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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Genf. Grenoble und Wallis. die Bevollmächtigten der Stände Savoyens und
Piemonts und der Graf von Greyerz. Auch König Louis XI. hatte einen
Gesandten geschickt; aber die Interessen waren, so lebhaft auch alle Betheiligten
den völligen Sturz des Burgunders wünschen mochten, im Einzelnen doch so
verschieden, daß man ohne greifbares Resultat auseinander ging. *)

Karl der Kühne wird von diesen stockenden Verhandlungen unzweifelhaft
gut unterrichtet gewesen sein. Er war rastlos beschäftigt; dabei wurde er
frohster Laune und höher gemuthet als je. "Neben andern Gaben" sprach
er "habe Gott ihm solche Hilfsquellen, Völker und Staaten verliehen, daß es
mancher Niederlage bedürfe, um ihn zu Grunde zu richten, und im Augen¬
blick, da die Menge ihn für vernichtet halte, würde er aus der Mitte seiner
Völker 150.000 Mann ins Feld stellen." ^) Von dem Wahne befangen, daß
alles Volk in Burgund und Niederland seine Empfindungen theilen und zu
jedem Opfer bereit sein müsse, verlangte er zunächst ein Aufgebot von 40,000
Bewaffneten und den vierten Theil der Habe aller seiner Unterthanen.
Ente Forderungen! Am weitesten kam er noch da, wo er persönlich auftrat.
Die Stände der Freigrafschaft, welche er in Salms versammelte, wollten sich
anfangs allerdings nicht überzeugen, daß die Wohlfahrt des Vaterlandes
Hand in Hand gehe mit Karl's Herrschafts- und Racheplänen. Zwar ver¬
sicherten sie ihn ihrer Treue, bewunderten seine mannhafte Haltung, meinten
jedoch: Der Herzog übersehe im Feuer seines Muthes die Schwierigkeit der
Lage. Zahlreich sei die Blüthe des Adels, die Jugend des Volkes ausgezogen,
und nicht zurückgekehrt; die Rüstungen hätten das Mark des Landes aus¬
gezehrt. Feldbau und Handel feierten, eine Hungersnoth stehe bevor. Mehr
als 3000 Mann zur Wehr und Vertheidigung des Vaterlandes vermöchten
sie nicht aufzubringen, -s-) -- Aber nun nahm Karl selbst das Wort. Mle
triftige Gründe führte er an, um die Stände zu größeren Opfern zu bewege"
und unterstützte dieselben mit der Autorität römischer Klassiker (con autoriw
6i Romain), indem er Beispiele aus Livius citirte: von bürgerlicher Armuth,
von jenem Edict zu Rom. das jedem gebot, zur Wahrung der öffentlichen
Sache all sein Gold und Silber herzugeben mit Ausnahme eines einzigen
Fingerrings. Er sprach "wie ein Buch" und nicht ohne Wirkung; denn
zwei Tage nachher bewilligten ihm die Stände der Franche-Comte in der
That eine zweimalige Jahreskriegssteuer von 100,000 rheinischen Gulden und,
"sofern Ihre Excellenz versprachen, ihnen während dieser Zeit keine andere
Beschwerde aufzuerlegen", erklärten sie sich bereit, auch die Grenzbesetzung z"






") Schlosser- Neuere Geschichte. I. Theil. Frkf. n. M. 1849.
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) Panicharola bei v. Rode.
Georg Weber o. -.. O.
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Genf. Grenoble und Wallis. die Bevollmächtigten der Stände Savoyens und
Piemonts und der Graf von Greyerz. Auch König Louis XI. hatte einen
Gesandten geschickt; aber die Interessen waren, so lebhaft auch alle Betheiligten
den völligen Sturz des Burgunders wünschen mochten, im Einzelnen doch so
verschieden, daß man ohne greifbares Resultat auseinander ging. *)

Karl der Kühne wird von diesen stockenden Verhandlungen unzweifelhaft
gut unterrichtet gewesen sein. Er war rastlos beschäftigt; dabei wurde er
frohster Laune und höher gemuthet als je. „Neben andern Gaben" sprach
er „habe Gott ihm solche Hilfsquellen, Völker und Staaten verliehen, daß es
mancher Niederlage bedürfe, um ihn zu Grunde zu richten, und im Augen¬
blick, da die Menge ihn für vernichtet halte, würde er aus der Mitte seiner
Völker 150.000 Mann ins Feld stellen." ^) Von dem Wahne befangen, daß
alles Volk in Burgund und Niederland seine Empfindungen theilen und zu
jedem Opfer bereit sein müsse, verlangte er zunächst ein Aufgebot von 40,000
Bewaffneten und den vierten Theil der Habe aller seiner Unterthanen.
Ente Forderungen! Am weitesten kam er noch da, wo er persönlich auftrat.
Die Stände der Freigrafschaft, welche er in Salms versammelte, wollten sich
anfangs allerdings nicht überzeugen, daß die Wohlfahrt des Vaterlandes
Hand in Hand gehe mit Karl's Herrschafts- und Racheplänen. Zwar ver¬
sicherten sie ihn ihrer Treue, bewunderten seine mannhafte Haltung, meinten
jedoch: Der Herzog übersehe im Feuer seines Muthes die Schwierigkeit der
Lage. Zahlreich sei die Blüthe des Adels, die Jugend des Volkes ausgezogen,
und nicht zurückgekehrt; die Rüstungen hätten das Mark des Landes aus¬
gezehrt. Feldbau und Handel feierten, eine Hungersnoth stehe bevor. Mehr
als 3000 Mann zur Wehr und Vertheidigung des Vaterlandes vermöchten
sie nicht aufzubringen, -s-) — Aber nun nahm Karl selbst das Wort. Mle
triftige Gründe führte er an, um die Stände zu größeren Opfern zu bewege»
und unterstützte dieselben mit der Autorität römischer Klassiker (con autoriw
6i Romain), indem er Beispiele aus Livius citirte: von bürgerlicher Armuth,
von jenem Edict zu Rom. das jedem gebot, zur Wahrung der öffentlichen
Sache all sein Gold und Silber herzugeben mit Ausnahme eines einzigen
Fingerrings. Er sprach „wie ein Buch" und nicht ohne Wirkung; denn
zwei Tage nachher bewilligten ihm die Stände der Franche-Comte in der
That eine zweimalige Jahreskriegssteuer von 100,000 rheinischen Gulden und,
„sofern Ihre Excellenz versprachen, ihnen während dieser Zeit keine andere
Beschwerde aufzuerlegen", erklärten sie sich bereit, auch die Grenzbesetzung z»






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[0130] Genf. Grenoble und Wallis. die Bevollmächtigten der Stände Savoyens und Piemonts und der Graf von Greyerz. Auch König Louis XI. hatte einen Gesandten geschickt; aber die Interessen waren, so lebhaft auch alle Betheiligten den völligen Sturz des Burgunders wünschen mochten, im Einzelnen doch so verschieden, daß man ohne greifbares Resultat auseinander ging. *) Karl der Kühne wird von diesen stockenden Verhandlungen unzweifelhaft gut unterrichtet gewesen sein. Er war rastlos beschäftigt; dabei wurde er frohster Laune und höher gemuthet als je. „Neben andern Gaben" sprach er „habe Gott ihm solche Hilfsquellen, Völker und Staaten verliehen, daß es mancher Niederlage bedürfe, um ihn zu Grunde zu richten, und im Augen¬ blick, da die Menge ihn für vernichtet halte, würde er aus der Mitte seiner Völker 150.000 Mann ins Feld stellen." ^) Von dem Wahne befangen, daß alles Volk in Burgund und Niederland seine Empfindungen theilen und zu jedem Opfer bereit sein müsse, verlangte er zunächst ein Aufgebot von 40,000 Bewaffneten und den vierten Theil der Habe aller seiner Unterthanen. Ente Forderungen! Am weitesten kam er noch da, wo er persönlich auftrat. Die Stände der Freigrafschaft, welche er in Salms versammelte, wollten sich anfangs allerdings nicht überzeugen, daß die Wohlfahrt des Vaterlandes Hand in Hand gehe mit Karl's Herrschafts- und Racheplänen. Zwar ver¬ sicherten sie ihn ihrer Treue, bewunderten seine mannhafte Haltung, meinten jedoch: Der Herzog übersehe im Feuer seines Muthes die Schwierigkeit der Lage. Zahlreich sei die Blüthe des Adels, die Jugend des Volkes ausgezogen, und nicht zurückgekehrt; die Rüstungen hätten das Mark des Landes aus¬ gezehrt. Feldbau und Handel feierten, eine Hungersnoth stehe bevor. Mehr als 3000 Mann zur Wehr und Vertheidigung des Vaterlandes vermöchten sie nicht aufzubringen, -s-) — Aber nun nahm Karl selbst das Wort. Mle triftige Gründe führte er an, um die Stände zu größeren Opfern zu bewege» und unterstützte dieselben mit der Autorität römischer Klassiker (con autoriw 6i Romain), indem er Beispiele aus Livius citirte: von bürgerlicher Armuth, von jenem Edict zu Rom. das jedem gebot, zur Wahrung der öffentlichen Sache all sein Gold und Silber herzugeben mit Ausnahme eines einzigen Fingerrings. Er sprach „wie ein Buch" und nicht ohne Wirkung; denn zwei Tage nachher bewilligten ihm die Stände der Franche-Comte in der That eine zweimalige Jahreskriegssteuer von 100,000 rheinischen Gulden und, „sofern Ihre Excellenz versprachen, ihnen während dieser Zeit keine andere Beschwerde aufzuerlegen", erklärten sie sich bereit, auch die Grenzbesetzung z» ") Schlosser- Neuere Geschichte. I. Theil. Frkf. n. M. 1849. " ) Panicharola bei v. Rode. Georg Weber o. -.. O. 5) 01. Sö Ur N-ri'Luk,. vnriocl I»<ZM.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/130>, abgerufen am 27.09.2024.