Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.überlassen mußte, weil es zerklüftet und ohnmächtig am Boden lag. hatte Nicht weit von dem Beffroi winkte Se. Bavon, die Cathedrale Genes, überlassen mußte, weil es zerklüftet und ohnmächtig am Boden lag. hatte Nicht weit von dem Beffroi winkte Se. Bavon, die Cathedrale Genes, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129234"/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> überlassen mußte, weil es zerklüftet und ohnmächtig am Boden lag. hatte<lb/> keinen Anspruch auf die Zuneigung der Vlaminger, welche allein den Kampf<lb/> mit der spanischen Weltmonarchie aufnahmen und siegreich durchführten. Und<lb/> als nach langer Zerissenheit ein anderes, neues Deutschland entstand,<lb/> waren die Lebensformen, welche die geschichtliche Entwickelung bei dem fland¬<lb/> rischen Volke gereift hatte, himmelweit verschieden von denen Deutschlands,<lb/> das die Entfremdung des Bruderstammes selbst verschuldet hat. — Aus solchen<lb/> Betrachtungen riß uns der Anblick der nördlichen prachtvollen Fac,abe des<lb/> Genter Rathhauses zu wohlthuenden Genuß fort. Vor unseren Augen<lb/> schien die heitere, lebensfrohe Ornamentik der spätgothischen (Flamboyant)-<lb/> Architectur ein Bild jener Zeiten heraufzuzaubern, welche die anmuthigen Mo¬<lb/> tive des Kirchenstyls auch auf die Profangebäude hinübernahm, so diesen<lb/> Stätten städtischen Gemeinwesens die Weihe künstlerisch idealen Schmucks ver¬<lb/> leihend. Welch herrliche Gliederung entsteht aus den flammenähnlich sich zu¬<lb/> spitzenden Gewölben der Spitzbogenfenster in den Rathhaus-Fa^aber von<lb/> Brüssel, Oudenarde, Löwen und Gent; wie prägt sich in den ornamentalen<lb/> Skulpturen dieser Fanden das farbenprächtige, reiche Bild dieser alten Städte<lb/> und ihrer einstigen Lebensthätigkeit aus! Auf keinem anderen Boden sehen<lb/> wir so stolze Rathhäuser, so prächtige Gildehallen, so hoch anstrebende Bel-<lb/> fricde erstanden, als in den Süd-Niederlanden; und alle diese Bauten zeigen<lb/> im Vergleich zu den Backsteingebäuden der Nordniederlande denselben aristo¬<lb/> kratischen Zug, welcher auch die Malerei Flanderns gegenüber den Werken<lb/> der nordniederländischen Meister characterisirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> Nicht weit von dem Beffroi winkte Se. Bavon, die Cathedrale Genes,<lb/> das nächste Ziel unsrer Wanderung. Im Südschiffe dieses reich mit Gemäl¬<lb/> den geschmückten Gotteshauses in der fünften Chorkapelle, wird Hubert<lb/> vanEyck's berühmtestes Werk: „die Anbetung des makellosen Lam¬<lb/> mes" aufbewahrt, das der Meister einst für die Grabkapelle des Genter<lb/> Patriciers Jodokus Vyts und seiner Gattin Lisbeth gemalt und das<lb/> Johann van Eyck nach dem Tode des Bruders (1426) vollendet hat. Es<lb/> mag ja längst entschieden sein, daß Hubert van Eyck nicht als Er¬<lb/> finder der Oelmalerei im eigentlichen Sinne zu betrachten ist, soviel<lb/> aber steht fest, daß wir ihm die Vervollkommnung der Farbenmischung für<lb/> die Oelmalerei allein zu danken haben. Hubert van Eyck sprengte zuerst<lb/> die Fesseln, in denen der starre Goldgrund, auf dem die Gemälde der älteren<lb/> italienischen Meister entstanden, die künstlerische Entwickelung befangen hielt;<lb/> er gab seinen Gestalten eine realere Umgebung, einen lebensvolleren Hintergrund,<lb/> indem er sie mitten in die Staffage heimathlichen Lebens versetzte. Dabei blieb<lb/> die rührende Innigkeit, welche die Auffassung der alten italienischen Schulen<lb/> kennzeichnet, treu bewahrt, ja sie wurde nur um so prägnanter zum Ausdruck</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
überlassen mußte, weil es zerklüftet und ohnmächtig am Boden lag. hatte
keinen Anspruch auf die Zuneigung der Vlaminger, welche allein den Kampf
mit der spanischen Weltmonarchie aufnahmen und siegreich durchführten. Und
als nach langer Zerissenheit ein anderes, neues Deutschland entstand,
waren die Lebensformen, welche die geschichtliche Entwickelung bei dem fland¬
rischen Volke gereift hatte, himmelweit verschieden von denen Deutschlands,
das die Entfremdung des Bruderstammes selbst verschuldet hat. — Aus solchen
Betrachtungen riß uns der Anblick der nördlichen prachtvollen Fac,abe des
Genter Rathhauses zu wohlthuenden Genuß fort. Vor unseren Augen
schien die heitere, lebensfrohe Ornamentik der spätgothischen (Flamboyant)-
Architectur ein Bild jener Zeiten heraufzuzaubern, welche die anmuthigen Mo¬
tive des Kirchenstyls auch auf die Profangebäude hinübernahm, so diesen
Stätten städtischen Gemeinwesens die Weihe künstlerisch idealen Schmucks ver¬
leihend. Welch herrliche Gliederung entsteht aus den flammenähnlich sich zu¬
spitzenden Gewölben der Spitzbogenfenster in den Rathhaus-Fa^aber von
Brüssel, Oudenarde, Löwen und Gent; wie prägt sich in den ornamentalen
Skulpturen dieser Fanden das farbenprächtige, reiche Bild dieser alten Städte
und ihrer einstigen Lebensthätigkeit aus! Auf keinem anderen Boden sehen
wir so stolze Rathhäuser, so prächtige Gildehallen, so hoch anstrebende Bel-
fricde erstanden, als in den Süd-Niederlanden; und alle diese Bauten zeigen
im Vergleich zu den Backsteingebäuden der Nordniederlande denselben aristo¬
kratischen Zug, welcher auch die Malerei Flanderns gegenüber den Werken
der nordniederländischen Meister characterisirt.
Nicht weit von dem Beffroi winkte Se. Bavon, die Cathedrale Genes,
das nächste Ziel unsrer Wanderung. Im Südschiffe dieses reich mit Gemäl¬
den geschmückten Gotteshauses in der fünften Chorkapelle, wird Hubert
vanEyck's berühmtestes Werk: „die Anbetung des makellosen Lam¬
mes" aufbewahrt, das der Meister einst für die Grabkapelle des Genter
Patriciers Jodokus Vyts und seiner Gattin Lisbeth gemalt und das
Johann van Eyck nach dem Tode des Bruders (1426) vollendet hat. Es
mag ja längst entschieden sein, daß Hubert van Eyck nicht als Er¬
finder der Oelmalerei im eigentlichen Sinne zu betrachten ist, soviel
aber steht fest, daß wir ihm die Vervollkommnung der Farbenmischung für
die Oelmalerei allein zu danken haben. Hubert van Eyck sprengte zuerst
die Fesseln, in denen der starre Goldgrund, auf dem die Gemälde der älteren
italienischen Meister entstanden, die künstlerische Entwickelung befangen hielt;
er gab seinen Gestalten eine realere Umgebung, einen lebensvolleren Hintergrund,
indem er sie mitten in die Staffage heimathlichen Lebens versetzte. Dabei blieb
die rührende Innigkeit, welche die Auffassung der alten italienischen Schulen
kennzeichnet, treu bewahrt, ja sie wurde nur um so prägnanter zum Ausdruck
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