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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Zeit vorläufig gestellt hat. Gegen Ende des vorigen Jahres sanken dieselben
aber an der Berliner Börse noch unter das gewohnte Maß. Der 2. Januar,
welchen das Dotationsgesetz von 1873 in Folge nachlässiger Berathung als
Ueberweisungstag festgesetzt hatte, war ein Sonntag. Am 3. Januar gingen
die Course der Eisenbahnprioritäten an der Berliner Börse ganz plötzlich in
die Höhe. Nun fragt sich, welcher Cours soll für die Ueberweisung gelten:
der vom 31. December oder der vom 3. Januar. Dem Gesetz, dessen nach¬
lässige Fassung eine Unmöglichkeit verlangt, entsprechen beide Tage nicht.
Weit wichtiger ist aber die Frage: wer hat am 31. December die Course ge¬
worfen, und wer am 3. Januar getrieben? Als Werfer bezeichnet man solche
Börsenoperateure, die den Finanzminister gern chieaniren möchten, und er hat
solcher Gönner genug, nicht etwa durch seine Fehler, sondern durch seine
Verdienste. Wer aber der Treiber gewesen, dem wollte man im Abgeordne¬
tenhause gern auf den Grund kommen, ohne es am 21. Januar zu errei¬
chen. Der Finanzminister stellte jeden Einfluß seinerseits in Abrede, meinte
aber, daß ein ähnliches Vorgehen nicht in allen Fällen für unberechtigt gel¬
ten könne.

Wir halten dafür, daß es ein unverzeihlicher Fehler war, die Ausant-
wortung großer Summen nach Tagescours zu bestimmen. In diesen Fehler
theilen sich die Abgeordneten mit dem Finanzminister. Verständigerweise
sollten die Urheber des Fehlers sich nun auch in die Folgen desselben theilen
und einander nichts vorwerfen. Der Fehler des Finanzministers ist, daß er
jene Gesetzesbestimmungen nicht zurückwies. Daß er oder eine ihm unterge¬
bene Behörde sich nicht gefallen lassen wollte, die Staatsfinanzen dolos be¬
schädigt zu sehen, und gegen verbotene Waffen sich mit verbotenen Waffen
wehrte, darin erblicken wir zwar keine großartige Haltung, aber wir können
auch kein absonderliches Verbrechen darin entdecken. Es steht jedoch dahin,
ob die Sache mit dem Mantel der Liebe zugedeckt wird, wie sie es ertrüge.
Vielmehr rast der See und will ein Opfer haben.

Die Sitzung vom 21. Januar war interessant, aber unerfreulich, dafür
war die Sitzung vom 22. Januar, welche vorläufig bis zum erfolgten Schluß
des Reichstags die letzte bleiben wird, interessant und erfreulich. Seit dem
am 18. December v. I. erfolgten Schluß der Generalsynode hatte verlautet,
die Generalsynodalordnung werde ganz so wie die Ordnung der unteren
Synodalstufen im Jahre 1873 zunächst vom König als kirchliche Ordnung,
verkündigt, alsdann dem Landtag zur staatsgesetzlichen Sanction vorgelegt
werden, soweit solche nöthig. Als dieser Weg von den Blättern fortschritt¬
licher Richtung immer heftiger bemängelt wurde, brachte das Organ der frei-
conservativen Partei, "die Post," am 10. Januar einen Leitartikel, worin sie aus
den stenographischen Berichten der Generalsynode nachwies, daß der Cultus-


Zeit vorläufig gestellt hat. Gegen Ende des vorigen Jahres sanken dieselben
aber an der Berliner Börse noch unter das gewohnte Maß. Der 2. Januar,
welchen das Dotationsgesetz von 1873 in Folge nachlässiger Berathung als
Ueberweisungstag festgesetzt hatte, war ein Sonntag. Am 3. Januar gingen
die Course der Eisenbahnprioritäten an der Berliner Börse ganz plötzlich in
die Höhe. Nun fragt sich, welcher Cours soll für die Ueberweisung gelten:
der vom 31. December oder der vom 3. Januar. Dem Gesetz, dessen nach¬
lässige Fassung eine Unmöglichkeit verlangt, entsprechen beide Tage nicht.
Weit wichtiger ist aber die Frage: wer hat am 31. December die Course ge¬
worfen, und wer am 3. Januar getrieben? Als Werfer bezeichnet man solche
Börsenoperateure, die den Finanzminister gern chieaniren möchten, und er hat
solcher Gönner genug, nicht etwa durch seine Fehler, sondern durch seine
Verdienste. Wer aber der Treiber gewesen, dem wollte man im Abgeordne¬
tenhause gern auf den Grund kommen, ohne es am 21. Januar zu errei¬
chen. Der Finanzminister stellte jeden Einfluß seinerseits in Abrede, meinte
aber, daß ein ähnliches Vorgehen nicht in allen Fällen für unberechtigt gel¬
ten könne.

Wir halten dafür, daß es ein unverzeihlicher Fehler war, die Ausant-
wortung großer Summen nach Tagescours zu bestimmen. In diesen Fehler
theilen sich die Abgeordneten mit dem Finanzminister. Verständigerweise
sollten die Urheber des Fehlers sich nun auch in die Folgen desselben theilen
und einander nichts vorwerfen. Der Fehler des Finanzministers ist, daß er
jene Gesetzesbestimmungen nicht zurückwies. Daß er oder eine ihm unterge¬
bene Behörde sich nicht gefallen lassen wollte, die Staatsfinanzen dolos be¬
schädigt zu sehen, und gegen verbotene Waffen sich mit verbotenen Waffen
wehrte, darin erblicken wir zwar keine großartige Haltung, aber wir können
auch kein absonderliches Verbrechen darin entdecken. Es steht jedoch dahin,
ob die Sache mit dem Mantel der Liebe zugedeckt wird, wie sie es ertrüge.
Vielmehr rast der See und will ein Opfer haben.

Die Sitzung vom 21. Januar war interessant, aber unerfreulich, dafür
war die Sitzung vom 22. Januar, welche vorläufig bis zum erfolgten Schluß
des Reichstags die letzte bleiben wird, interessant und erfreulich. Seit dem
am 18. December v. I. erfolgten Schluß der Generalsynode hatte verlautet,
die Generalsynodalordnung werde ganz so wie die Ordnung der unteren
Synodalstufen im Jahre 1873 zunächst vom König als kirchliche Ordnung,
verkündigt, alsdann dem Landtag zur staatsgesetzlichen Sanction vorgelegt
werden, soweit solche nöthig. Als dieser Weg von den Blättern fortschritt¬
licher Richtung immer heftiger bemängelt wurde, brachte das Organ der frei-
conservativen Partei, „die Post," am 10. Januar einen Leitartikel, worin sie aus
den stenographischen Berichten der Generalsynode nachwies, daß der Cultus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/200>, abgerufen am 27.09.2024.