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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ficht stellte. Man gesteht zwar zu, daß die württembergischen Bahnen bei
einem bisherigen Anlage-Kapital von 160 Millionen -- trotz der günstigsten,
einer Privatgesellschaft unmöglichen Rechnungsmethoden -- nur zu 3°/" ren-
tiren, daß unter den neuestens erbauten Bahnen solche sich befinden, welche
nicht den Betriebsaufwand decken, andere, welche nur ^//o rentiren, und
daß hiernach dermalen schon 2^ Million Deficit (keine Kleinigkeit für ein
Land von der Größe Württembergs!) jährlich durch die Steuerzahler
gedeckt werden müssen. Dennoch tritt man jetzt mit neuen großartigen Bahn¬
projekten auf, welche dem Land den bisher im Interesse des Localverkehrs
vernachlässigten Transit verschaffen und damit das Deficit mit einem Schlag
beseitigen sollen, während ernsthafte Rechner sich von den neuen Bahnen im
günstigsten Fall 1--2"/<> Ertrag versprechen. Man glaubt jetzt, durch einen
einfachen schwäbischen Machtspruch die Hauptadern des europäischen Verkehrs
über Württemberg leiten zu können und ignorirt dabei geflissentlich
die Schwierigkeiten, welche der bisherige particularistische Eisenbahnkrieg Aller
gegen Alle den Anschlüssen mit den Nachbarstaaten in den Weg legte, ja daß
man fast mit demselben Athemzug der badischen Negierung, welche durch die
Lage ihres Landes den Transitverkehr nach Württemberg beherrscht, bezüglich
eines der wichtigsten Anschlusse (Eppingen-Heilbronn) eben erst auf das
Unfreundlichste begegnet ist. Während ferner Preußen sich darauf beschränkt,
durch Ausdehnung der Staatsbahnnetzes den Privatbahnen ein Gegenge¬
wicht entgegen zu setzen, um damit zugleich eine praktische Grundlage für die
Ausübung des Staatsaussichtsrechts zu gewinnen, hat unser Verkehrsminister
neulich in einer höchst ungeschickt abgefaßten Denkschrift den Ständen in aller
Form erklären lassen, daß die Regierung nicht nur an dem ausschließlichen
Staatsbahnbau für alle Zukunft festhalte, sondern daß sie auch nimmermehr
die Concessionirung von Anschlußbahnen auf württembergischen Gebiet von
Privatgesellschaften dulden könne. Unser Verkehrsminister hatte hierbei die
Existenz des Art. 41 der Reichsverfassung ganz übersehen, und mußte, nach¬
dem zuerst Varnbüler auf die Taktlosigkeit der ganzen Erklärung aufmerksam
gemacht hatte, erst durch einen andern Abgeordneten daran erinnert werden.
Noch entschiedener wurde der Verkehrsminister in der I. Kammer durch den
Reichstagsabgeordneten Fürsten von Hohenlohe-Langenburg daraus hingewiesen,
daß bei Fortsetzung des bisherigen Eisenbahnkriegs zwischen Württemberg und
Baden das Einschreiten des Reichs nicht zu umgehen sein werde.

Wir haben schon vor einem Jahre in den Grenzboten darauf aufmerksam
gemacht, wie jener Art. 41 bei gelegener Zeit der Reichsgewalt ein Mittel in
die Hand geben wird, eine Pression auf Württemberg auszuüben, geeignet
jeden Widerstand unserer Particularisten trotz des Art. 76 der Reichsverfassung
zu Paralysiren, und je mehr das Ministerium die ganze Finanzlage Württem-


ficht stellte. Man gesteht zwar zu, daß die württembergischen Bahnen bei
einem bisherigen Anlage-Kapital von 160 Millionen — trotz der günstigsten,
einer Privatgesellschaft unmöglichen Rechnungsmethoden — nur zu 3°/« ren-
tiren, daß unter den neuestens erbauten Bahnen solche sich befinden, welche
nicht den Betriebsaufwand decken, andere, welche nur ^//o rentiren, und
daß hiernach dermalen schon 2^ Million Deficit (keine Kleinigkeit für ein
Land von der Größe Württembergs!) jährlich durch die Steuerzahler
gedeckt werden müssen. Dennoch tritt man jetzt mit neuen großartigen Bahn¬
projekten auf, welche dem Land den bisher im Interesse des Localverkehrs
vernachlässigten Transit verschaffen und damit das Deficit mit einem Schlag
beseitigen sollen, während ernsthafte Rechner sich von den neuen Bahnen im
günstigsten Fall 1—2"/<> Ertrag versprechen. Man glaubt jetzt, durch einen
einfachen schwäbischen Machtspruch die Hauptadern des europäischen Verkehrs
über Württemberg leiten zu können und ignorirt dabei geflissentlich
die Schwierigkeiten, welche der bisherige particularistische Eisenbahnkrieg Aller
gegen Alle den Anschlüssen mit den Nachbarstaaten in den Weg legte, ja daß
man fast mit demselben Athemzug der badischen Negierung, welche durch die
Lage ihres Landes den Transitverkehr nach Württemberg beherrscht, bezüglich
eines der wichtigsten Anschlusse (Eppingen-Heilbronn) eben erst auf das
Unfreundlichste begegnet ist. Während ferner Preußen sich darauf beschränkt,
durch Ausdehnung der Staatsbahnnetzes den Privatbahnen ein Gegenge¬
wicht entgegen zu setzen, um damit zugleich eine praktische Grundlage für die
Ausübung des Staatsaussichtsrechts zu gewinnen, hat unser Verkehrsminister
neulich in einer höchst ungeschickt abgefaßten Denkschrift den Ständen in aller
Form erklären lassen, daß die Regierung nicht nur an dem ausschließlichen
Staatsbahnbau für alle Zukunft festhalte, sondern daß sie auch nimmermehr
die Concessionirung von Anschlußbahnen auf württembergischen Gebiet von
Privatgesellschaften dulden könne. Unser Verkehrsminister hatte hierbei die
Existenz des Art. 41 der Reichsverfassung ganz übersehen, und mußte, nach¬
dem zuerst Varnbüler auf die Taktlosigkeit der ganzen Erklärung aufmerksam
gemacht hatte, erst durch einen andern Abgeordneten daran erinnert werden.
Noch entschiedener wurde der Verkehrsminister in der I. Kammer durch den
Reichstagsabgeordneten Fürsten von Hohenlohe-Langenburg daraus hingewiesen,
daß bei Fortsetzung des bisherigen Eisenbahnkriegs zwischen Württemberg und
Baden das Einschreiten des Reichs nicht zu umgehen sein werde.

Wir haben schon vor einem Jahre in den Grenzboten darauf aufmerksam
gemacht, wie jener Art. 41 bei gelegener Zeit der Reichsgewalt ein Mittel in
die Hand geben wird, eine Pression auf Württemberg auszuüben, geeignet
jeden Widerstand unserer Particularisten trotz des Art. 76 der Reichsverfassung
zu Paralysiren, und je mehr das Ministerium die ganze Finanzlage Württem-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/238>, abgerufen am 29.09.2024.