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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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gange vertrauter Freunde, über alles. Für das Rauschende und Blendende
mangelte ihm der Sinn. Umgekehrt jagte er mit der Leidenschaft eines Be¬
wunderers allem Zarten und sinnigen nach, was sich irgendwo als ächt und
farbehaltig entdecken ließ in Natur und Kunst. Die anspruchlose und tiefe
Seelenschönheit in den Werken altdeutscher Maler, die tiefsinnige Erhabenheit
der gothischen Dome wußte er zu schätzen und zu verstehen wie nur einer,
und er war von Jugend auf beflissen, sich eine nicht unansehnliche Sammlung
von Kupferstichen dieser Art zu erwerben. Und einen eben so feinen Sinn
bekundete er in der Auffassung von Naturschönheiten. Mit einem Worte
durfte man ihn eine vorzugsweise zartbesaitete Seele nennen, und zwar
dieses in späterer Zeit leider in einem durch Kränklichkeit noch gesteigerten
Grade. Ob es hierbei die Krankheit war, welche diese Feinheit des Gefühls
auf ihren Gipfel steigerte, oder ob eine durch geistige Anspannung zu dieser
Höhe empor gesteigerte Schärfe des Gefühls die Bande der Gesundheit all-
wälig lockerte, ist schwer zu sagen.

So viel ist gewiß, daß sich sein von Natur schwächlicher Körper allmälig
durch Abhärtung zu einem erfreulichen Grade der Gesundheit empor gearbei¬
tet hatte. Zwar hoch, schlank und schmächtig gebaut, waren seine Glieder
doch mit erheblicher Kraft ausgerüstet. So z. B. hatte er sich durch vieles
Fußwandern in seiner Jugend einen solchenSchritt auf Fußreisen angewöhnt,
daß ein minder geübter Fußgänger neben ihm immer in die Gefahr kam zu
^lahmen. Er kannte im Thüringer Walde jedes Thal, jeden Berggipfel; er
hatte alle diese Gegenden wiederholt durchwandert und durchklommen. Eben
hierdurch war in ihm jener frische Natursinn geweckt worden, welcher ihn
Zeit Lebens nie verlassen hat. Er faßte sowohl die Reize der Natur, als die
Launen der Witterung mit einer Schärfe und Deutlichkeit auf, welche ihn,
seinen in dieser Beziehung stumpferen Freunden gegenüber, als ein frisches
Naturkind, als einen den Einflüssen der Naturwelt unmittelbar näher stehen¬
den Erdensohn erscheinen ließ. Hiermit hing ebenfalls seine Neigung zu
Wetterbeobachtungen zusammen, verbunden mit einer poetischen Reizbarkeit
sür solchen Erscheinungswechsel, welche an das hierfür ebenfalls sehr empfäng¬
liche dichterische Naturell seines Vaters, und eben so sehr auch an Goethe's
wissenschaftliche Beobachtungslust für meteorische Erscheinungen erinnern konnte.
Späterhin freilich verlor sich die anfängliche Elasticität des Jünglings nur
Zu bald in Folge der übertrieben anstrengenden Arbeiten, welche sich der junge
Mann auferlegte, und in Folge einer solchen geistigen Beschaffenheit, als zu
welcher er sich von Anfang an rigoristisch auferzogen hatte. So wie man im
tropischen Klima nicht ungestraft unter Palmen wandelt, ähnlich wird auch
ein solches geistig überhitztes Treibhausklima uicht ungestraft ertragen. Denn
er verband mit seinen philologischen Facharbeiten, denen er als Untversitäts-


gange vertrauter Freunde, über alles. Für das Rauschende und Blendende
mangelte ihm der Sinn. Umgekehrt jagte er mit der Leidenschaft eines Be¬
wunderers allem Zarten und sinnigen nach, was sich irgendwo als ächt und
farbehaltig entdecken ließ in Natur und Kunst. Die anspruchlose und tiefe
Seelenschönheit in den Werken altdeutscher Maler, die tiefsinnige Erhabenheit
der gothischen Dome wußte er zu schätzen und zu verstehen wie nur einer,
und er war von Jugend auf beflissen, sich eine nicht unansehnliche Sammlung
von Kupferstichen dieser Art zu erwerben. Und einen eben so feinen Sinn
bekundete er in der Auffassung von Naturschönheiten. Mit einem Worte
durfte man ihn eine vorzugsweise zartbesaitete Seele nennen, und zwar
dieses in späterer Zeit leider in einem durch Kränklichkeit noch gesteigerten
Grade. Ob es hierbei die Krankheit war, welche diese Feinheit des Gefühls
auf ihren Gipfel steigerte, oder ob eine durch geistige Anspannung zu dieser
Höhe empor gesteigerte Schärfe des Gefühls die Bande der Gesundheit all-
wälig lockerte, ist schwer zu sagen.

So viel ist gewiß, daß sich sein von Natur schwächlicher Körper allmälig
durch Abhärtung zu einem erfreulichen Grade der Gesundheit empor gearbei¬
tet hatte. Zwar hoch, schlank und schmächtig gebaut, waren seine Glieder
doch mit erheblicher Kraft ausgerüstet. So z. B. hatte er sich durch vieles
Fußwandern in seiner Jugend einen solchenSchritt auf Fußreisen angewöhnt,
daß ein minder geübter Fußgänger neben ihm immer in die Gefahr kam zu
^lahmen. Er kannte im Thüringer Walde jedes Thal, jeden Berggipfel; er
hatte alle diese Gegenden wiederholt durchwandert und durchklommen. Eben
hierdurch war in ihm jener frische Natursinn geweckt worden, welcher ihn
Zeit Lebens nie verlassen hat. Er faßte sowohl die Reize der Natur, als die
Launen der Witterung mit einer Schärfe und Deutlichkeit auf, welche ihn,
seinen in dieser Beziehung stumpferen Freunden gegenüber, als ein frisches
Naturkind, als einen den Einflüssen der Naturwelt unmittelbar näher stehen¬
den Erdensohn erscheinen ließ. Hiermit hing ebenfalls seine Neigung zu
Wetterbeobachtungen zusammen, verbunden mit einer poetischen Reizbarkeit
sür solchen Erscheinungswechsel, welche an das hierfür ebenfalls sehr empfäng¬
liche dichterische Naturell seines Vaters, und eben so sehr auch an Goethe's
wissenschaftliche Beobachtungslust für meteorische Erscheinungen erinnern konnte.
Späterhin freilich verlor sich die anfängliche Elasticität des Jünglings nur
Zu bald in Folge der übertrieben anstrengenden Arbeiten, welche sich der junge
Mann auferlegte, und in Folge einer solchen geistigen Beschaffenheit, als zu
welcher er sich von Anfang an rigoristisch auferzogen hatte. So wie man im
tropischen Klima nicht ungestraft unter Palmen wandelt, ähnlich wird auch
ein solches geistig überhitztes Treibhausklima uicht ungestraft ertragen. Denn
er verband mit seinen philologischen Facharbeiten, denen er als Untversitäts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/223>, abgerufen am 27.09.2024.