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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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erträglich fand, ist sehr erklärlich. Man fürchtete vor Allem seine genaue
Kenntniß von Personen und Charakteren. Er hatte seit 1867 in Stuttgart
zu viel selbst gehört und gesehen, um sich durch officielle Dementis täuschen zu
lassen, und daß man trotz aller Schönfärberei in Berlin so gut orientirt war,
erschien in Stuttgart als sein größtes Verbrechen. So sehr man daher von
nationaler Seite den Abgang eines Diplomaten bedauerte, der sich um die
deutsche Sache im Süden so unverkennbare Verdienste erworben, so erklär¬
lich fand man es andererseits, daß die preußische Regierung den ausgesprochenen
Wunsch, durch einen Personenwechsel die Herstellung besserer Beziehungen
zwischen beiden Höfen zu erleichtern, entgegenkam. Auch fängt man bereits
da und dort an, über den eben errungenen politischen Triumph zu stutzen. Die
Siege der Kleinen über die Großen sind stets gefährlich, und könnte nicht
Preußen, nachdem es einen so großen Beweis persönlichen Vertrauens gegeben
hat, auch seinerseits Entgegenkommen erwarten? Manche unserer Staats¬
männer haben ja in nationaler Hinsicht ein sehr dunkles politisches Vorleben,
welches Preußen zur begründetem Mißtrauen berechtigen würde. Die Vor¬
gänge der letzten Jahre, insbesondere aber der neuliche Sturz des einflu߬
reichsten unserer Höflinge, des Chefs des geheimen Cabinets, der so lange die
Intriguen unserer Großdeutschen vermittelt hatte, dürften Jedem nur zu deutlich
zeigen, wie leicht man es in Stuttgart nimmt, die einflußreichsten Männer
über Nacht den Launen der Hofgunst oder einer vorübergehenden politischen
Situation zu opfern.--

Wie in Preußen, so traten auch in Württemberg die Eisenbahnfragen
neuerdings wieder in den Vordergrund. Klagt man in Preußen über die
Schattenseiten des Concessionswesens, so machen sich bei uns die Folgen des
ausschließlichen Staatsbaues in der mißlichsten Weise geltend. Einerseits
stellt die Unzahl niederer Bediensteter aller Kategorien, bis zum einfachen Bahn¬
hof-Tagelöhner herunter, der Bureaukratie ein Heer gänzlich abhängiger Werk¬
zeuge zur Verfügung, welche derselben einen maßgebenden Einfluß bet den
Wahlen und in anderen Verhältnissen des öffentlichen Lebens gewährt, von
welchem man früher keine Vorstellung hatte. Andererseits hat sich bei uns
in Folge der Exclusivität dieses Staatsgewerbebetriebs eine gänzliche Ver-
kennung der Stellung der Eisenbahnbehörden zum Publikum herausgebildet.
Man faßt den Bahnbetrieb ganz wie die Ausübung eines wesentlichen
Staatshoheitsrechts auf, und der Bahnbedienstete erhebt in Württemberg, überall
den Anspruch auf obrigkeitliche Gewalt, sowohl gegenüber dem reisenden Pu¬
blikum, als gegenüber der Geschäftswelt im Güterverkehr. Nirgends werden daher
die Beschränkungen der Haftpflicht der Eisenbahnen, -- deren Zulassung im
Handelsgesetzbuch Deutschland, wie bekannt, wesentlich der württembergischen
Eisenbahnvcrwaltung zu verdanken hat -- so drückend empfunden, als bei


erträglich fand, ist sehr erklärlich. Man fürchtete vor Allem seine genaue
Kenntniß von Personen und Charakteren. Er hatte seit 1867 in Stuttgart
zu viel selbst gehört und gesehen, um sich durch officielle Dementis täuschen zu
lassen, und daß man trotz aller Schönfärberei in Berlin so gut orientirt war,
erschien in Stuttgart als sein größtes Verbrechen. So sehr man daher von
nationaler Seite den Abgang eines Diplomaten bedauerte, der sich um die
deutsche Sache im Süden so unverkennbare Verdienste erworben, so erklär¬
lich fand man es andererseits, daß die preußische Regierung den ausgesprochenen
Wunsch, durch einen Personenwechsel die Herstellung besserer Beziehungen
zwischen beiden Höfen zu erleichtern, entgegenkam. Auch fängt man bereits
da und dort an, über den eben errungenen politischen Triumph zu stutzen. Die
Siege der Kleinen über die Großen sind stets gefährlich, und könnte nicht
Preußen, nachdem es einen so großen Beweis persönlichen Vertrauens gegeben
hat, auch seinerseits Entgegenkommen erwarten? Manche unserer Staats¬
männer haben ja in nationaler Hinsicht ein sehr dunkles politisches Vorleben,
welches Preußen zur begründetem Mißtrauen berechtigen würde. Die Vor¬
gänge der letzten Jahre, insbesondere aber der neuliche Sturz des einflu߬
reichsten unserer Höflinge, des Chefs des geheimen Cabinets, der so lange die
Intriguen unserer Großdeutschen vermittelt hatte, dürften Jedem nur zu deutlich
zeigen, wie leicht man es in Stuttgart nimmt, die einflußreichsten Männer
über Nacht den Launen der Hofgunst oder einer vorübergehenden politischen
Situation zu opfern.--

Wie in Preußen, so traten auch in Württemberg die Eisenbahnfragen
neuerdings wieder in den Vordergrund. Klagt man in Preußen über die
Schattenseiten des Concessionswesens, so machen sich bei uns die Folgen des
ausschließlichen Staatsbaues in der mißlichsten Weise geltend. Einerseits
stellt die Unzahl niederer Bediensteter aller Kategorien, bis zum einfachen Bahn¬
hof-Tagelöhner herunter, der Bureaukratie ein Heer gänzlich abhängiger Werk¬
zeuge zur Verfügung, welche derselben einen maßgebenden Einfluß bet den
Wahlen und in anderen Verhältnissen des öffentlichen Lebens gewährt, von
welchem man früher keine Vorstellung hatte. Andererseits hat sich bei uns
in Folge der Exclusivität dieses Staatsgewerbebetriebs eine gänzliche Ver-
kennung der Stellung der Eisenbahnbehörden zum Publikum herausgebildet.
Man faßt den Bahnbetrieb ganz wie die Ausübung eines wesentlichen
Staatshoheitsrechts auf, und der Bahnbedienstete erhebt in Württemberg, überall
den Anspruch auf obrigkeitliche Gewalt, sowohl gegenüber dem reisenden Pu¬
blikum, als gegenüber der Geschäftswelt im Güterverkehr. Nirgends werden daher
die Beschränkungen der Haftpflicht der Eisenbahnen, — deren Zulassung im
Handelsgesetzbuch Deutschland, wie bekannt, wesentlich der württembergischen
Eisenbahnvcrwaltung zu verdanken hat — so drückend empfunden, als bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/236>, abgerufen am 29.09.2024.