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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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in welchem wenige Burgunder dem Tode entrannen. Karl der Kühne blieb
so lange im Gefecht als noch irgend Widerstand möglich schien. Erst als
überall die Glieder durchbrochen waren und der letzte Rest seiner Garde, zu
einem unförmlichen Haufen zusammengeballt, keine Hoffnung längeren Kampfes
mehr bot, da suchte der Fürst westlich um Nancy herum zu entkommen.
"Nach Luxemburg!" soll sein letztes Befehlswort gewesen sein. Eben spornte
er seinen Streithengst, den Mohren, zu gewaltigem Satz, als ihn der schwere
Schlag eines Streithammers traf, und er wäre aus dem Sattel gesunken,
wenn ihn nicht der treue Hauptmann Cite wieder aufgerichtet, eine Liebesthat,
welche dieser mit seinem Leben bezahlen mußte. Jetzt sprengte Karl fast allein
weiter. Ein Edelknabe aus dem römischen Geschlechte der Colonna folgte
ihm in einiger Entfernung. Der sah, wie das Schlachtroß Karl's an dem
sumpfigen Rande des Laxonbaches strauchelte und der Herzog selbst, von Ver¬
folgern umringt, niederstürzte. In demselben Augenblick wurde auch Co-
lonna gefangen.

Noch bevor der Sieg für Rene' völlig entschieden war, hatte das vor
Nancy zurückgelassene kleine burgundische Belagerungscorps unter Zurück¬
lassung von Geschütz und Geräth den Rückzug angetreten, wahrscheinlich
durch den Wald gen Toul. Zugleich war die Besatzung ausgefallen und
hatte einen Theil des burgundischen Lagers in Brand gesteckt. Dennoch fand
sich in dem von der Wagenburg umschlossenen Haupttheile desselben eine
immerhin bedeutende Beute, namentlich 103 Geschütze nebst viel Bannern,
Fahnen und Rüstungen. Die prachtvollen Gobelins, mit denen das fürstliche
Lagerhaus behängt war. werden noch heut zu Nancy aufbewahrt.

Einen furchtbaren Anblick bot die Wahlstatt dar. An der Stelle, wo
der letzte Entscheioungskampf ausgefochten worden, lagen mehr als 4000
Burgunderleichen übereinandergethürmt. Vier Stunden weit waren Weg und
Feld mit Leichen besät; es sollen ihrer im Ganzen 7000 gewesen sein, während
die Zahl der Gefangenen (meist vornehmere Leute, von denen Lösegeld zu
erwarten war) S00 nicht überstieg. Ueber den Verlust der Sieger fehlt es
an glaubwürdigen Angaben. Allenthalben erhob sich jetzt das Landvolk, und
tagelang war ganz Lothringen Schauplatz grausamen Mordens und Plut"
derus der Burgunder und derer, die es mit ihnen gehalten.

Abends spät bei Fackelschein hielt der siegreiche Rene triumphirenden
Einzug in Nancy. Am Eingang seines Palastes hatte man ihm ein sonder°
bares Schauspiel bereitet durch den Aufbau von Schädeln aller der verschiedenen
Thierarten, welche den Belagerten in ihrer letzten Noth zu gezwungener Nah¬
rung gedient.'

Erst am folgenden Tage wurde mit Hilfe Colonna's die Leiche Karls
des Kühnen gefunden. Eingefroren lag sie im Bach und mußte mit Aerten


in welchem wenige Burgunder dem Tode entrannen. Karl der Kühne blieb
so lange im Gefecht als noch irgend Widerstand möglich schien. Erst als
überall die Glieder durchbrochen waren und der letzte Rest seiner Garde, zu
einem unförmlichen Haufen zusammengeballt, keine Hoffnung längeren Kampfes
mehr bot, da suchte der Fürst westlich um Nancy herum zu entkommen.
„Nach Luxemburg!" soll sein letztes Befehlswort gewesen sein. Eben spornte
er seinen Streithengst, den Mohren, zu gewaltigem Satz, als ihn der schwere
Schlag eines Streithammers traf, und er wäre aus dem Sattel gesunken,
wenn ihn nicht der treue Hauptmann Cite wieder aufgerichtet, eine Liebesthat,
welche dieser mit seinem Leben bezahlen mußte. Jetzt sprengte Karl fast allein
weiter. Ein Edelknabe aus dem römischen Geschlechte der Colonna folgte
ihm in einiger Entfernung. Der sah, wie das Schlachtroß Karl's an dem
sumpfigen Rande des Laxonbaches strauchelte und der Herzog selbst, von Ver¬
folgern umringt, niederstürzte. In demselben Augenblick wurde auch Co-
lonna gefangen.

Noch bevor der Sieg für Rene' völlig entschieden war, hatte das vor
Nancy zurückgelassene kleine burgundische Belagerungscorps unter Zurück¬
lassung von Geschütz und Geräth den Rückzug angetreten, wahrscheinlich
durch den Wald gen Toul. Zugleich war die Besatzung ausgefallen und
hatte einen Theil des burgundischen Lagers in Brand gesteckt. Dennoch fand
sich in dem von der Wagenburg umschlossenen Haupttheile desselben eine
immerhin bedeutende Beute, namentlich 103 Geschütze nebst viel Bannern,
Fahnen und Rüstungen. Die prachtvollen Gobelins, mit denen das fürstliche
Lagerhaus behängt war. werden noch heut zu Nancy aufbewahrt.

Einen furchtbaren Anblick bot die Wahlstatt dar. An der Stelle, wo
der letzte Entscheioungskampf ausgefochten worden, lagen mehr als 4000
Burgunderleichen übereinandergethürmt. Vier Stunden weit waren Weg und
Feld mit Leichen besät; es sollen ihrer im Ganzen 7000 gewesen sein, während
die Zahl der Gefangenen (meist vornehmere Leute, von denen Lösegeld zu
erwarten war) S00 nicht überstieg. Ueber den Verlust der Sieger fehlt es
an glaubwürdigen Angaben. Allenthalben erhob sich jetzt das Landvolk, und
tagelang war ganz Lothringen Schauplatz grausamen Mordens und Plut"
derus der Burgunder und derer, die es mit ihnen gehalten.

Abends spät bei Fackelschein hielt der siegreiche Rene triumphirenden
Einzug in Nancy. Am Eingang seines Palastes hatte man ihm ein sonder°
bares Schauspiel bereitet durch den Aufbau von Schädeln aller der verschiedenen
Thierarten, welche den Belagerten in ihrer letzten Noth zu gezwungener Nah¬
rung gedient.'

Erst am folgenden Tage wurde mit Hilfe Colonna's die Leiche Karls
des Kühnen gefunden. Eingefroren lag sie im Bach und mußte mit Aerten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/142>, abgerufen am 27.09.2024.