dieß darzuthun. Von den Ellikonern im Kanton Zürich wird erzählt, daß sie, als ihre Felder von wilden Schweinen verwüstet wurden und sie die letzteren nicht wegzubringen im Stande waren, den Rath erhielten, Eier unter sie auswerfen zu lassen, daß sie in Verlegen¬ heit waren, wie dieß der damit zu Beauftragende ohne Zertreten des Ge¬ treides bewerkstelligen könnte, und daß sie das Auskunftsmittel fanden, ihn von vier Männern auf einer Bahre über die Felder hin- und hertragen zu lassen. Diese Geschichte findet sich bereits bei Bebel, nur wird sie hier von den schwäbischen Mundingern erzählt, und die Schweine sind Störche. Die¬ selben Mundinger läuten, als sie zum ersten Mal einen Krebs sehen, erschrocken Sturm, ein vielgereister Schneider, der etwas von Scheeren verstehen muß, wird über das Ungeheuer befragt, er meint, wenn es nicht eine Turteltaube sei, so werde es wohl ein Hirsch sein, zuletzt wird der Krebs mit Büchsen todtgeschossen. Von den Bauern zu Thaten in Holstein wird ganz dasselbe berichtet, nur ist das Ungethüm kein Krebs, sondern ein Frosch. Die Sal- vanser in Tirol lassen Bauholz vom Berge an einem Seile hinab, dabei entrollt ihnen einer der Stämme, sie finden, daß die Sache sich so leichter macht und kommen dadurch zu dem Beschluß, die bereits unten liegenden Stämme wieder herauszuschaffen; sie vergessen beim Bau ihres Rathhauses die Fenster und stellen nun Säcke auf, um Sonnenschein aufzufangen und hineinzutragen; diese Schwänke stehen aber schon im Buche von den Lalen- bürgern. Andere beliebte und besonders verbreitete Geschtchtchen der Necklust des Bolkshumors sind folgende. Die Betreffenden haben Kuhsamen gesäet oder gesalzne Heringe in einen Teich gesetzt, damit sie sich vermehren, oder auch ein Wasserthier zu ersäufen versucht. Sie haben den Mondschein sangen oder aus dem Wasser schneiden wollen. Sie finden eine Sense bei einer abge¬ mähten Wiese, halten sie für ein grasfressendes Thier und zäumen sie, als einer von ihnen der Sense auf den Stiel tritt und sie ihm in den Hals fährt, mit einer Dornhecke ein. Sie halten einen Kürbis, der auf dem Felde liegt, für ein El, wollen wissen, welcher Vogel es gelegt hat, und beauftragen des¬ halb ihren Bürgermeister, es auszubrüten, dieser setzt sich darüber, nach einer Weile entrollt ihm der Kürbis bergab in einen Busch, wo er einen Hasen aufscheucht, den die Schildbürger für einen Esel halten, sodaß sie meinen, der Kürbis müsse ein Eselset gewesen sein. Sie brauchen gutes Wetter und schicken darnach in die Apotheke, wo man den Boten eine Schachtel, in der etwas summt, als das Verlangte angiebt. Es wird ihm verboten, sie zu öffnen, auf dem Wege läßt ihm die Neugier keine Ruhe, er macht die Schachtel auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/309>, abgerufen am 27.09.2024.