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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gebracht, weil die Gestalten in der Umgebung heimischer Zustände nun mensch¬
licher, dem Leben näher gebracht erschienen. Gewaltig in der Conception und
ergreifend im Ausdruck ist die Hauptgruppe, in der Mitte Gott-Vater thro¬
nend, rechts neben sich die demuthsvolle Mutter des Heilands, links Johannes
der Täufer. Leider hat man die Nebentafeln, welche zu dem Bilde gehören,
fast sämmtlich entfernt; zum Theil befinden sie sich in Brüssel, zum Theil
im Berliner Museum. Offenbar würde es pietätvoller gegen den großen
Meister gewesen sein, hätte man das Bild ganz in Gent belassen. Das Haus,
in dem Gebrüder van Eyck letzteres malten, steht am Blumenmarkt; eine In¬
schrift macht die Touristen auf dasselbe aufmerksam; in der Krypta von Se.
Bavon zeigt man Huberts und seiner ebenfalls kunstgeübten Schwester Mar¬
garethe schmuckloses Grabdenkmal. Wir besahen noch die Kunstschätze der
Se. Michaelskirche, darunter einen herrlichen van Dyck (die Kreuzigung)
und die schöne Kanzel, hatten aber keine Neigung, uns diese Genüsse durch
Ansicht der Nachtseiten des menschlichen Daseins in der maison ac clötention
(Zuchthaus) am Park Se. George und an der versandender Coupure des
Lys wieder zu verkümmern; es winkte uns ja noch Antwerpen, wohin wir
G. T. jetzt eilten.




Dom preußischen Landtag.

Am 27. Januar fuhr das Abgeordnetenhaus in der Berathung des
Staatshaushaltes fort. Die Ausgaben für die Ministerien der Justiz und
der Landwirthschaft standen auf der Tagesordnung. Bei solchen Verhand¬
lungen, deren Gegenstände ja in der Hauptsache geordnet und festgestellt sind,
erregen nur einzelne Zwischenfälle das allgemeine Interesse. Ein solcher kam
diesmal vor. als Herr Virchow den neuen Minister der landwirtschaftlichen
Angelegenheiten, Grafen Königsmarck, auf Grund eines Gerüchtes beschuldigte,
als Landrath des Kreises Chodziesen einen Abdecker zum Kreisthierarzt be¬
stellen gewollt zu haben. Der Minister berichtigte die Thatsache dahin, daß
er niemals Landrath des betreffenden Kreises gewesen, daß aber einer seiner
Söhne daselbst wohnt, welcher sich kürzlich an das landwirthschaftliche Mini¬
sterium mit der Bitte wandte, die offene Kreisthierarztstelle mit einem wissen¬
schaftlich gebildeten Thierarzt zu besetzen, weil inzwischen dort ein Abdecker
Medizinalpfuscheret' getrieben. Mit einer Unbefangenheit wie sie nur Herrn
Virchow möglich ist, äußerte derselbe seine Befriedigung, ^aß der landwirth¬
schaftliche Minister im Stande gewesen, die über ihn umlaufende Anekdote zu
berichtigen. In weiteren Kreisen entsteht dagegen vielfach die Frage, ob das
die rechte Erfüllung der Abgeordnctenpflicht ist, auf Grund beliebiger Anet-


gebracht, weil die Gestalten in der Umgebung heimischer Zustände nun mensch¬
licher, dem Leben näher gebracht erschienen. Gewaltig in der Conception und
ergreifend im Ausdruck ist die Hauptgruppe, in der Mitte Gott-Vater thro¬
nend, rechts neben sich die demuthsvolle Mutter des Heilands, links Johannes
der Täufer. Leider hat man die Nebentafeln, welche zu dem Bilde gehören,
fast sämmtlich entfernt; zum Theil befinden sie sich in Brüssel, zum Theil
im Berliner Museum. Offenbar würde es pietätvoller gegen den großen
Meister gewesen sein, hätte man das Bild ganz in Gent belassen. Das Haus,
in dem Gebrüder van Eyck letzteres malten, steht am Blumenmarkt; eine In¬
schrift macht die Touristen auf dasselbe aufmerksam; in der Krypta von Se.
Bavon zeigt man Huberts und seiner ebenfalls kunstgeübten Schwester Mar¬
garethe schmuckloses Grabdenkmal. Wir besahen noch die Kunstschätze der
Se. Michaelskirche, darunter einen herrlichen van Dyck (die Kreuzigung)
und die schöne Kanzel, hatten aber keine Neigung, uns diese Genüsse durch
Ansicht der Nachtseiten des menschlichen Daseins in der maison ac clötention
(Zuchthaus) am Park Se. George und an der versandender Coupure des
Lys wieder zu verkümmern; es winkte uns ja noch Antwerpen, wohin wir
G. T. jetzt eilten.




Dom preußischen Landtag.

Am 27. Januar fuhr das Abgeordnetenhaus in der Berathung des
Staatshaushaltes fort. Die Ausgaben für die Ministerien der Justiz und
der Landwirthschaft standen auf der Tagesordnung. Bei solchen Verhand¬
lungen, deren Gegenstände ja in der Hauptsache geordnet und festgestellt sind,
erregen nur einzelne Zwischenfälle das allgemeine Interesse. Ein solcher kam
diesmal vor. als Herr Virchow den neuen Minister der landwirtschaftlichen
Angelegenheiten, Grafen Königsmarck, auf Grund eines Gerüchtes beschuldigte,
als Landrath des Kreises Chodziesen einen Abdecker zum Kreisthierarzt be¬
stellen gewollt zu haben. Der Minister berichtigte die Thatsache dahin, daß
er niemals Landrath des betreffenden Kreises gewesen, daß aber einer seiner
Söhne daselbst wohnt, welcher sich kürzlich an das landwirthschaftliche Mini¬
sterium mit der Bitte wandte, die offene Kreisthierarztstelle mit einem wissen¬
schaftlich gebildeten Thierarzt zu besetzen, weil inzwischen dort ein Abdecker
Medizinalpfuscheret' getrieben. Mit einer Unbefangenheit wie sie nur Herrn
Virchow möglich ist, äußerte derselbe seine Befriedigung, ^aß der landwirth¬
schaftliche Minister im Stande gewesen, die über ihn umlaufende Anekdote zu
berichtigen. In weiteren Kreisen entsteht dagegen vielfach die Frage, ob das
die rechte Erfüllung der Abgeordnctenpflicht ist, auf Grund beliebiger Anet-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/243>, abgerufen am 29.09.2024.