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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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hingerafft hatte und auch vielen Herren die Glieder so erfroren waren, daß sie
zu Krüppeln wurden, äußerte ein vornehmer burgundischer Hauptmann: "Er
sähe am liebsten den Herzog aus der großen Büchse nach der Stadt fliegen,
damit er einmal des Krieges satt werde und die Seinen nicht erfroren."
Diese freche Redensart, die dem Fürsten hinterbracht wurde, hatte der
Sprecher mit augenblicklichem Tode zu büßen.

Durch solche Strenge flößte Karl seinen Truppen eine so große Furcht
ein, daß er für den einzigen Heerführer jener Zeit galt, der das Kriegsvolk
auch im schlimmsten Winter im Feldlager festzuhalten vermöge. Aber er
machte sich nicht minder verhaßt, und auch an ihm bewährte sich das alte
Sprüchwort: "Allzuscharf macht schartig!" --

Das Heer Rene's von Lothringen war unterdessen herangerückt und
erreichte am 2. Januar 1477 Luneville, wo es sich mit 1000 Mann zu Roß
und zu Fuße vereinigte, welche vom Niederen Vereine gesandt waren. Am
4. Januar musterte Rene zwischen Varangeville und Se. Nikolas, also nur
noch 2 Meilen von Nancy. alle lothringischen Truppen, die ihm in seinem
Erdtaube noch zur Verfügung standen. Es waren 4000 Mann. theils zu
Pferde theils zu Fuß. und die Schweizer waren erstaunt, daß ein vertriebener
Fürst so viel Volk aufzubringen vermöge.

An demselben Tage berief Karl seine Obersten zum Kriegsrathe. Er¬
grimmt, daß an dem Anmarsch einer bedeutenden feindlichen Heeresmacht
nicht mehr zu zweifeln war, sprach er von Lumpengesindel, von plumpen
Fleischmassen, die. nur auf Saufen und Fressen bedacht, daher zu wandeln
kämen, und frug endlich die Hauptleute, was ihre Meinung sei. Da rieth
die Mehrheit, keine Schlacht zu liefern, vielmehr die Belagerung aufzuheben
und sich nach Pont-Ä-Moussou zurückzuziehn. Sicherlich würden die Deutschen
nach Verproviantirung Nancy's wieder abziehn; denn viel Geld habe Rene
keineswegs, und wenn es nicht bald zum Schlagen käme, so werde ihm das
Heer auseinanderlaufen und er gewiß nicht im Stande sein, ein zweites zu
werben. So reichlich werde die Verproviantirung Nancy's aber auch nicht
ausfallen, daß man nicht Hoffnung behielte, es doch noch in diesem Winter
zu nehmen. Unterdessen werde Karl Zeit gewinnen, seine Macht zu stärken,
wozu der im Schloß zu Luxemburg bereitliegende Schatz von 460,000 Thalern
genügende Mittel darbiete. -- Aber es wiederholte sich das alte Schauspiel:
mit Unwillen verwarf der Fürst den Rath seiner Getreuen. Louis' XI. Wort
sollte wahr werden: "Hu^na orgueil cKöVÄMue ätzvant, route et äomwage
kuivönt as Mg." Niemals, erklärte Karl, werde er vor einem Knaben wie




Henker 187, Königshöfen Chron. Forts., bei v. Rode.
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Philipp von Cleve: Iriütü as I-tre Sö w ^meri-v.

hingerafft hatte und auch vielen Herren die Glieder so erfroren waren, daß sie
zu Krüppeln wurden, äußerte ein vornehmer burgundischer Hauptmann: „Er
sähe am liebsten den Herzog aus der großen Büchse nach der Stadt fliegen,
damit er einmal des Krieges satt werde und die Seinen nicht erfroren."
Diese freche Redensart, die dem Fürsten hinterbracht wurde, hatte der
Sprecher mit augenblicklichem Tode zu büßen.

Durch solche Strenge flößte Karl seinen Truppen eine so große Furcht
ein, daß er für den einzigen Heerführer jener Zeit galt, der das Kriegsvolk
auch im schlimmsten Winter im Feldlager festzuhalten vermöge. Aber er
machte sich nicht minder verhaßt, und auch an ihm bewährte sich das alte
Sprüchwort: „Allzuscharf macht schartig!" —

Das Heer Rene's von Lothringen war unterdessen herangerückt und
erreichte am 2. Januar 1477 Luneville, wo es sich mit 1000 Mann zu Roß
und zu Fuße vereinigte, welche vom Niederen Vereine gesandt waren. Am
4. Januar musterte Rene zwischen Varangeville und Se. Nikolas, also nur
noch 2 Meilen von Nancy. alle lothringischen Truppen, die ihm in seinem
Erdtaube noch zur Verfügung standen. Es waren 4000 Mann. theils zu
Pferde theils zu Fuß. und die Schweizer waren erstaunt, daß ein vertriebener
Fürst so viel Volk aufzubringen vermöge.

An demselben Tage berief Karl seine Obersten zum Kriegsrathe. Er¬
grimmt, daß an dem Anmarsch einer bedeutenden feindlichen Heeresmacht
nicht mehr zu zweifeln war, sprach er von Lumpengesindel, von plumpen
Fleischmassen, die. nur auf Saufen und Fressen bedacht, daher zu wandeln
kämen, und frug endlich die Hauptleute, was ihre Meinung sei. Da rieth
die Mehrheit, keine Schlacht zu liefern, vielmehr die Belagerung aufzuheben
und sich nach Pont-Ä-Moussou zurückzuziehn. Sicherlich würden die Deutschen
nach Verproviantirung Nancy's wieder abziehn; denn viel Geld habe Rene
keineswegs, und wenn es nicht bald zum Schlagen käme, so werde ihm das
Heer auseinanderlaufen und er gewiß nicht im Stande sein, ein zweites zu
werben. So reichlich werde die Verproviantirung Nancy's aber auch nicht
ausfallen, daß man nicht Hoffnung behielte, es doch noch in diesem Winter
zu nehmen. Unterdessen werde Karl Zeit gewinnen, seine Macht zu stärken,
wozu der im Schloß zu Luxemburg bereitliegende Schatz von 460,000 Thalern
genügende Mittel darbiete. — Aber es wiederholte sich das alte Schauspiel:
mit Unwillen verwarf der Fürst den Rath seiner Getreuen. Louis' XI. Wort
sollte wahr werden: „Hu^na orgueil cKöVÄMue ätzvant, route et äomwage
kuivönt as Mg.« Niemals, erklärte Karl, werde er vor einem Knaben wie




Henker 187, Königshöfen Chron. Forts., bei v. Rode.
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Philipp von Cleve: Iriütü as I-tre Sö w ^meri-v.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/136>, abgerufen am 27.09.2024.