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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Trias. Wangenheim hat in seiner hinterlassenen Schrift "das Dreikönigs-
bündniß vom 26. Mai 1849" (herausgegeben nach seinem Tode von Michaelis.
Stuttgart 1851) im Interesse seines Planes geschrieben, welcher bis tief in
die alte romantische Periode hineinreichte, wo er als Curator der Universität
Tübingen (1811) durch seinen freundschaftlichen Umgang mit Eschenmaier zum
Naturphtlosophen wurde, was er auch Zeit seines Lebens mit Eifer geblieben
ist. Um so mehr fand Heinrich Rückert ohne Zweifel in sich den entschiedenen
Antrieb, nicht in Wangenheim's, sondern in Stockmar's Fußtapfen zu treten.
Hiermit hing es auch wohl zusammen, daß er bei einer Angelegenheit, welche
damals die große Menge der Liberalen sehr in Feuer setzte, nämlich der Be¬
freiung Schleswig-Holsteins vom dänischen Joche, sich ein wenig kühler ver¬
hielt, als die meisten anderen. Er vermochte sich nur gelinde zu erwärmen
für eine Bevölkerung, welche sich so wenig entschieden in ihren Entschlüssen
zeigte. Waren sie unbedingt entschlossen, deutsch zu werden, -- so war seine
Meinung -- so mußten sie dem Könige von Preußen die Krone über
ihr Land antragen; und er meinte, daß Preußen ihnen dann geholfen
haben würde.

So harmlos und behaglich, wie vor dem Revolutionsjahre, gestaltete sich
hinterher das Leben in Jena nicht wieder. Im Uebrigen wirkte die natur¬
gemäß eintretende Reaction in der großen Politik auf das dortige Universi¬
tätsleben keinesweges ungünstig ein. Denn verglichen mit mancherlei hartem
Druck, welcher anderswo auf Männern schwer lastete, die sich etwa durch
Theilnahme am Stuttgarter Rumpfparlamente oder ähnliche Haltung hervor¬
gethan hatten, herrschte im Weimarschen Lande durchweg ein milder und ver¬
söhnlicher Geist unter dem Regiments des weisen und liberalen Ministeriums
Watzdorf; derselbe machte sich für die Universität insbesondere geltend durch
den in demselben Sinne die Universitätsangelegenheiten erfassender Curator
Seebeck, welchem Jena späterhin auch unter anderm die wesentlichen Ver¬
besserungen eines bisher entbehrten geräumigen Universitätsgebäudes und eines
hinreichenden und stattlichen Bibliotheksbaues zu verdanken gehabt hat.
Unter solchen günstigen Loealzuständen trat das Gefühl von dem Nutzen
freier geistiger Zufluchtstätten in Zeiten allgemeinen politischen Druckes aus¬
nehmend stark und befriedigend hervor, besonders von dem Zeitpunkte an,
wo auch die constitutionelle Partei in die Gefahr gerieth, von den in der
großen Politik das Ruder führenden reaktionären Gewalten für destructiv und
unsittlich gehalten zu werden.

Mitten in jenen Tagen höchster politischer Aufregung und Spannung
verlobte sich Rückert. dem Drange einer lange gehegten Neigung folgend, mit
Marie Stein, unserer lieben Pflegetochter und Nichte. Sie war die älteste
Tochter des in einer Typhusepidemie in der Festung Friedrichsort in Holstein


Trias. Wangenheim hat in seiner hinterlassenen Schrift „das Dreikönigs-
bündniß vom 26. Mai 1849" (herausgegeben nach seinem Tode von Michaelis.
Stuttgart 1851) im Interesse seines Planes geschrieben, welcher bis tief in
die alte romantische Periode hineinreichte, wo er als Curator der Universität
Tübingen (1811) durch seinen freundschaftlichen Umgang mit Eschenmaier zum
Naturphtlosophen wurde, was er auch Zeit seines Lebens mit Eifer geblieben
ist. Um so mehr fand Heinrich Rückert ohne Zweifel in sich den entschiedenen
Antrieb, nicht in Wangenheim's, sondern in Stockmar's Fußtapfen zu treten.
Hiermit hing es auch wohl zusammen, daß er bei einer Angelegenheit, welche
damals die große Menge der Liberalen sehr in Feuer setzte, nämlich der Be¬
freiung Schleswig-Holsteins vom dänischen Joche, sich ein wenig kühler ver¬
hielt, als die meisten anderen. Er vermochte sich nur gelinde zu erwärmen
für eine Bevölkerung, welche sich so wenig entschieden in ihren Entschlüssen
zeigte. Waren sie unbedingt entschlossen, deutsch zu werden, — so war seine
Meinung — so mußten sie dem Könige von Preußen die Krone über
ihr Land antragen; und er meinte, daß Preußen ihnen dann geholfen
haben würde.

So harmlos und behaglich, wie vor dem Revolutionsjahre, gestaltete sich
hinterher das Leben in Jena nicht wieder. Im Uebrigen wirkte die natur¬
gemäß eintretende Reaction in der großen Politik auf das dortige Universi¬
tätsleben keinesweges ungünstig ein. Denn verglichen mit mancherlei hartem
Druck, welcher anderswo auf Männern schwer lastete, die sich etwa durch
Theilnahme am Stuttgarter Rumpfparlamente oder ähnliche Haltung hervor¬
gethan hatten, herrschte im Weimarschen Lande durchweg ein milder und ver¬
söhnlicher Geist unter dem Regiments des weisen und liberalen Ministeriums
Watzdorf; derselbe machte sich für die Universität insbesondere geltend durch
den in demselben Sinne die Universitätsangelegenheiten erfassender Curator
Seebeck, welchem Jena späterhin auch unter anderm die wesentlichen Ver¬
besserungen eines bisher entbehrten geräumigen Universitätsgebäudes und eines
hinreichenden und stattlichen Bibliotheksbaues zu verdanken gehabt hat.
Unter solchen günstigen Loealzuständen trat das Gefühl von dem Nutzen
freier geistiger Zufluchtstätten in Zeiten allgemeinen politischen Druckes aus¬
nehmend stark und befriedigend hervor, besonders von dem Zeitpunkte an,
wo auch die constitutionelle Partei in die Gefahr gerieth, von den in der
großen Politik das Ruder führenden reaktionären Gewalten für destructiv und
unsittlich gehalten zu werden.

Mitten in jenen Tagen höchster politischer Aufregung und Spannung
verlobte sich Rückert. dem Drange einer lange gehegten Neigung folgend, mit
Marie Stein, unserer lieben Pflegetochter und Nichte. Sie war die älteste
Tochter des in einer Typhusepidemie in der Festung Friedrichsort in Holstein


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[0215] Trias. Wangenheim hat in seiner hinterlassenen Schrift „das Dreikönigs- bündniß vom 26. Mai 1849" (herausgegeben nach seinem Tode von Michaelis. Stuttgart 1851) im Interesse seines Planes geschrieben, welcher bis tief in die alte romantische Periode hineinreichte, wo er als Curator der Universität Tübingen (1811) durch seinen freundschaftlichen Umgang mit Eschenmaier zum Naturphtlosophen wurde, was er auch Zeit seines Lebens mit Eifer geblieben ist. Um so mehr fand Heinrich Rückert ohne Zweifel in sich den entschiedenen Antrieb, nicht in Wangenheim's, sondern in Stockmar's Fußtapfen zu treten. Hiermit hing es auch wohl zusammen, daß er bei einer Angelegenheit, welche damals die große Menge der Liberalen sehr in Feuer setzte, nämlich der Be¬ freiung Schleswig-Holsteins vom dänischen Joche, sich ein wenig kühler ver¬ hielt, als die meisten anderen. Er vermochte sich nur gelinde zu erwärmen für eine Bevölkerung, welche sich so wenig entschieden in ihren Entschlüssen zeigte. Waren sie unbedingt entschlossen, deutsch zu werden, — so war seine Meinung — so mußten sie dem Könige von Preußen die Krone über ihr Land antragen; und er meinte, daß Preußen ihnen dann geholfen haben würde. So harmlos und behaglich, wie vor dem Revolutionsjahre, gestaltete sich hinterher das Leben in Jena nicht wieder. Im Uebrigen wirkte die natur¬ gemäß eintretende Reaction in der großen Politik auf das dortige Universi¬ tätsleben keinesweges ungünstig ein. Denn verglichen mit mancherlei hartem Druck, welcher anderswo auf Männern schwer lastete, die sich etwa durch Theilnahme am Stuttgarter Rumpfparlamente oder ähnliche Haltung hervor¬ gethan hatten, herrschte im Weimarschen Lande durchweg ein milder und ver¬ söhnlicher Geist unter dem Regiments des weisen und liberalen Ministeriums Watzdorf; derselbe machte sich für die Universität insbesondere geltend durch den in demselben Sinne die Universitätsangelegenheiten erfassender Curator Seebeck, welchem Jena späterhin auch unter anderm die wesentlichen Ver¬ besserungen eines bisher entbehrten geräumigen Universitätsgebäudes und eines hinreichenden und stattlichen Bibliotheksbaues zu verdanken gehabt hat. Unter solchen günstigen Loealzuständen trat das Gefühl von dem Nutzen freier geistiger Zufluchtstätten in Zeiten allgemeinen politischen Druckes aus¬ nehmend stark und befriedigend hervor, besonders von dem Zeitpunkte an, wo auch die constitutionelle Partei in die Gefahr gerieth, von den in der großen Politik das Ruder führenden reaktionären Gewalten für destructiv und unsittlich gehalten zu werden. Mitten in jenen Tagen höchster politischer Aufregung und Spannung verlobte sich Rückert. dem Drange einer lange gehegten Neigung folgend, mit Marie Stein, unserer lieben Pflegetochter und Nichte. Sie war die älteste Tochter des in einer Typhusepidemie in der Festung Friedrichsort in Holstein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/215>, abgerufen am 27.09.2024.