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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ver bedeutsame Vorbehalt ist in dem Paragraph 34 der Kirchenverfassung
gemacht, daß eine Ausschließung vom kirchlichen Wahlrecht wegen Verletzung
besonderer kirchlicher Pflichten durch ein künftiges Kirchengesetz soll eingeführt
werden können. Die kirchlichen Erfordernisse der passiven Wahlfähigkeit
zum Laienamt in der Kirche sind ebenfalls so gut wie keine, seitdem die
Instruction des Oberkirchenraths vom 31. October 1873 den § 36 der Kirchen¬
verfassung vom 10. September des genannten Jahres so ausgelegt hat, daß
unter beharrlicher Fernhaltung von dem öffentlichen Gottesdienst und von
den Sakramenten, wie sie den Verlust der passiven Wahlfähigkeit zur Folge
haben soll, nur zu verstehen sei die andauernde und geflissentliche Fern¬
haltung, welche sich nur aus der eigenen Erklärung des Betreffenden er¬
geben kann. Indeß kann kaum Jemand den Beruf fühlen, die Urheber der
Kirchenverfassung vom 10. September wegen der geringen Erfordernisse des
activen und passiven kirchlichen Wahlrechtes zutadeln. So viel ist einleuch¬
tend, daß diese Erfordernisse in nicht ferner Zeit schärfer und inhaltvoller
gefaßt werden müssen. Allein dies wird die Arbeit der Kirche sein, wenn
sie ihre neuen Versassungsorgane besitzt. In der vorher genannten Schrift,
"das deutsche Reich und die kirchliche Frage", welche vor Einberufung der
außerordentlichen Generalsynode vollendet worden, habe ich die Ansicht aus¬
gesprochen, daß bei Berathung der Generalsynodalordnung, welche auch die
Bestimmungen über die Bildung der ordentlichen Generalsynode enthalten
mußte, bereits auf eine genaue Fassung der Zugehörigkeitsbedingungen zur
evangelischen Landeskirche werde zu dringen sein. Diese Voraussicht hat sich
nicht erfüllt. Die außerordentliche Generalsynode hat sich sorgfältig vor der
Entscheidung irgend einer Frage des innern Kirchenrechtes gehütet und sich
auf die äußere Verfassungsordnung und die Competenzbestimmung der Organe
derselben beschränkt. Es ist dies in der berechtigten Absicht geschehen, vor
Allem das Verfassungswerk äußerlich zu Stande zu bringen und die Fragen
des innern Kirchenrechtes den definitiven Organen der Kirche zu überlassen.
Aber jene Aufgabe selbst, die Bedingungen der Zugehörigkeit zur evangelischen
Kirche und der Fähigkeit zu ihren Rechten zu bestimmen, ist nur vertagt,
nicht gelöst.

Diese Bedingungen waren es also nicht, an deren Fassung die liberale
öffentliche Meinung Anstoß nehmen konnte. Anstoß wurde aber genommen
an der Bildung der repräsentativen Organe der höheren Stufen. Mit der
Bildung der lokalen Gemeindeorgane mußte man zufrieden sein; noch weniger
von Seite der Kirche und noch mehr von Seiten des Liberalismus zu ver¬
langen wäre in der That unmöglich gewesen. Aber der letztere war unzu¬
frieden, daß die repräsentativen Ocgcme der höheren Stufen, nämlich Kreis¬
synode, Provinzialsynode, Generalsynode, nicht immer wieder durch Urwcchlen


ver bedeutsame Vorbehalt ist in dem Paragraph 34 der Kirchenverfassung
gemacht, daß eine Ausschließung vom kirchlichen Wahlrecht wegen Verletzung
besonderer kirchlicher Pflichten durch ein künftiges Kirchengesetz soll eingeführt
werden können. Die kirchlichen Erfordernisse der passiven Wahlfähigkeit
zum Laienamt in der Kirche sind ebenfalls so gut wie keine, seitdem die
Instruction des Oberkirchenraths vom 31. October 1873 den § 36 der Kirchen¬
verfassung vom 10. September des genannten Jahres so ausgelegt hat, daß
unter beharrlicher Fernhaltung von dem öffentlichen Gottesdienst und von
den Sakramenten, wie sie den Verlust der passiven Wahlfähigkeit zur Folge
haben soll, nur zu verstehen sei die andauernde und geflissentliche Fern¬
haltung, welche sich nur aus der eigenen Erklärung des Betreffenden er¬
geben kann. Indeß kann kaum Jemand den Beruf fühlen, die Urheber der
Kirchenverfassung vom 10. September wegen der geringen Erfordernisse des
activen und passiven kirchlichen Wahlrechtes zutadeln. So viel ist einleuch¬
tend, daß diese Erfordernisse in nicht ferner Zeit schärfer und inhaltvoller
gefaßt werden müssen. Allein dies wird die Arbeit der Kirche sein, wenn
sie ihre neuen Versassungsorgane besitzt. In der vorher genannten Schrift,
„das deutsche Reich und die kirchliche Frage", welche vor Einberufung der
außerordentlichen Generalsynode vollendet worden, habe ich die Ansicht aus¬
gesprochen, daß bei Berathung der Generalsynodalordnung, welche auch die
Bestimmungen über die Bildung der ordentlichen Generalsynode enthalten
mußte, bereits auf eine genaue Fassung der Zugehörigkeitsbedingungen zur
evangelischen Landeskirche werde zu dringen sein. Diese Voraussicht hat sich
nicht erfüllt. Die außerordentliche Generalsynode hat sich sorgfältig vor der
Entscheidung irgend einer Frage des innern Kirchenrechtes gehütet und sich
auf die äußere Verfassungsordnung und die Competenzbestimmung der Organe
derselben beschränkt. Es ist dies in der berechtigten Absicht geschehen, vor
Allem das Verfassungswerk äußerlich zu Stande zu bringen und die Fragen
des innern Kirchenrechtes den definitiven Organen der Kirche zu überlassen.
Aber jene Aufgabe selbst, die Bedingungen der Zugehörigkeit zur evangelischen
Kirche und der Fähigkeit zu ihren Rechten zu bestimmen, ist nur vertagt,
nicht gelöst.

Diese Bedingungen waren es also nicht, an deren Fassung die liberale
öffentliche Meinung Anstoß nehmen konnte. Anstoß wurde aber genommen
an der Bildung der repräsentativen Organe der höheren Stufen. Mit der
Bildung der lokalen Gemeindeorgane mußte man zufrieden sein; noch weniger
von Seite der Kirche und noch mehr von Seiten des Liberalismus zu ver¬
langen wäre in der That unmöglich gewesen. Aber der letztere war unzu¬
frieden, daß die repräsentativen Ocgcme der höheren Stufen, nämlich Kreis¬
synode, Provinzialsynode, Generalsynode, nicht immer wieder durch Urwcchlen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/152>, abgerufen am 27.09.2024.