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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ragendem Kinn, in allen Zügen voll kriegerischen Ernstes. Sein unaufhörlich
arbeitender Geist hatte große Lust an jenen Wundern des Alterthums, dem
glücklichen Sohne des macedonischen Philipp, dem cannensischen Sieger, dem
einzigen Caesar, und entwarf mit größter Kühnheit weit aussehende Pläne,
die er nicht sowohl sich deutlich machte, als mit Feuer ergriff. Beharrlich
die Schwierigkeiten zu überwinden, verwickelte er sich immer mehr. Nachdem
er in seiner Jugend gegen den herrlichsten Ritter (Messire Jaques de Lalain)
im Waffenspiel und. an der Seite seines Vaters, zweimal in der Schlacht
gestritten, alsdann, bei Montlhery, über den König von Frankreich den
Frieden von Constans erkämpft, Dinant vertilgt und den Stolz von Genf
gebrochen, hielt er nichts für unmöglich, folgte nur sich, gab seinen Willen
zum Gesetz und hielt einen allezeit kriegerischen Stand

Voll der gißten Projecte. für deren systematische Behandlung er nicht
Fassungskraft genug besaß, wußte er. bei Aufwallung seiner Leidenschaften,
sich öfters nicht zu helfen. Dann warf er sich in das Geschäft, welches er
hätte führen sollen; dazu gab ihm langes Glück den Muth.

An den Alten liebte er Alles außerordentlich, und verstand nicht nur.
neben fünf anderen Sprachen, auch die lateinische, sondern ließ sich täglich
zwei Stunden lang die römischen Historiker vorlesen. Alexander's erhabenes
Bild hatte er immer vor Augen. Denn es war sein hoher Plan, wie dieser
an den Persern die Griechen und ihre Götter gerochen, so, wenn er einst seine
Herrschaft von der Nordsee bis ans Mittelmeer verbreitet, an der Spitze der
abendländischen Christenheit, mit aller Macht von Burgund, eine größere
Unternehmung, nämlich die Befreiung des östlichen Europas von den Türken,
auszuführen. . .

Wo kein Feind nahe war, gestattete er wie Caesar viel. Er liebte seine
Leute. Waren sie krank oder verwundet, so sorgte er für sie wie ein nater.
Mit so viel größerem Recht war er gegen Treulosigkeit streng und forderte
im Krieg um so ernsthafter von jedem seine Pflicht, da er täglich der erste
auf dem Platz war, die wichtigeren Posten selbst in Augenschein nahm, der
letzte und unausgekleidet sich dem Schlaf überließ. Karl von Burgund hatte
Feuer, Muth, Arbeitsamkeit in allen seinen Zeiten ... Das Glück ver¬
blendete ihn . . . Das Unglück erhärtete ihn. Er unterlag ihm nicht; aber
er fiel." "

Dieser wohl etwas idealisirten Darstellung des berühmten Schweizers
reihe ich diejenige eines preußischen Generals an. Heinrich von Brandt sagt
in seiner "Geschichte des Kriegswesens im Mittelalter":r

"Karl erscheint in den Zügen gegen die Helvetier als ein schlechte
Heerführer, wenn man ihm gleich das Verdienst nicht absprechen darf, der


ragendem Kinn, in allen Zügen voll kriegerischen Ernstes. Sein unaufhörlich
arbeitender Geist hatte große Lust an jenen Wundern des Alterthums, dem
glücklichen Sohne des macedonischen Philipp, dem cannensischen Sieger, dem
einzigen Caesar, und entwarf mit größter Kühnheit weit aussehende Pläne,
die er nicht sowohl sich deutlich machte, als mit Feuer ergriff. Beharrlich
die Schwierigkeiten zu überwinden, verwickelte er sich immer mehr. Nachdem
er in seiner Jugend gegen den herrlichsten Ritter (Messire Jaques de Lalain)
im Waffenspiel und. an der Seite seines Vaters, zweimal in der Schlacht
gestritten, alsdann, bei Montlhery, über den König von Frankreich den
Frieden von Constans erkämpft, Dinant vertilgt und den Stolz von Genf
gebrochen, hielt er nichts für unmöglich, folgte nur sich, gab seinen Willen
zum Gesetz und hielt einen allezeit kriegerischen Stand

Voll der gißten Projecte. für deren systematische Behandlung er nicht
Fassungskraft genug besaß, wußte er. bei Aufwallung seiner Leidenschaften,
sich öfters nicht zu helfen. Dann warf er sich in das Geschäft, welches er
hätte führen sollen; dazu gab ihm langes Glück den Muth.

An den Alten liebte er Alles außerordentlich, und verstand nicht nur.
neben fünf anderen Sprachen, auch die lateinische, sondern ließ sich täglich
zwei Stunden lang die römischen Historiker vorlesen. Alexander's erhabenes
Bild hatte er immer vor Augen. Denn es war sein hoher Plan, wie dieser
an den Persern die Griechen und ihre Götter gerochen, so, wenn er einst seine
Herrschaft von der Nordsee bis ans Mittelmeer verbreitet, an der Spitze der
abendländischen Christenheit, mit aller Macht von Burgund, eine größere
Unternehmung, nämlich die Befreiung des östlichen Europas von den Türken,
auszuführen. . .

Wo kein Feind nahe war, gestattete er wie Caesar viel. Er liebte seine
Leute. Waren sie krank oder verwundet, so sorgte er für sie wie ein nater.
Mit so viel größerem Recht war er gegen Treulosigkeit streng und forderte
im Krieg um so ernsthafter von jedem seine Pflicht, da er täglich der erste
auf dem Platz war, die wichtigeren Posten selbst in Augenschein nahm, der
letzte und unausgekleidet sich dem Schlaf überließ. Karl von Burgund hatte
Feuer, Muth, Arbeitsamkeit in allen seinen Zeiten ... Das Glück ver¬
blendete ihn . . . Das Unglück erhärtete ihn. Er unterlag ihm nicht; aber
er fiel." "

Dieser wohl etwas idealisirten Darstellung des berühmten Schweizers
reihe ich diejenige eines preußischen Generals an. Heinrich von Brandt sagt
in seiner „Geschichte des Kriegswesens im Mittelalter":r

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Heerführer, wenn man ihm gleich das Verdienst nicht absprechen darf, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/144>, abgerufen am 27.09.2024.